Im Theater am Olgaeck in Stuttgart, zum Glück im Hinterhaus, weil das keine schöne Ecke ist, waren wir in einer Premiere: Der Fall Trollmann.
Auf der Homepage des Theaters lesen wir: »Ein Journalist recherchiert nach der Biografie des legendären Roma Boxer Johann Rukeli Trollmann. Der Liebling der Presse und Stolz aller Sinti in Deutschland, ein Ausnahme-Talent, ein Star, der seit Kindesalter von einer Karriere als Boxer träumte, wurde 1944 im KZ brutal ermordet. Der Mörder blieb unbestraft. Der Fall ist verjährt.« Damit ist über den Inhalt das Wesentliche gesagt.
Es ist in Stuttgart, und vielleicht auch anderswo, leider so, dass die interessanten Stücke nicht im Staatstheater spielen. Das mag am Zustand dieses Staates und seiner Diener liegen sowie am mangelnden Mut der Intendanten und Regisseure, die auch bei den Corona-Maßnahmen mitgemacht haben, später haben sie die blau-gelbe Kriegsfahne rausgehängt, sie hätten freilich auch gleich die Stars and Stripes aufziehen können, und alle Woke- und Cancel-Kultur wird mitgemacht. Selbstverdummung bleibt aber nicht ungestraft, das Staatstheater wird flacher, was freilich zu einem Publikum passt, das das alles begrüßt und zur Strafe sich nun zu Tode langweilen muss. Da hilft auch kein noch so lautes Klatschen, um die Verstandesmoribunden aus ihrem Tiefschlaf zu erwecken.
In dem kleinen Theater erleben wir ein Ein-Mann-Stück über fast zwei Stunden, nie langweilig. (Nur die Müden, Schnell-Geschnittenen und Video-Verwöhnten werden Längen monieren.) Ein Stück Geschichtsunterricht über die mangelhafte, anachronistische oder eben absichtsvoll versäumte Aufarbeitung der NS-Zeit. Und wir erleben etwas Boxunterricht und einen Beitrag zur Geschichte dieses Sports in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts – und ein deutsches schreckliches Ende.
Großartiges Theater mit einfachen Mittel, interessant wie jenes im Waldheim Sillenbuch, als es um Clara Zetkin ging. Typisch für das bürgerliche Publikum in Stuttgart: Es fehlt bei dieser Premiere, so durften wir unseren Gratis-Sekt allein trinken! Und nach dem Stück mit dem Schauspieler, Antonio Vaca Lagares, und der Regisseurin, eine sehr sympathische, freundliche und unaufdringliche Frau, Nelly Eichhorn, noch über das Stück diskutieren.
Man wünscht sich dem Stück mehr Zuschauer, weniger aus dem unverständigen bürgerlichen Lager als mehr aus Schulen mit mutigen Lehrern, aber auch aus den Kampfkunstschulen und v. a. Boxschulen, sofern sie nicht auf der anderen Seite stehen.
Gutes Theater scheint mehr im Abseits zu blühen, also suchen wir die Orte und warten auf weitere spannende Stücke.
Das Stück ist Teil des Roma-Tag Festivals.
Was ich dazu lese: Roger Repplinger: Leg dich, Zigeuner. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder. Piper Verlag 2008.