Originalton Schulbuch DDR: »Die rasche Sammlung der antifaschistischen Kräfte und der schwindende Masseneinfluss der Nazis veranlasste die reaktionärsten Kräfte des deutschen Monopolkapitals und der Junker, auf die schnelle Errichtung der faschistischen Terrorherrschaft zu drängen. Namhafte Vertreter forderten von Hindenburg, die sofortige Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.« So steht es im Lehrbuch »Geschichte 9« des Ministeriums für Volksbildung der DDR, Ausgabe 1970, über die Lage im November 1932. Neun Wochen später ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.
Originalton Schulbuch BRD: Nichts.
Lehrer/innen aus der Bundesrepublik haben bisweilen das DDR-Lehrbuch herangezogen, wenn es um die Schilderung des Endes von Weimar ging. Sie sagten, die westdeutschen Schulbücher hätten die Rolle des Kapitals in jener Zeit ausgeblendet.
In der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache hingegen wird zum Motiv der Industrie, Hitler zum Führer zu machen, ausgeführt: »Insbesondere versprach sich die einflussreiche Schwerindustrie von einer Aufrüstung Deutschlands Gewinne.« Nicht ausgeblendet wird die historische »Industrielleneingabe« an Hindenburg in der Gedenkstätte »Widerstand und Verfolgung 1933-1945« in der Dortmunder Steinwache. Noch gibt es den Raum 7 »Die Schwerindustrie setzt auf Hitler«. Ein Raum wie dieser ist in der heutigen BRD wohl einmalig.
Die VVN-BdA in Dortmund setzt sich seit Jahren beharrlich für eine korrekte Darstellung der Geschichte ein. Ihre Ehrenvorsitzende Agnes Vedder, die kürzlich im Alter von 95 Jahren starb, hat bis zuletzt gehofft, dass die Stadt Dortmund den Skandal der Ehrentafel für den Hitler-Finanzier Emil Kirdorf im Stadtteil Eving beendet. An anderer Stelle soll, so schrieb sie unter Bezug auf die Lehren der Geschichte, eine Mahntafel entstehen, dort, wo die Hitler-Finanziers aus der »Ruhrlade« 1933 tagten. Sie schlug vor, »an der Grünanlage Hainallee eine Mahntafel anzubringen«. Dorthin führen Mahngänge. »Sie führen uns auch zu den Stolpersteinen für die Opfer des NS-Regimes. Wir sind der Meinung, dass es auch Erinnerungstafeln an die Täter geben sollte. Darunter jene aus der Wirtschaft.« Deshalb setzt sich die VVN-BdA für die mahnende Kennzeichnung des Ortes der Tagung der »Ruhrlade« im Januar 1933 zur Durchsetzung von Hitlers Kanzlerschaft ein. Begrüßt wurde die Schaffung des Mahnmals auf der Kulturinsel im Phönixsee, das die Verbrechen der Stahlkonzerne an den Zwangsarbeiter/innen aufzeigt (siehe Ossietzky 7/19).
Die Rolle der ökonomischen Eliten in den Schicksalsjahren 1932/33 aufzuzeigen, bedeutet, die Frage zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen?
Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber – um ein Wort von Primo Levi zum Holocaust leicht abzuwandeln – bei uns ist es geschehen, und es kann wieder geschehen. Heute geht es nicht um die Feststellung: Die Schwerindustrie setzt auf die Nazis. Es geht um dies: Die Rüstungsindustrie setzt auf die größte Koalition, geführt vor allem von dem Oligarchen und BlackRock-Rüstungsindustriellen Friedrich Merz, der vor allem die Interessen der US-Rüstungskonzerne vertritt, aber auch jene der deutschen wie Rheinmetall.
Wir erfuhren dies: Rheinmetallchef Armin Papperger freut sich, dass die Zeiten vorbei seien, da man hier in Deutschland »in fast zwei Generationen verlernt habe, wehrhaft zu sein«. Das zitierte die Süddeutsche Zeitung am 28. April 2022 und fuhr fort: »Es mögen ziemlich furchtbare Zeiten sein, aber für einen Hersteller von Kriegsgeräten und seine Aktionäre sind sie lukrativ. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie lag am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine zwischen 94 und 98 Euro. Heute kostet ein Papier 215 Euro.«