Die damals beliebte Berliner Zeitung BZA (Berliner Zeitung am Abend) veröffentlichte in einem Sonderdruck den Beitrag vom 3. Februar 1964 »Der Junge aus ›Nackt unter Wölfen‹ lebt – Buchenwaldkind gefunden«. Darin heißt es: »In einer der Bunkerzellen (des Konzentrationslagers Buchenwald) war es, wo Robert Siewert geschunden wurde, weil er in einer geheimen, aber verratenen Feier die Gedenkrede für den ermordeten Ernst Thälmann gehalten hatte. Er führte die Maurerkolonne.«
Fünfzig Jahre nach seinem Tod ist im Berliner verlag am park eine von Harald Jentsch geschriebene Biografie erschienen. Der Autor, ausgewiesener Kenner der deutschen Arbeiterbewegung, recherchierte umfangreich und gründlich.
Ausführlich und mit vielen Details wird der Lebensweg einer Persönlichkeit nahegebracht, die in frühester Jugend bereits zu verinnerlichen beginnt, dass es lohnt, organisiert für eine bessere Welt einzutreten. Als junger Maurergeselle, Gewerkschafter und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sammelte er auf der Wanderschaft menschliche, fachliche und politische Erfahrungen. Begegnungen mit Lenin, Clara Zetkin, Hermann Duncker, Heinrich Brandler und die Freundschaft mit Fritz Heckert prägten seine antimilitaristische und gegenüber der SPD-Führung kritische Haltung. Nachdem er als Soldat ab 1915 den Krieg erlebt hatte, sah er die gesellschaftliche Alternative in der russischen Revolution vom November 1917. Er verließ die SPD und schloss sich der USPD, später der 1919 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands an, in der er sich zu einem anerkannten und geachteten Funktionär entwickelte.
1920 nahm er als gewählter deutscher Delegierter am IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale in Moskau teil. In den Jahren 1920 bis 1929 gehörte Robert Siewert der KPD-Fraktion im Sächsischen Landtag an. Spannungen in der KPD führten dazu, dass das Zentralkomitee der Partei über seinen weiteren Einsatz verfügte. Bei Beibehaltung seines Landtagsmandats in Sachsen wurde er beauftragt, den Parteiverlag »Vereinigung internationaler Verlagsanstalten GmbH« (VIVA) in Berlin zu leiten. Neben Parteiliteratur gab die VIVA u. a. zeitweilig eine satirische Zeitschrift zur Unterstützung kommunistischer Agitation heraus. Der »Knüppel« wurde maßgeblich von John Heartfield gestaltet.
Am Ende des Jahres 1928 wurde Robert Siewert von allen Funktionen entbunden und im Januar 1929 wegen »rechter Abweichungen« aus der KPD ausgeschlossen. Er hatte sich zur KPD-Opposition (KPD-O) um Heinrich Brandler und August Thalheimer bekannt. Nach der Machtübertragung an die Faschisten gehörte Robert zu den Verantwortlichen, die die KPD-O in die Illegalität führten. Im April 1935 erfolgte seine Verhaftung und im Dezember seine Verurteilung zu drei Jahren Zuchthaus wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«.
Nach Verbüßung der Haftstrafe wies ihn die Gestapo im September 1938 in das noch im Aufbau befindliche KZ Buchenwald ein, wo er als politischer Häftling die Nummer 5044 erhielt. Seine fachliche Kompetenz veranlasste die SS, ihn als Funktionshäftling (»Kapo«) im Baukommando einzusetzen. Kraft seiner Würde ausstrahlenden Persönlichkeit, seiner Souveränität und seines Mutes rettete Robert Siewert das Leben vieler gefährdeter Kameraden. Als während des Krieges auch immer mehr Kinder und Jugendliche in das KZ Buchenwald kamen, war es Robert Siewert, der der SS die Zustimmung abtrotzte, die Jungen zu Bauarbeitern auszubilden.
Als im Lager bekannt wurde, dass die SS Ernst Thälmann ermordet hatte, führten Häftlinge ein illegales Gedenken durch, auf dem Robert Siewert sprach. Er und andere Beteiligte wurden verraten, am 30. Oktober 1944 verhaftet und von der Gestapo bestialisch gefoltert. Robert Siewert überlebte ein halbes Jahr schwerster Folter.
Im Mai 1945 konnte er das Lager verlassen und ging auf Vorschlag der Leitung des illegalen Buchenwalder Parteiaktivs der KPD nach Halle, um erste Schritte für den Wiederaufbau einzuleiten. Bereits im Juli 1945 erfolgte die Bestätigung für Robert Siewert in der Funktion als 1. Vizepräsident und Innenminister der Provinz Sachsen. Enteignung von Nazi- und Kriegsverbrechern, Bodenreform, Schulreform, Säuberung von Verwaltung, Polizei und Justiz wurden Bereiche, denen er sich mit hohem persönlichem Einsatz erfolgreich zuwandte. Zugleich engagierte er sich in der 1947 gegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zu deren leitenden Funktionären er gehörte.
Im Zusammenhang mit Parteiüberprüfungen in der SED bezog er öffentlich zu seiner Mitgliedschaft in der KPD-O Stellung. Sein ständiges Drängen auf Anerkennung seiner ununterbrochene Parteimitgliedschaft seit Eintritt in die SPD 1906 hatte 1959 Erfolg, wobei angemerkt wurde, dass er von 1929 bis 1933 der parteifeindlichen Gruppierung KPD-O angehörte. Im Alter von sechsundachtzig Jahren verstarb Robert Siewert 1973.
Die verdienstvolle Biografie von Harald Jentsch hätte eine sorgfältigere Arbeit des Verlags verdient. Druckfehler sowie inhaltliche Fehler hätten sich vermeiden lassen. In der Inhaltsangabe wird als Geburtsjahr 1987 angegeben, in der Kapitelüberschrift wiederholt sich das. Im Verlagstext auf der Rückseite des Buches erhält er plötzlich den Beruf Zimmermann. Im Verlagstext heißt es »Siewert gehörte der Lagerleitung an«. Das ist falsch! Das Lager wurde allein von der SS geleitet. Es gab auch keine »illegale Lagerleitung« (nd, ebenda). Es gab das illegale internationale Lagerkomitee der Häftlinge. Bedauerlich!
Harald Jentsch: Robert Siewert. Eine Biografie, verlag am park in der edition ost. Berlin, 2023. 395 S., 25 €.