Es gibt Risiken, die einzugehen sich jeder Mensch verbieten sollte. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist so etwas, schon weil er die nicht zu verantwortende Gefahr heraufbeschwört, die in den 15 Nuklear-Reaktoren auf ihrem Boden schlummert.
Die Nato hat Russland in die Lage einer umgekehrten Kuba-Krise katapultiert, indem sie Nuklear-Anlagen immer näher in Richtung russischer Westgrenze brachte und deren Verstärkung öffentlich in den Raum stellte, so Stoltenberg ein einer Transatlantiker-Konferenz in Berlin noch im November vor einem Jahr.
Kennedy drohte in der Kuba-Krise mit der Bombe, sollten die sowjetischen Arsenale dort nicht verschwinden. Zur Abzugsvereinbarung gehörte damals das nicht in der Weltöffentlichkeit kommunizierte Element der Vereinbarung mit Chrustschow, dass die USA ihre nuklearen Arsenale aus der Türkei abzogen.
Die Friedensverstiegenheit der Deutschen, die ein Resultat der zwei Weltkriege und der Friedensbewegung seither war, wird jetzt mit der Lüge sturmreif geschossen, die Nato stehe einem Staat bei, der ein Opfer des imperial kranken Russlands sei.
Die Nato-Osterweiterung ist dafür bekanntermaßen der Hintergrund. Für die Nato ist es klar, dass Russland kein Veto-Recht hat, wer ihr beitritt, und dass man 1990 Gorbatschow die anderslautenden Versprechungen nur unverbindlich unterbreitete. Das bedeutet, die Nato eskaliert die Gefahr bis an die Grenze zu einem erneuten Krieg mit Einsatz nuklearer Arsenale in einem nicht justiziablen Bruch ihrer Worte.
Das nehmen ihr viele aus den Parteien, die mal in der Friedensbewegung mit beteiligt waren, ab. Dass das unglaublich ist, muss uns nicht wundern, da wir ja die Analysen zur Massenpsychologie und Manipulation kennen. Es ist aber auch verlogen: Die Nato-Osterweiterung steht im diametralen Gegensatz zu den völkerrechtlich relevanten Texten der KSZE-Schlussakte, dem 2+4-Vertrag, der Deutschland in seiner jetzigen Form erst mit der Unterstützung Gorbatschows möglich machte, und mit der Charta von Paris und ihrer Friedensordnung, die die Sicherheitsinteressen »eines jeden« (2+4-Vertrag) einzuhalten einforderte.
Die Scheinheiligkeit der doppelten Standards kommt hinzu, wenn man sich die weiteren Völkerrechtsverbrechen von Nato-Staaten vergegenwärtigt.
Wir riefen vor vier Jahrzehnten auf: »Gegen die nukleare Bedrohung gemeinsam vorgehen!« Und wir wussten, nukleare Arsenale, die in Minutenschnelle die »Rivalen« im Osten erreichen, steigern die Gefahr des Atomkriegs aus Versehen, da im Falle, dass die Radarstationen der Macht im Osten einen Angriff anzeigen, kaum mehr Zeit ist, zu überprüfen, ob ein solcher Angriff real im Vollzug ist oder ob der Computer sich irrt. Im Fall eines realen Angriffs besteht die Gefahr, dass der Erstschlag der Nato die eigenen Arsenale zerstört, ehe sie zum Zweitschlag starten könnten. Also steht der Atomkrieg aus Versehen im Raum.
Das generiert die Nato derzeit mit den von US-General Cartwright sogenannten »More usable« (= gebrauchsfreudigeren) Nuklearsystemen, die u. a. ab diesem Monat in Büchel stationiert werden; und sie generiert es mit den Hyperschallraketen Dark Eagle, die Angriffe fast ohne Vorwarnzeit ermöglichen. Wie leben auf einem nuklearen Pulverfass.
1983 schöpfte die Friedenstheologin Dorothee Sölle den Begriff »Atompazifist« – allein diese Haltung erscheint mir angemessen zu sein, wenn wir das 21. Jahrhundert überleben wollen. Hinzu kommt die ökologische Katastrophe. Die Menschheit hat nach den meisten anerkannten Meteorologen nicht mal mehr ein Jahrzehnt Zeit, um CO2 so zu reduzieren, dass das 1,5 Grad-Ziel erreichbar bleibt. Die Auf-/Hochrüstung, Kriegsführung und all ihre Konsequenzen haben allein schon das Potential, diese Marke zu verfehlen und die Zivilisation näher an ihre finale Katastrophe zu treiben.
Nur durch Einhaltung des Völkerrechts, durch Kooperation in gemeinsamer Sicherheit, durch Abrüstung, durch Massenkommunikation mit validen Fakten und ohne Zynismus können wir dieses Jahrhundert überleben.