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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Risiko-Irrsinn

Es gibt Risi­ken, die ein­zu­ge­hen sich jeder Mensch ver­bie­ten soll­te. Der Krieg Russ­lands gegen die Ukrai­ne ist so etwas, schon weil er die nicht zu ver­ant­wor­ten­de Gefahr her­auf­be­schwört, die in den 15 Nukle­ar-Reak­to­ren auf ihrem Boden schlummert.

Die Nato hat Russ­land in die Lage einer umge­kehr­ten Kuba-Kri­se kata­pul­tiert, indem sie Nukle­ar-Anla­gen immer näher in Rich­tung rus­si­scher West­gren­ze brach­te und deren Ver­stär­kung öffent­lich in den Raum stell­te, so Stol­ten­berg ein einer Trans­at­lan­ti­ker-Kon­fe­renz in Ber­lin noch im Novem­ber vor einem Jahr.

Ken­ne­dy droh­te in der Kuba-Kri­se mit der Bom­be, soll­ten die sowje­ti­schen Arse­na­le dort nicht ver­schwin­den. Zur Abzugs­ver­ein­ba­rung gehör­te damals das nicht in der Welt­öf­fent­lich­keit kom­mu­ni­zier­te Ele­ment der Ver­ein­ba­rung mit Chrust­schow, dass die USA ihre nuklea­ren Arse­na­le aus der Tür­kei abzogen.

Die Frie­dens­ver­stie­gen­heit der Deut­schen, die ein Resul­tat der zwei Welt­krie­ge und der Frie­dens­be­we­gung seit­her war, wird jetzt mit der Lüge sturm­reif geschos­sen, die Nato ste­he einem Staat bei, der ein Opfer des impe­ri­al kran­ken Russ­lands sei.

Die Nato-Ost­erwei­te­rung ist dafür bekann­ter­ma­ßen der Hin­ter­grund. Für die Nato ist es klar, dass Russ­land kein Veto-Recht hat, wer ihr bei­tritt, und dass man 1990 Gor­bat­schow die anders­lau­ten­den Ver­spre­chun­gen nur unver­bind­lich unter­brei­te­te. Das bedeu­tet, die Nato eska­liert die Gefahr bis an die Gren­ze zu einem erneu­ten Krieg mit Ein­satz nuklea­rer Arse­na­le in einem nicht justi­zia­blen Bruch ihrer Worte.

Das neh­men ihr vie­le aus den Par­tei­en, die mal in der Frie­dens­be­we­gung mit betei­ligt waren, ab. Dass das unglaub­lich ist, muss uns nicht wun­dern, da wir ja die Ana­ly­sen zur Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Mani­pu­la­ti­on ken­nen. Es ist aber auch ver­lo­gen: Die Nato-Ost­erwei­te­rung steht im dia­me­tra­len Gegen­satz zu den völ­ker­recht­lich rele­van­ten Tex­ten der KSZE-Schluss­ak­te, dem 2+4-Vertrag, der Deutsch­land in sei­ner jet­zi­gen Form erst mit der Unter­stüt­zung Gor­bat­schows mög­lich mach­te, und mit der Char­ta von Paris und ihrer Frie­dens­ord­nung, die die Sicher­heits­in­ter­es­sen »eines jeden« (2+4-Vertrag) ein­zu­hal­ten einforderte.

Die Schein­hei­lig­keit der dop­pel­ten Stan­dards kommt hin­zu, wenn man sich die wei­te­ren Völ­ker­rechts­ver­bre­chen von Nato-Staa­ten vergegenwärtigt.

Wir rie­fen vor vier Jahr­zehn­ten auf: »Gegen die nuklea­re Bedro­hung gemein­sam vor­ge­hen!« Und wir wuss­ten, nuklea­re Arse­na­le, die in Minu­ten­schnel­le die »Riva­len« im Osten errei­chen, stei­gern die Gefahr des Atom­kriegs aus Ver­se­hen, da im Fal­le, dass die Radar­sta­tio­nen der Macht im Osten einen Angriff anzei­gen, kaum mehr Zeit ist, zu über­prü­fen, ob ein sol­cher Angriff real im Voll­zug ist oder ob der Com­pu­ter sich irrt. Im Fall eines rea­len Angriffs besteht die Gefahr, dass der Erst­schlag der Nato die eige­nen Arse­na­le zer­stört, ehe sie zum Zweit­schlag star­ten könn­ten. Also steht der Atom­krieg aus Ver­se­hen im Raum.

Das gene­riert die Nato der­zeit mit den von US-Gene­ral Cart­wright soge­nann­ten »More usable« (= gebrauchs­freu­di­ge­ren) Nukle­ar­sy­ste­men, die u. a. ab die­sem Monat in Büchel sta­tio­niert wer­den; und sie gene­riert es mit den Hyper­schall­ra­ke­ten Dark Eagle, die Angrif­fe fast ohne Vor­warn­zeit ermög­li­chen. Wie leben auf einem nuklea­ren Pulverfass.

1983 schöpf­te die Frie­dens­theo­lo­gin Doro­thee Söl­le den Begriff »Atom­pa­zi­fist« – allein die­se Hal­tung erscheint mir ange­mes­sen zu sein, wenn wir das 21. Jahr­hun­dert über­le­ben wol­len. Hin­zu kommt die öko­lo­gi­sche Kata­stro­phe. Die Mensch­heit hat nach den mei­sten aner­kann­ten Meteo­ro­lo­gen nicht mal mehr ein Jahr­zehnt Zeit, um CO2 so zu redu­zie­ren, dass das 1,5 Grad-Ziel erreich­bar bleibt. Die Auf-/Hoch­rü­stung, Kriegs­füh­rung und all ihre Kon­se­quen­zen haben allein schon das Poten­ti­al, die­se Mar­ke zu ver­feh­len und die Zivi­li­sa­ti­on näher an ihre fina­le Kata­stro­phe zu treiben.

Nur durch Ein­hal­tung des Völ­ker­rechts, durch Koope­ra­ti­on in gemein­sa­mer Sicher­heit, durch Abrü­stung, durch Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on mit vali­den Fak­ten und ohne Zynis­mus kön­nen wir die­ses Jahr­hun­dert überleben.