Für die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald endete am 19. April 1945 das Gedenken an die Opfer der nazistischen Barbarei mit dem »Schwur von Buchenwald«. Zeitzeugen berichteten, wie ihnen die feierliche Stimmung auf dem ehemaligen Appellplatz zugleich Hoffnung und Zuversicht verlieh.
Weniger Beachtung fand, dass am Abend dieses denkwürdigen Tages in der Kino-Baracke des Lagers Häftlinge des KZs für ihre Kameraden Jazz spielten. Ein Jazz-Orchester hinter Stacheldraht, von den Nazis als »entartet« verbotene Musik im Konzentrationslager? Schwer vorstellbar.
Franka Günther, Leiterin des französischen Kulturbüros in Thüringen, und Marketa Kroupova, ihre tschechische Weggefährtin, stellten anlässlich des diesjährigen Gedenkens an den Buchenwalder Befreiungstag Ergebnisse ihrer aufwändigen, intensiven, beinahe weltweiten Forschungen zum Jazz-Orchester der Häftlinge des KZ Buchenwald vor. In mühevoller, akribischer Arbeit und mit fast detektivischem Spürsinn hoben die beiden Frauen einen Schatz.
Es gelang ihnen überzeugend, an die Menschen zu erinnern, die als gedemütigte und selbst bedrängte Häftlinge die Kraft aufbrachten, das eigene Elend zu übertönen, mit ihrer Musik anderen Freude zu bereiten und Mut zu machen.
Neben einigen bisher nicht bekannten interessanten Sachzeugnissen fanden sie zwei Programme von Konzerten, die im November 1944 und am 19. April 1945 aufgeführt wurden.
Unter Leitung von Professor Gero Schmidt-Oberländer spielten die Big Band und das Jazz-Orchester der Musikhochschule »Franz Liszt« in Weimar Stücke aus diesen Programmen. Die Freude des Professors und der begeistert musizierenden Studierenden übertrug sich mit den ersten Takten der Erkennungsmelodie des Buchenwalder Jazz-Orchesters »Železné koštĕ« (Der eiserne Besen) von Jaroslav Bartl und Jiří Žák auf das Publikum.
Die Idee, im KZ Buchenwald ein Jazz-Orchester zu gründen, entstand bereits 1939. Es hatte sich eine kleine Gruppe jüngerer Häftlinge gebildet, die nur mit ihrem Gesang in die Unterkünfte zog, um die Kameraden zu ermuntern. Die illegal agierende Gruppe fand Zuspruch, gestaltete schließlich die Programme anspruchsvoller, und es gelang sogar, einige Instrumente einzusetzen.
Mit der Internationalisierung des Lagers erweiterten sich die Möglichkeiten der zunächst kleinen Gruppe. In dem Maße wie es gelang, Kriminelle aus den Häftlingsfunktionen zu verdrängen und diese mit zuverlässigen Kameraden zu besetzen, konnte für das illegale Orchester eine relativ legale Basis geschaffen werden. Als der SS ein Kommando »Transportschutz« abgerungen war, ließen sich dort Musiker integrieren. Die Unterkunft dieses Kommandos befand sich im »Kleinen Lager«, dem Quarantänelager, das die SS weitestgehend mied. Somit waren Möglichkeiten zum Üben und Proben gegeben. Dem vernetzten illegalen Widerstand gelang es unter anderem, in der Effektenkammer vorhandene Instrumente für die Musiker zu organisieren, Notenpapier zu beschaffen und vielfältigste Verbindungen zu nutzen, um das Orchester zu unterstützen.
Als am 1. August 1943 die offizielle Lagerkapelle ihr erstes Konzert gab, spielte das Jazz-Orchester mit dem Namen »Rhythmus« zum ersten Mal auf. Bis 31. Dezember 1944 gab es insgesamt siebenundzwanzig Konzerte. Verschiedentlich nahmen daran SS-Leute teil. Es entstand die absurde Situation, dass sie dem »draußen« verbotenen Jazz im Lager begeistert Beifall spendeten.
Bekannt sind bis jetzt insgesamt zweiundzwanzig Musiker aus neun Ländern, die unter Leitung des tschechischen politischen Häftlings Jiří Žák in dem Orchester mitspielten. Neun Tschechen, fünf Franzosen, zwei Holländer, jeweils ein Deutscher, Belgier, Russe, Amerikaner, Lette und Däne gehörten dem Orchester an. Zum Teil handelte es sich um bekannte, gestandene Musiker.
Franka Günther und Marketa Kroupova kombinierten in einem zweistündigen spannungsvollen Programm klug Lebensbilder von Musikern des Orchesters, zitierten aus Briefen, Tagebüchern und Berichten, sodass im Einklang mit exzellenter Musik erlebt werden konnte, was der französische Dirigent, Komponist und Arrangeur Yves Darriet als politischer Häftling in Buchenwald schrieb: »Jazz: Das ist die Kunst der Begeisterung, die die Massen und eine freundschaftliche Atmosphäre braucht und sich anfühlt, als ob der nur mit seinem Instrument bewaffnete Mensch gegen eine leicht dümmliche Masse kämpft und sie dank der Erfahrung seiner jahrhundertealten Träume und Schmerzen besiegt.«