Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Requiem für eine Kettensäge

Das Büro­kra­tie­mon­ster soll erlegt wer­den. Das ist die Bot­schaft, die tag­täg­lich über unse­re Bild­schir­me flim­mert und die Radio­wel­len zum Beben bringt. Nun hat das, was wir bis vor Kur­zem immer noch Bun­des­re­gie­rung nann­ten, für die­se Aus­ge­burt des Bösen ein schul­di­ges Gesetz gefun­den, das noch 2023 abge­schafft wer­den soll­te, so der Kanz­ler beim Kon­gress der deut­schen Arbeit­ge­ber und schon vor­her der unter­neh­mer­will­fäh­ri­ge Wirt­schafts­mi­ni­ster. Es geht um das »Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz« (oft auch kür­zer als Lie­fer­ket­ten­ge­setz bezeich­net) aus dem Jahr 2021, noch unter der schwarz-roten Koali­ti­on ver­ab­schie­det. Natür­lich will es auch die CDU abschaf­fen, wie ihrem Wahl­pro­gramm zu ent­neh­men ist. Die­ses jetzt zum Abschuss frei­ge­ge­be­ne Gesetz wur­de geschaf­fen, um Unter­neh­men, die glo­bal tätig sind, dazu zu brin­gen, genau­er dar­auf zu ach­ten, was in ihren Lie­fer­ket­ten, also etwa in den Fabri­ken in Ost­asi­en, wo vie­le der in Euro­pa ver­trie­be­nen Arti­kel, z. B. Tex­ti­li­en, her­ge­stellt wer­den, geschieht. Und dass dort viel pas­siert, was nichts mit men­schen­wür­di­ger Arbeit zu tun hat, son­dern schwer­ste Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen nicht unüb­lich sind, das lässt sich an vie­len Bei­spie­len aufzeigen.

Nur zwei beson­ders kras­se Fäl­le aus den Jah­ren 2012 und 2013 aus Paki­stan und Ban­gla­desch sei­en erwähnt: Im Sep­tem­ber 2012 star­ben 258 Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter bei einem Brand in der Tex­til­fa­brik »Ali Enter­pri­ses« in der Stadt Karat­schi in Paki­stan. Min­de­stens 32 Men­schen wur­den ver­letzt, teil­wei­se lebens­ge­fähr­lich. Sie erstick­ten oder ver­brann­ten, weil vie­le Fen­ster ver­git­tert, Not­aus­gän­ge ver­schlos­sen und nur eine Tür des Gebäu­des geöff­net waren. Wich­tig­ster Kun­de der abge­brann­ten Fabrik war das deut­sche Tex­til­un­ter­neh­men KiK, das nach eige­nen Anga­ben im Jahr 2011 bis zu 75 Pro­zent der Pro­duk­ti­on kauf­te. Man habe regel­mä­ßig die Arbeits­platz­si­cher­heit und son­sti­ge Arbeits­be­din­gun­gen durch Audit-Fir­men begut­ach­ten las­sen, ver­si­cher­te KiK. Außer­dem sei man mit eige­nen Mit­ar­bei­tern bei sei­nen Zulie­fe­rern vor Ort, bei­spiels­wei­se um The­men wie Brand­schutz zu diskutieren.

Die Über­le­ben­den und Hin­ter­blie­be­nen des Fabrik­brands grün­de­ten mit­hil­fe der paki­sta­ni­schen Gewerk­schaft NTUF die Orga­ni­sa­ti­on »Ali Enter­pri­ses Fac­to­ry Fire Affec­tees Asso­cia­ti­on« und zogen vor das Land­ge­richt Dort­mund, aller­dings erfolg­los, da ihre Ansprü­che nach des­sen Auf­fas­sung ver­jährt waren.

Der bekann­te­ste und schlimm­ste Vor­fall in Ban­gla­desch war der Ein­sturz der »Rana-Plaza«-Textilfabrik nahe Dha­ka 2013, bei dem mehr als 1100 Men­schen star­ben und über 2000 ver­letzt wur­den. Die Fabrik pro­du­zier­te für Fir­men wie Pri­mark, Benet­ton, Man­go und KiK.

Das jetzt so geschol­te­ne Gesetz hat bis­lang nur men­schen­recht­li­che Stan­dards umge­setzt, fest­ge­schrie­ben unter ande­rem in den UN Gui­ding Prin­ci­ples of Busi­ness and Human Rights von 2011, poli­tisch imple­men­tiert durch den 2016 ver­ab­schie­de­ten Natio­na­len »Akti­ons­plan Wirt­schaft und Men­schen­rech­te«, ver­stärkt durch EU-Rechts­ak­te wie die Cor­po­ra­te Social Respon­si­bi­li­ty Richt­li­nie von 2014 und die Ver­ord­nung zu sog. Kon­flik­troh­stof­fen aus 2017. All das scheint den muti­gen Ket­ten­sä­gern ent­gan­gen zu sein. Zwar rich­ten sich die­se Vor­schrif­ten nicht direkt an Unter­neh­men, son­dern an die Staa­ten, die sie ver­ab­schie­det haben. Gleich­wohl hat sich inzwi­schen die Auf­fas­sung durch­ge­setzt, dass es eine »unter­neh­me­ri­sche Ver­ant­wor­tung« bzw. »eine men­schen­recht­li­che Sorg­falts­pflicht deut­scher Unter­neh­men« gibt, wie es im Natio­na­len Akti­ons­plan heißt. Deutsch­land ist hier also mit­nich­ten vorgeprescht.

Wer sol­che die unter­neh­me­ri­sche »Frei­zü­gig­keit« ein­schrän­ken­den Vor­schrif­ten bekämp­fen will, der ver­weist hier wie in vie­len ande­ren Fäl­len auf die Selbst­re­gu­lie­rungs­kräf­te des Mark­tes und die ach so erfolg­rei­chen Bemü­hun­gen der Unter­neh­men, sol­cher Ver­ant­wor­tung gerecht zu wer­den. Das mache eine gesetz­li­che Rege­lung über­flüs­sig. Lei­der zeigt sich hier und anders­wo, dass die Behaup­tung sol­cher Bemü­hun­gen oft nicht das Papier wert ist, auf das sie in regel­mä­ßi­gen Abstän­den geschrie­ben wird, auch wenn sich etwa KiK, wie einem Bericht der Frank­fur­ter Rund­schau zu ent­neh­men ist, um Bes­se­rung bemüht. Der Applaus der Wirt­schaft für die Ket­ten­sä­gen­fan­ta­sien zeigt aber, dass man dort eigent­lich kei­ne Ände­run­gen will.

Doch gibt es auch noch die euro­päi­sche Ebe­ne: Selbst, wenn in Deutsch­land die Ket­ten­sä­ger erfolg­reich wer­den, sind die ach so gegän­gel­ten Unter­neh­men noch lan­ge nicht aus dem Schnei­der. Zum gro­ßen Bedau­ern der FDP hat die Euro­päi­sche Uni­on näm­lich mitt­ler­wei­le eine Richt­li­nie ver­ab­schie­det, die durch­aus noch wei­ter geht als das deut­sche Gesetz, und das sogar gegen den Wider­stand des Hege­mons Bun­des­re­pu­blik. Die Richt­li­nie eröff­net näm­lich aus­drück­lich die Mög­lich­keit von Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen gegen Unter­neh­men, die ihre Lie­fer­ket­te nicht ange­mes­sen kon­trol­lie­ren; das deut­sche Gesetz hat­te ver­sucht, sol­che Stra­fen weit­ge­hend aus­zu­schlie­ßen. So ganz stumpf wäre die Ket­ten­sä­ge gleich­wohl nicht; denn die Richt­li­nie muss erst noch in deut­sches Recht umge­setzt wer­den, und dazu hat die Bun­des­re­pu­blik zwei Jah­re nach Ver­öf­fent­li­chung der Richt­li­nie Zeit. Auch danach gibt es noch Fri­sten, wann deren Bestim­mun­gen kon­kret in Kraft treten.

Aber was für ein Bild gibt ein Land ab, das sich immer nur dann laut­stark für Men­schen­rech­te ein­setzt, wenn die eige­ne Wirt­schaft davon nicht betrof­fen ist?

Der Ver­gleich des Bun­des­kanz­lers mit einer Ket­ten­sä­ge – gern auch vom argen­ti­ni­schen Prä­si­den­ten benutzt – ist viel­leicht nicht so falsch. Mit ihr begren­zen er und Habeck mög­li­cher­wei­se die Büro­kra­tie. Dafür zer­stö­ren sie einen Gut­teil deut­scher Glaub­wür­dig­keit in Punk­to Men­schen­rech­te und Kampf gegen völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zustän­de. Viel­leicht soll­ten sie erst ein­mal einen Kurs im Umgang mit Ket­ten­sä­gen machen. Teil­wei­se sind dafür näm­lich ent­spre­chen­de Schu­lun­gen verpflichtend!