Am 18. März, ab 8.37 Uhr strahlte der Rundfunksender NDR info einen Beitrag im Zusammenhang mit den Plänen der EU aus, einen Milliarden-Deal mit Ägypten abzuschließen, damit das Partnerland die Fluchtmöglichkeiten in Richtung Europa einschränkt.
Der Beitrag wurde mit einem Ausschnitt aus einem Propaganda-Video der ägyptischen Regierung eingeleitet, das folgendermaßen beschrieben wurde: »Sirenen heulen. Ein Mann sitzt mit anderen auf dem Boden. Sein Blick wirkt traurig. Er sagt [übersetzter O-Ton]: ›Der Weg, den du wählst, ist deine Entscheidung. Illegale Migration ist gefährlich. Sie ist keine Lösung.‹«
Ich war überrascht: Das wiedergegebene Video erinnerte mich an ein anderes, das Die Welt am 30.11.2007 in einem Artikel mit den folgenden Worten beschrieben hatte: »Mit einem schonungslosen TV-Spot sollen illegale Einwanderer veranlasst werden, ihr Glück nicht in Europa zu suchen. Er wird derzeit in Kamerun und in Nigeria gezeigt, möglicherweise bald auch im Kongo. Die klare Botschaft an die verzweifelten Menschen lautet: Bleibt zu Hause!
Ein junger Schwarzer, irgendwo in einer Telefonzelle. Eine kalte Nacht, es regnet in Strömen in der Stadt, die offenbar in Europa liegt. Der Mann wählt eine Nummer, am anderen Ende der Leitung hebt ein älterer Herr ab. Er sitzt in einem behaglichen Wohnzimmer in Afrika. ›Hallo Vater‹, sagt der junge Mann, ›hier ist Christian.‹ (…) ›Wie geht es Dir?‹, fragt der Vater. ›Hast Du schon eine Wohnung? Hast Du Dich an der Uni eingeschrieben?‹ Der Sohn antwortet ausweichend, kurze Sequenzen werden eingeblendet: Der junge Mann flüchtet vor Polizisten, sitzt bettelnd auf der Straße. ›Aidez-moi‹, ›Helfen Sie mir‹, hat er auf ein Plakat geschrieben. Frierend nächtigt er unter einer Brücke, Kartons als Bettstatt. ›Ich kann Anspannung in Deiner Stimme hören‹, fragt der Vater besorgt. ›Ach, das ist nur, weil ich den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen bin. Ich habe so viel zu tun‹, gibt der Befragte zurück. ›Leaving is not always living‹ lautet der letzte Satz im Abspann – ›Weggehen bedeutet nicht immer Leben‹.« (Der Film entstand unter der Federführung des Schweizer Bundesamts für Migration.)
Ich war auf diesen Beitrag aufmerksam geworden, weil er das damalige EU-Programm AENEAS veranschaulichte, und ich daraufhin einen Typus des Missbrauchs von Traditionen der antiken Mythologie skandalisieren wollte, durch den eine ökonomisch fundierte Interessenpolitik Anteil an den Weihen des abendländischen Bildungserbes erlangen will. Besonders perfide: Der Namensgeber des Programms, der Trojaner Aeneas, der mit seinem alten Vater Anchises auf dem Rücken und seinem kleinen Sohn Ascanius an der Hand aus der brennenden Stadt flüchtet, kann im Subtext als der Eindringling in Italien interpretiert werden, der dort im Kampf mit den Indigenen das spätere Rom gründet und dessen moderner Prototyp als potenzieller Eindringlich und Usurpator ferngehalten werden müsse.
Der Zynismus der Propaganda ist im ägyptischen Video der gleiche. Im aktuellen Fall tritt er allerdings umso krasser hervor, weil der Begriff der »Remigration«, die eben schon im Vorfeld verhindert werden soll, hierzulande in den vergangenen Monaten Tausende und Abertausende auf die Straße getrieben hat, und weil gleichzeitig die EU gegen die Kritik in vielen Zeitungen und anderen Medien isoliert dasteht: Kritik, die in unterschiedlichen Tonlagen, aber gleichem Tenor vorgebracht wird. Genannt seien nur wenige Beispiele: SPIEGEL (»Europa verkauft sein moralisches Kapital«), NZZ (»Mit dem Milliardenpaket kauft man sich den guten Willen in Kairo – doch Skepsis ist geboten.«), FAZ (»Heftige Kritik an geplantem EU-Migrationsabkommen mit Ägypten«).
Der EU fällt nichts Besseres ein, als dieselbe Taktik zu wiederholen, die an der Identitären Bewegung kritisiert wird. Nur dass inzwischen auf humanistische Umhüllung mittels Rückgriffs auf antike Mythologie verzichtet wird.