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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Reichtum und Demokratie

»Die Rei­chen jubeln, die Armen lei­den«, berich­te­te am 8. März 2013 der SPIEGEL über den dama­li­gen Boom der US-Bör­se. »Die Wall Street schreibt täg­lich Rekor­de, doch nicht alle kön­nen sich dar­über freu­en. Der Boom geht an den mei­sten Ame­ri­ka­nern vor­bei. Das US-Spar­dik­tat macht das nur schlim­mer – die Kluft zwi­schen Arm und Reich wächst.« Die­se Beschrei­bung gilt im Gro­ßen und Gan­zen für alle Län­der der ersten Welt, und an ihr hat sich bis heu­te nichts geän­dert. In Deutsch­land besit­zen die reich­sten zehn Pro­zent der Bevöl­ke­rung cir­ca 67 Pro­zent des gesam­ten vor­han­de­nen Ver­mö­gens. Die unte­ren fünf­zig Pro­zent besit­zen etwa 2 Pro­zent. In der EU besitzt das reich­ste Pro­zent 22 Pro­zent des Ver­mö­gens, in den USA sind es 35 Pro­zent. Wir fin­den die­se Grund­form der Ungleich­geit in allen Gesell­schaf­ten. Dabei ist die begriff­li­che Tren­nung von Ungleich­heit und Unge­rech­tig­keit wich­tig. Ungleich­heit lässt sich sta­ti­stisch objek­tiv beschrei­ben, eine Defi­ni­ti­on von Unge­rech­tig­keit, der alle zustim­men wür­den, gibt es so wenig wie von Gerech­tig­keit. Selt­sam ist dabei, dass man auf die­sen Begriff, der in Bezug auf die sozio­öko­no­mi­schen Besitz­ver­hält­nis­se nicht ver­bind­lich defi­nier­bar ist, nicht ver­zich­ten kann.

Allein für die Sanie­rung von Stra­ßen und Auto­bahn­brücken wären (Stand Mai 2024) in den kom­men­den 10 Jah­ren 600 Mil­li­ar­den Euro nötig, was nur über Schul­den zu finan­zie­ren ist, sagen sowohl das arbeit­ge­ber­freund­li­che Insti­tut der deut­schen Wirt­schaft (IW) als auch das eher neu­keyne­sia­nisch ori­en­tier­te Deut­sche Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung (DIW). Kanz­ler und Finanz­mi­ni­ster jedoch leh­nen das ab. Die Brücken, Stra­ßen und Bahn­glei­se müs­sen wei­ter ver­rot­ten. Eine Reform der Pfle­ge­ver­si­che­rung, die auch aus Steu­ern finan­ziert wer­den müss­te, ist nicht durch­setz­bar. Das Bil­dungs- und das Gesund­heits­sy­stem sind chro­nisch unter­fi­nan­ziert, die Woh­nungs­not nimmt zu, genau­so die Alters­ar­mut und Kin­der­ar­mut, Kom­mu­nen kön­nen ihre öffent­li­chen Schwimm­bä­der nicht mehr finan­zie­ren; die kli­ma­po­li­ti­schen Zie­le wer­den regel­mä­ßig ver­fehlt, weil für eine sinn­vol­le Poli­tik die öffent­li­che Hand so wenig Geld hat wie für alles ande­re. »Wenn gefühlt jede zwei­te Roll­trep­pe in Deutsch­land kaputt ist, dann sagt das etwas«, meint sogar Ste­fan Schai­b­le, Chef des Bera­tungs­kon­zerns Roland Ber­ger im SPIEGEL-Inter­view (23.04.2024) Man kann also von einem veri­ta­blen Staats­ver­sa­gen sprechen.

Gleich­zei­tig fällt auf, dass die Klas­se der wirk­lich Rei­chen und Super­rei­chen steu­er­lich vom Staat nicht adäquat zu ihren Mög­lich­kei­ten her­an­ge­zo­gen wird. Das Ver­mö­gen selbst wird gar nicht besteu­ert, Ein­kom­men aus Ver­mö­gen mit nur 25 Pro­zent. Ein BMW-Aktio­när, der im Jahr z.B. eine Mil­li­ar­de Euro an Divi­den­den aus sei­nen Akti­en ver­dient, gibt nur 250 Mil­lio­nen Euro an die All­ge­mein­heit ab. Für vie­le Leu­te klingt das nach sehr viel, denn so viel wür­den sie in fünf­tau­send Jah­ren nicht ver­die­nen. Für Mil­li­ar­dä­re aller­dings ist es ein lächer­li­cher Betrag. Es gibt eini­ge weni­ge Rei­che, die sel­ber sagen, dass sie zu wenig Steu­ern bezah­len. Aber es ist eben nur ihrem Emp­fin­den nach so, denn Unge­rech­tig­keit ist eine sub­jek­ti­ve Kate­go­rie. Ein fun­da­men­ta­li­sti­scher, der neo­li­be­ra­len Spar­po­li­tik ver­pflich­te­ter Finanz­mi­ni­ster Lind­ner emp­fin­det ganz anders. Ken­ner der Geschich­te aber füh­len sich durch ihn an Hein­rich Brü­ning erin­nert, der Deutsch­land 1932 mit sei­nem Spar­kurs dem Rechts­extre­mis­mus aus­lie­fer­te, wäh­rend ein F.D. Roo­se­velt mit sei­nem New Deal (Schul­den und Steu­er­erhö­hun­gen für die Rei­chen) die USA aus der Welt­wirt­schafts­kri­se rettete.

Bedenkt man aller­dings, dass der Haupt­zweck jeder Art und Form von Herr­schaft von der Anti­ke bis heu­te (mit der ein­zi­gen Aus­nah­me des geschei­ter­ten Kom­mu­nis­mus-Ver­suchs in den gut 70 Jah­ren zwi­schen 1917 und 1990 in der Sowjet­uni­on) Schutz und Bewah­rung des Reich­tums der Begü­ter­ten war und ist, dann rela­ti­viert sich der Vor­wurf des Staats­ver­sa­gens. Der Daseins­zweck auch des moder­nen Staa­tes, so lesen wir etwa bei Hob­bes und Locke, bei Kant und Hegel, ist der Schutz des pri­va­ten Eigen­tums. Eigen­tum ist die Ermög­li­chung von Hand­lungs­frei­heit. Wer irgend­wie han­delt, ver­fügt in der Regel über Din­ge und über Men­schen. Und die­ses »Ver­fü­gen über« wird vom Bür­ger­tum Frei­heit genannt, wobei mehr Frei­heit für den einen Men­schen auf Kosten der Frei­heit ande­rer geht. (Es gibt auch ande­re Ver­ständ­nis­se von Frei­heit, etwa das von Karl Marx, in dem mehr Frei­heit des einen auch mehr Frei­heit des ande­ren bedeu­tet. Aber die­se Mög­lich­keit ist heu­te den wenig­sten bewusst.) Um über etwas oder jeman­den ver­fü­gen zu kön­nen, bedarf es der Ver­fü­gungsgewalt dar­über, und die­se beruht letzt­lich immer auf Eigen­tum. Wer z. B. so viel Grund besitzt, dass er ihn allein nicht bear­bei­ten kann, braucht die Arbeits­kraft ande­rer Men­schen, die sei­nen Grund (als Skla­ven, Leib­ei­ge­ne oder Lohn­ar­bei­ter) bear­bei­ten. Da ein Mensch sein Eigen­tum nicht allein schüt­zen kann, und je grö­ßer es ist, umso weni­ger, braucht er die staat­li­che Gewalt und das von ihr gesetz­te Recht, damit ihm sein Eigen­tum erhal­ten bleibt. Inso­fern sind Steu­ern eine nur schein­bar para­do­xe Ange­le­gen­heit; zwar nimmt der Staat mit den Steu­ern den mei­sten Bür­gern etwas weg, wodurch er sei­nem Daseins­zweck zunächst zu wider­spre­chen scheint. Aller­dings braucht er zum Schutz des Eigen­tums der Bür­ger Poli­zei, Gerich­te, eine Ver­wal­tung usw., und die muss er finan­zie­ren. Jeder, auch wenn er noch so reich ist, sieht also ein, dass er ein wenig abge­ben muss, wenn sein Reich­tum geschützt wer­den soll.

Der Phi­lo­soph Chri­sti­an Neu­häu­ser schlägt in sei­nem Buch Reich­tum als mora­li­sches Pro­blem (2018) vor, für Ein­kom­men eine Ober­gren­ze ein­zu­füh­ren und alles, was dar­über liegt, mit 100 Pro­zent zu besteu­ern. Man kann dann dar­über strei­ten, wo die­se Ober­gren­ze genau lie­gen soll. Als im anti­ken Athen Solon eine neue Ver­fas­sung aus­ar­bei­te­te, in der es vor allem dar­um ging, für die Zukunft zu ver­hin­dern, dass Klein­bau­ern wegen ihrer Ver­schul­dung bei Groß­grund­be­sit­zern in die »Schuld­knecht­schaft« fal­len, d. h. fak­tisch zu Skla­ven wer­den, rie­fen vie­le nach einer Boden­re­form und Neu­ver­tei­lung des Grund­be­sit­zes. Solon kam dem Vor­schlag nicht nach, führ­te aber tat­säch­lich eine Ober­gren­ze für Grund­be­sitz ein, damit es über den ins Unend­li­che wach­sen­den Reich­tum nicht doch wie­der zur Ver­skla­vung der Klein­bau­ern kom­men wür­de. Man muss sich also fra­gen, wes­halb heu­ti­ge Regie­run­gen sich die Weis­heit eines Solon nicht zum Vor­bild neh­men und den Reich­tum deckeln, um die kras­se Armut am unte­ren Ende der Gesell­schaft zu lin­dern. Auch die bel­gisch-nie­der­län­di­sche Phi­lo­so­phin Ingrid Robeyns for­dert in ihrem im April 2024 erschie­nen Buch Limita­ris­mus. War­um Reich­tum begrenzt wer­den muss drin­gend eine Ober­gren­ze für pri­va­ten Reich­tum. Die effek­ti­ve Begren­zung des Reich­tums hät­te neben der Beschrän­kung unde­mo­kra­ti­scher poli­ti­scher Macht der weni­gen Rei­chen vor allem den Vor­teil, dass der Staat dann end­lich genug Geld hät­te, um zum Nut­zen der brei­ten Bevöl­ke­rung die Pro­ble­me zu lösen, an denen er immer öfter und nach­hal­ti­ger schei­tert. Im öffent­li­chen Dis­kurs gel­ten sol­che Über­le­gun­gen, die mit Kom­mu­nis­mus und einer echt ega­li­tä­ren Gesell­schaft noch gar nichts zu tun haben, heu­te schon als links­extrem. Denn auch die Medi­en sind, ohne dass ihnen das bewusst wird, längst vom Neo­li­be­ra­lis­mus ver­ein­nahmt und kol­lek­tiv nach rechts gerückt. Das Argu­ment gegen eine höhe­re Besteue­rung des Reich­tums lau­tet, dass das zur Kapi­tal­flucht und damit zu noch weni­ger Steu­ern füh­ren wür­de, denn zwi­schen Staa­ten herr­sche (dum­mer­wei­se) eine steu­er­po­li­ti­sche Konkurrenz.

Ein kaum bekann­tes Gedan­ken­ex­pe­ri­ment stellt für eine Gesell­schaft das gering­ste Ein­kom­men und das höch­ste Ein­kom­men gegen­über und fragt, wie hoch die Sprei­zung zwi­schen arm und reich sein darf. Soll am rei­chen Ende das Zehn­fa­che des nied­rig­sten Ein­kom­mens ver­dient wer­den, das Zwan­zig­fa­che, das Hun­dert­fa­che oder das Tau­send­fa­che? Nicht nur Libe­ra­le wol­len mit sol­chem Den­ken nichts zu tun haben, auch sozi­al­de­mo­kra­ti­sche oder grü­ne Par­tei­en und Regie­run­gen wol­len an der Ungleich­ver­tei­lung nichts ändern. Der Aus­druck »sozia­le Gerech­tig­keit« steht zwar in allen Par­tei­pro­gram­men, er ist aber längst zu einer wohl­fei­len Flos­kel gewor­den, die in jedem Wahl­kampf pla­ka­tiert und in jeder Talk­show nach Belie­ben in die Run­de gewor­fen wer­den kann. Frei­heit gehört nicht nur den Rei­chen ist der Titel eines bekann­ten Buches von Lisa Her­zog (2013). Aber sie irrt, denn Frei­heit ist in der kapi­ta­li­stisch-markt­kon­for­men Demo­kra­tie eine direkt an Geld gekop­pel­te Varia­ble. Je rei­cher man ist, umso frei­er ist man. Was Lisa Her­zog meint, ist: Frei­heit soll­te nicht nur den Rei­chen gehö­ren. Aber die­ser Appell trifft in der Poli­tik, auch in der Demo­kra­tie auf tau­be Ohren. Denn Poli­tik ist vor allem ande­ren der Schutz des Reich­tums, auch und gera­de in der Demokratie.

In sei­nem Jour­nal of the Con­sti­tu­tio­nal Con­ven­ti­on von 1787, in dem er über die Ver­hand­lun­gen im Ver­fas­sungs­kon­vent in Phil­adel­phia berich­tet, schreibt James Madi­son: »Wenn in Eng­land heu­te die Wah­len allen Bevöl­ke­rungs­schich­ten offen stün­den, wäre das Eigen­tum der Grund­be­sit­zer in Gefahr. Sofort wür­de eine gesetz­lich erwirk­te Boden­re­form in Kraft tre­ten. Wenn die­se Ein­schät­zung stimmt, soll­te also unse­re Regie­rungs­form eine dau­er­haf­te Absi­che­rung der Inter­es­sen der Grund­be­sit­zer gegen mög­li­che Inno­va­tio­nen sein. (…) Die Regie­rungs­form muss so ein­ge­rich­tet sein, dass die Min­der­heit der Begü­ter­ten gegen die Mehr­heit geschützt wird.« Genau so wur­de es dann gemacht, und das ist die Grund­la­ge der demo­kra­ti­schen US-Ver­fas­sung bis heu­te. Auch das Grund­ge­setzt schützt (in Arti­kel 14) Eigen­tum und Erbrecht, und setzt ganz vage ohne jede Ver­bind­lich­keit hin­zu: »Eigen­tum ver­pflich­tet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Woh­le der All­ge­mein­heit die­nen.« Was das »Wohl der All­ge­mein­heit« ist, bleibt der Fan­ta­sie eines jeden ein­zel­nen überlassen.

Im Zuge der Ent­ste­hung der moder­nen Demo­kra­tie vom Ende des 18. Jahr­hun­derts an (Ame­ri­ka, Frank­reich, Eng­land) war das Wahl­recht immer an Eigen­tum (z. B. an eine bestimm­te Höhe bezahl­ter Steu­ern oder an Immo­bi­li­en­be­sitz) gebun­den. Erst nach dem 1. Welt­krieg wur­de die­se Ein­schrän­kung auf­ge­ho­ben. Der Wohl­stand begann, ein wenig nach unten durch­zu­sickern und die Angst der Rei­chen, dass die Mas­sen ihr Wahl­recht zu Ent­eig­nungs­zwecken ein­set­zen könn­ten, nahm ab. Die Hoff­nung von Lin­ken, dass auf demo­kra­ti­schem Wege, d. h. über Wah­len und Regie­rungs­be­tei­li­gung ein signi­fi­kan­ter Ein­griff in das bür­ger­li­che Eigen­tum und damit in die unglei­che Ver­mö­gens­ver­tei­lung mög­lich sei, erwies sich als schreck­li­che Illu­si­on. Am Reich­tum näm­lich fin­det die ver­meint­lich immer wei­ter fort­schrei­ten­de Demo­kra­ti­sie­rung ihre abso­lu­te und unüber­wind­li­che Gren­ze. »Die Iro­nie der Welt­ge­schich­te stellt alles auf den Kopf«, schrieb Fried­rich Engels 1895. »Wir, die ›Revo­lu­tio­nä­re‹, die ›Umstürz­ler‹, wir gedei­hen weit bes­ser bei den gesetz­li­chen Mit­teln als bei den unge­setz­li­chen und dem Umsturz.« Hun­dert Jah­re spä­ter bestand die Iro­nie der Welt­ge­schich­te dar­in, dass sich aus­ge­rech­net die Sozi­al­de­mo­kra­tie (unter Blair, Clin­ton und Schrö­der) vom Neo­li­be­ra­lis­mus kapern ließ und eine Redu­zie­rung des Sozi­al­staats ins Werk setz­te, die eine mas­si­ve Umver­tei­lung von unten nach oben bedeu­te­te. Links ist heu­te, wer eine etwas spür­ba­re­re Erhö­hung des Min­dest­lohns ver­langt, links­extrem ist, wer höhe­re Steu­ern für die Rei­chen fordert.

Ein Gemein­we­sen und ein Gemein­sinn sind bei der bestehen­den exzes­si­ven Ungleich­heit onto­lo­gisch nicht mög­lich. Und genau die­se Spal­tung über­setzt sich auf ideo­lo­gi­schen Umwe­gen in wei­te­re Spal­tun­gen und eine Des­in­te­gra­ti­on der Gesell­schaft, die immer wie­der von vie­len Poli­ti­kern laut­hals beklagt wer­den, von denen sie aber nicht wahr­ha­ben wol­len, dass sie sel­ber sie zu ver­ant­wor­ten haben. Es ist kein Wun­der, dass immer mehr Men­schen von einer Poli­tik der »demo­kra­ti­schen Par­tei­en«, die wegen feh­len­der Haus­halts­mit­tel kei­ne Pro­ble­me mehr lösen kön­nen, fru­striert sind. Die­se »demo­kra­ti­schen Par­tei­en« sind die Ursa­che und nicht Teil der Lösung des Pro­blems, da sie mit ihrer neo­li­be­ra­len Austeri­täts­po­li­tik den exzes­si­ven Reich­tum schüt­zen und damit die Demo­kra­tie den rechts­po­pu­li­sti­schen und rechts­extre­men Par­tei­en aus­lie­fern. Gera­de von die­sen haben die Rei­chen und Super­rei­chen abso­lut nichts zu befürch­ten. (Des­halb betei­li­gen sich nicht weni­ge aus die­ser Klas­se kräf­tig an der Finan­zie­rung des Rechtsextremismus.)

Dass die Demo­kra­tie in der Kri­se sei, pfei­fen heu­te täg­lich alle Spat­zen von allen Dächern. Kri­se bedeu­tet im Bereich der Medi­zin eine plötz­lich ein­tre­ten­de Pha­se, in der sich ent­schei­det, ob der Orga­nis­mus gesun­det oder stirbt. Wie eine Gesun­dung der Demo­kra­tie heu­te aus­se­hen könn­te, ver­mag sich nie­mand vor­zu­stel­len. Von Kon­ser­va­ti­ven, Grü­nen, Libe­ra­len und Sozi­al­de­mo­kra­ten ist nichts zu erwar­ten. Ob die wach­sen­den Erfol­ge der auto­ri­tä­ren Rechts­po­pu­li­sten schon den Tod der Demo­kra­tie bedeu­ten, ob ein neu­er Faschis­mus vor der Tür steht, weiß man eben­so wenig. Es gibt ja noch Reste einer Zivil­ge­sell­schaft. Ein in Frank­reich regie­ren­der RN, eine Kanz­le­rin Ali­ce Wei­del impli­zie­ren ja nicht gleich ein Ver­bot der ande­ren Par­tei­en und die Ein­rich­tung von Lagern. Sol­che wer­den für Migran­ten ohne­hin von den »demo­kra­ti­schen Par­tei­en« an den Außen­gren­zen der EU betrie­ben und finan­ziert. Viel­leicht ist die Demo­kra­tie also nicht in der Kri­se, son­dern eher im Koma. Die vege­ta­ti­ven (d.h. for­ma­len) Funk­tio­nen (Mehr­par­tei­en­sy­stem, Wah­len, legis­la­ti­ve und exe­ku­ti­ve Abläu­fe, Regie­rungs­wech­sel) sind noch vor­han­den, aber auf genu­in und sub­stan­ti­ell demo­kra­ti­sche Inhal­te (Men­schen­rech­te und Lebens­qua­li­tät für alle, Wür­de, Uni­ver­sa­lis­mus) ist der Pati­ent nicht mehr ansprech­bar. Er reagiert nicht mehr dar­auf. Lee­re Flos­keln und hoh­le Phra­sen sind alles, was er von sich gibt. Die­ses Wach­ko­ma der Demo­kra­tie kann sehr lan­ge dau­ern – eine kom­mu­ni­sti­sche oder wenig­stens echt sozia­li­sti­sche Bewe­gung, die sie wie der Prinz im Mär­chen Schnee­witt­chen dar­aus erlö­sen könn­te, ist weit und breit nicht in Sicht. Dem exzes­si­ven Reich­tum kommt das über­aus gele­gen. Die Bör­se boomt weiterhin.