Die italienische Regierung befindet sich momentan in großen Schwierigkeiten mit nationalen und internationalen Justizbehörden. Die Regierungspräsidentin Giorgia Meloni, ihr Staatssekretär Alfredo Mantovano, der Justizminister Carlo Nordio und der Innenminister Matteo Piantedosi haben Ende Januar einen Ermittlungsbescheid bekommen. Grund für die Ermittlung ist der Fall Almasri.
Najeem Osama Almasri ist Chef der Gerichtspolizei wie auch Chef der Rada-Miliz in Tripoli und wird vom internationalen Gerichtshof verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt, darunter Folter und Mord an etlichen Gefangenen, Dissidenten und Migranten.
Gleichwohl reiste Almasri Anfang Januar nach Europa. Nachdem die deutsche Polizei den internationalen Gerichtshof darüber informierte, wurde am 18.1. ein Haftbefehl gegen ihn ausgesprochen.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Almasri in Italien, wo er dann auch verhaftet wurde. Nach kurzer Zeit kam er jedoch wieder auf freien Fuß und konnte mit einem italienischen Staatsflugzeug schnell nach Libyen zurückkehren.
Die italienische Regierung behauptet nun, bürokratische Gründe hätten zur Befreiung des Folterers geführt. Aufgrund seiner Gefährlichkeit wäre dann sein Rückflug nach Libyen schnell organisiert worden.
Diese Version der Regierung kann man nur als dreist bezeichnen. Die Wahrheit ist, dass Italien (ebenso wie die EU) seit Jahren die libyschen Milizen finanziert, damit sie verhindern, dass Migranten Europa erreichen. »Wir« finanzieren den Folterer Almasri sozusagen mit unseren Steuergeldern und wollen nun natürlich nicht, dass er vor Gericht über seine von »uns« geförderten Taten aussagt.
Ein weiteres Ärgernis für die italienische Regierungspräsidentin ist im Moment auch der Misserfolg der Migrantenzentren in Albanien. Allein der Bau hat die italienischen Steuerzahler bereits 60 Millionen Euro gekostet, aber sie sind bis jetzt leer geblieben.
Dreimal haben die italienischen Behörden erfolglos versucht, Migranten dorthin zu bringen. Der Plan der Regierung bestand darin, Flüchtlinge, die außerhalb der italienischen Grenzen im Mittelmeer gerettet werden – mit Ausnahme von Frauen, Minderjährigen und Kranken –, nach Albanien zu schicken. In den dortigen Zentren – außerhalb der EU – dürften die Migranten dann einen Asylantrag einreichen und müssten dort auf das Ergebnis des Verfahrens, das heißt eventuell auf die Abschiebung in einen »sicheren Herkunftsstaat« warten.
Das verstoße, so haben italienische Gerichte inzwischen entschieden nicht nur gegen internationales Recht, sondern sei auch verfassungswidrig.
Die Richter bemängeln u. a., dass das vorgesehene schnelle Verfahren das Recht der Person auf Freiheit und auf rechtliche Verteidigung verletze. Für Migranten sei es extrem schwierig, in der begrenzten Zeit des Verfahrens und von Albanien aus mit kompetenten italienischen Rechtsanwälten in Kontakt zu kommen, die ihr Recht auf Asyl effektiv verteidigen können. Darüber hinaus – so ein Beschluss des Gerichtshofs der Europäischen Union zu dem Begriff »sicherer Herkunftsstaat« am 04.10.2024 – müsse im Einzelfall entschieden werden, ob eine Abschiebung in ein als sicher erklärtes Land in der Tat die Sicherheit des Migranten gefährdet oder nicht. Außerdem sei eine Abschiebung in einen Drittstaat nur möglich, wenn das Land im gesamten Gebiet als sicher gilt.
Derart »zu-Recht-gewiesen«, arbeitet die italienische Regierung jetzt an einem neuen Plan für die Albanien-Zentren. So sollen dort in Zukunft nicht mehr Asylbeantragende, sondern Migranten aufgenommen werden, deren Asylverfahren schon mit einem Abschiebungsbeschluss abgeschlossen wurden. Aber wie kommen diese Menschen nach Albanien?
Solche »Rechthaberei« bringt die Regierung gegen den Rechtsstaat auf. Was in Italien im Moment stattfindet, lässt sich auch in anderen Ländern – etwa den USA oder Ungarn – beobachten: Es ist im Grunde ein Kampf zwischen den Richtern, die das Recht durchsetzen wollen, und der Regierung, die das Recht brechen will. Man fragt sich, welchen Plan Meloni und ihre Verbündeten verfolgen. Wollen sie die Migration tatsächlich eindämmen und die Migranten zurückhalten, oder sie als Sündenbock für ihre politische Ziele ausnutzen? Bis jetzt waren »die Migranten« das Zauberwort, das den Rechten wachsenden Zuspruch beschert hat. Deswegen besteht ihrerseits auch nicht wirklich das Interesse, Migration zu reglementieren und das »Problem« zu lösen. Je mehr Angst geschürt wird, je lauter »Alarm« gerufen wird, desto erfolgreicher sind die Rechten. Was sie antreibt, so scheint es, ist nicht ihr Ressentiment, sondern ihr Wunsch nach Auflösung der demokratischen Institutionen.
Die Ermittlungen gegen Frau Meloni und einige ihrer Mitarbeiter einerseits und die Gerichtsentscheidungen, die den Albanien-Plan haben scheitern lassen, geben den Rechten die Chance, gegen das Rechtsystem insgesamt zu Felde zu ziehen.
Auf dem Spiel steht die Unabhängigkeit der Justiz, die durch eine geplante Verfassungsreform in Italien stark eingeschränkt werden könnte. Dagegen streiken die italienischen Richter am 27. Februar.