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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Regierung gegen den Rechtsstaat

Die ita­lie­ni­sche Regie­rung befin­det sich momen­tan in gro­ßen Schwie­rig­kei­ten mit natio­na­len und inter­na­tio­na­len Justiz­be­hör­den. Die Regie­rungs­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni, ihr Staats­se­kre­tär Alfre­do Man­to­va­no, der Justiz­mi­ni­ster Car­lo Nor­dio und der Innen­mi­ni­ster Matteo Pian­te­do­si haben Ende Janu­ar einen Ermitt­lungs­be­scheid bekom­men. Grund für die Ermitt­lung ist der Fall Almasri.

Najeem Osa­ma Almas­ri ist Chef der Gerichts­po­li­zei wie auch Chef der Rada-Miliz in Tri­po­li und wird vom inter­na­tio­na­len Gerichts­hof ver­schie­de­ner Kriegs­ver­bre­chen beschul­digt, dar­un­ter Fol­ter und Mord an etli­chen Gefan­ge­nen, Dis­si­den­ten und Migranten.

Gleich­wohl rei­ste Almas­ri Anfang Janu­ar nach Euro­pa. Nach­dem die deut­sche Poli­zei den inter­na­tio­na­len Gerichts­hof dar­über infor­mier­te, wur­de am 18.1. ein Haft­be­fehl gegen ihn ausgesprochen.

Zu die­sem Zeit­punkt befand sich Almas­ri in Ita­li­en, wo er dann auch ver­haf­tet wur­de. Nach kur­zer Zeit kam er jedoch wie­der auf frei­en Fuß und konn­te mit einem ita­lie­ni­schen Staats­flug­zeug schnell nach Liby­en zurückkehren.

Die ita­lie­ni­sche Regie­rung behaup­tet nun, büro­kra­ti­sche Grün­de hät­ten zur Befrei­ung des Fol­te­rers geführt. Auf­grund sei­ner Gefähr­lich­keit wäre dann sein Rück­flug nach Liby­en schnell orga­ni­siert worden.

Die­se Ver­si­on der Regie­rung kann man nur als dreist bezeich­nen. Die Wahr­heit ist, dass Ita­li­en (eben­so wie die EU) seit Jah­ren die liby­schen Mili­zen finan­ziert, damit sie ver­hin­dern, dass Migran­ten Euro­pa errei­chen. »Wir« finan­zie­ren den Fol­te­rer Almas­ri sozu­sa­gen mit unse­ren Steu­er­gel­dern und wol­len nun natür­lich nicht, dass er vor Gericht über sei­ne von »uns« geför­der­ten Taten aussagt.

Ein wei­te­res Ärger­nis für die ita­lie­ni­sche Regie­rungs­prä­si­den­tin ist im Moment auch der Miss­erfolg der Migran­ten­zen­tren in Alba­ni­en. Allein der Bau hat die ita­lie­ni­schen Steu­er­zah­ler bereits 60 Mil­lio­nen Euro geko­stet, aber sie sind bis jetzt leer geblieben.

Drei­mal haben die ita­lie­ni­schen Behör­den erfolg­los ver­sucht, Migran­ten dort­hin zu brin­gen. Der Plan der Regie­rung bestand dar­in, Flücht­lin­ge, die außer­halb der ita­lie­ni­schen Gren­zen im Mit­tel­meer geret­tet wer­den – mit Aus­nah­me von Frau­en, Min­der­jäh­ri­gen und Kran­ken –, nach Alba­ni­en zu schicken. In den dor­ti­gen Zen­tren – außer­halb der EU – dürf­ten die Migran­ten dann einen Asyl­an­trag ein­rei­chen und müss­ten dort auf das Ergeb­nis des Ver­fah­rens, das heißt even­tu­ell auf die Abschie­bung in einen »siche­ren Her­kunfts­staat« warten.

Das ver­sto­ße, so haben ita­lie­ni­sche Gerich­te inzwi­schen ent­schie­den nicht nur gegen inter­na­tio­na­les Recht, son­dern sei auch verfassungswidrig.

Die Rich­ter bemän­geln u. a., dass das vor­ge­se­he­ne schnel­le Ver­fah­ren das Recht der Per­son auf Frei­heit und auf recht­li­che Ver­tei­di­gung ver­let­ze. Für Migran­ten sei es extrem schwie­rig, in der begrenz­ten Zeit des Ver­fah­rens und von Alba­ni­en aus mit kom­pe­ten­ten ita­lie­ni­schen Rechts­an­wäl­ten in Kon­takt zu kom­men, die ihr Recht auf Asyl effek­tiv ver­tei­di­gen kön­nen. Dar­über hin­aus – so ein Beschluss des Gerichts­hofs der Euro­päi­schen Uni­on zu dem Begriff »siche­rer Her­kunfts­staat« am 04.10.2024 – müs­se im Ein­zel­fall ent­schie­den wer­den, ob eine Abschie­bung in ein als sicher erklär­tes Land in der Tat die Sicher­heit des Migran­ten gefähr­det oder nicht. Außer­dem sei eine Abschie­bung in einen Dritt­staat nur mög­lich, wenn das Land im gesam­ten Gebiet als sicher gilt.

Der­art »zu-Recht-gewie­sen«, arbei­tet die ita­lie­ni­sche Regie­rung jetzt an einem neu­en Plan für die Alba­ni­en-Zen­tren. So sol­len dort in Zukunft nicht mehr Asyl­be­an­tra­gen­de, son­dern Migran­ten auf­ge­nom­men wer­den, deren Asyl­ver­fah­ren schon mit einem Abschie­bungs­be­schluss abge­schlos­sen wur­den. Aber wie kom­men die­se Men­schen nach Albanien?

Sol­che »Recht­ha­be­rei« bringt die Regie­rung gegen den Rechts­staat auf. Was in Ita­li­en im Moment statt­fin­det, lässt sich auch in ande­ren Län­dern – etwa den USA oder Ungarn – beob­ach­ten: Es ist im Grun­de ein Kampf zwi­schen den Rich­tern, die das Recht durch­set­zen wol­len, und der Regie­rung, die das Recht bre­chen will. Man fragt sich, wel­chen Plan Melo­ni und ihre Ver­bün­de­ten ver­fol­gen. Wol­len sie die Migra­ti­on tat­säch­lich ein­däm­men und die Migran­ten zurück­hal­ten, oder sie als Sün­den­bock für ihre poli­ti­sche Zie­le aus­nut­zen? Bis jetzt waren »die Migran­ten« das Zau­ber­wort, das den Rech­ten wach­sen­den Zuspruch beschert hat. Des­we­gen besteht ihrer­seits auch nicht wirk­lich das Inter­es­se, Migra­ti­on zu regle­men­tie­ren und das »Pro­blem« zu lösen. Je mehr Angst geschürt wird, je lau­ter »Alarm« geru­fen wird, desto erfolg­rei­cher sind die Rech­ten. Was sie antreibt, so scheint es, ist nicht ihr Res­sen­ti­ment, son­dern ihr Wunsch nach Auf­lö­sung der demo­kra­ti­schen Institutionen.

Die Ermitt­lun­gen gegen Frau Melo­ni und eini­ge ihrer Mit­ar­bei­ter einer­seits und die Gerichts­ent­schei­dun­gen, die den Alba­ni­en-Plan haben schei­tern las­sen, geben den Rech­ten die Chan­ce, gegen das Recht­sy­stem ins­ge­samt zu Fel­de zu ziehen.

Auf dem Spiel steht die Unab­hän­gig­keit der Justiz, die durch eine geplan­te Ver­fas­sungs­re­form in Ita­li­en stark ein­ge­schränkt wer­den könn­te. Dage­gen strei­ken die ita­lie­ni­schen Rich­ter am 27. Februar.