Die weltweiten CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern steigen weiter an. Sie werden 2023 aller Voraussicht nach mit 36,8 Milliarden Tonnen einen neuen Höchstwert erreicht haben, schreiben Forscher der Universität Exeter (Großbritannien) in einem am 05.12.23 im Fachmagazin Earth System Science Data veröffentlichten Bericht. Das wären 1,1 Prozent mehr als 2022. Damit könnte das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, schon in sieben Jahren Makulatur sein. »Es wird immer dringlicher«, sagte Studienautor Pierre Friedlingstein. Die Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai müsse »jetzt« etwas gegen die Verschmutzung durch fossile Energieträger unternehmen. Um genau das zu verhindern, hat die Öl-, Gas- und Kohleindustrie mehr als 2.400 Lobbyisten zur COP geschickt – so viele wie nie zuvor. Die achteten darauf, dass die Beschlüsse von Dubai regelbasiert blieben. Börsen-regelbasiert. (AFP/dpa/jW 06.12.23)
Zwar wurde in Dubai endlich ein lange geforderter Fonds für die Verluste und Schäden eingerichtet, aber erst knapp 700 Millionen US-Dollar an Mitteln zugesagt. Nötig wären 100 bis 500 Milliarden US-Dollar im Jahr. Deutschland versprach für den Fonds 100 Millionen US-Dollar. RWE soll hingegen für die vorzeitige Stilllegung seiner ohnehin nahezu abgeschriebenen Braunkohlekraftwerke 2,6 Milliarden Euro erhalten. Und für Dienstwagenprivileg, Dieselvergünstigungen und andere Subventionen fossiler Brennstoffe werden hierzulande jährlich über 60 Milliarden Euro aufgewendet beziehungsweise Steuern erlassen, wie das Umweltbundesamt errechnet hat (jW 14.12.23) Natürlich regelbasiert!
Da lässt sich aber auch nicht so einfach einsparen: Tausende Landwirte haben im Dezember und Januar in Berlin mit ihren Traktoren demonstriert, dass sie sich die Streichung der Steuervorteile für Landwirte bei Diesel nicht gefallen lassen werden. Prompt will Landwirtschaftsminister Özdemir nachverhandeln. Wenn deutsche Bauern Französisch lernen, wird es eng für Grüne Minister. Da pfeift die Basis auf Regeln!
Aber auch die Regierenden biegen sich ihre Regeln gern nach Bedarf zurecht. Die FDP drängt in der Haushaltskrise auf Verschlankung des Staates und Kürzung von Ausgaben, aber nicht in den von ihr geführten Ministerien für Finanzen und Justiz. Während Bau-, Umwelt- und Familienministerium nur jeweils eine Beförderung angemeldet hätten und das Wirtschaftsministerium fünf Mitarbeiter anheben wolle, seien in Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium (beide FDP) aktuell 59 Namen gelistet, berichtet der digitale Mediendienst Table Media. Das Finanzministerium sprach von einer »regulären Personalentwicklung für Führungskräfte« (dpa/jW 07.12.23). Warum nicht gleich von einer regelbasierten?
Aber immerhin: Zwei positive Nachrichten ließen fast weihnachtliche Gefühle aufkommen: Wind, Sonne und andere erneuerbare Energiequellen haben im vergangenen Jahr erstmals mehr als die Hälfte des Bruttostromverbrauchs in Deutschland gedeckt. Das ergaben vorläufige Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Demnach stieg der Anteil der Erneuerbaren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fünf Prozentpunkte auf 52 Prozent (AFP/jW 19.12.23).
Und in einem Ausnahmefall kann es vielleicht mal ohne kriegerische Auseinandersetzungen gehen: Venezuela und Guayana verhandeln über die Staatshoheit über ein Gebiet, vor dessen Küste Ölfelder entdeckt wurden, deren Ausbeutung sich Exxon gesichert hat mit einem Vertrag mit der Regierung Guyanas. 75 Prozent der Gewinne darf sich die Firma laut Vertrag einstecken, nur 25 Prozent muss sie mit der Regierung Guayanas teilen. Das Gebiet ist seit 100 Jahren umstritten. 1962 reklamierte Venezuela offiziell bei den Vereinten Nationen seine Ansprüche auf »Guayana Esequiba«. Kurz vor der Unabhängigkeit Guyanas im Mai 1966 unterzeichneten Caracas und London in Genf ein bis heute gültiges Abkommen, in dem sie sich verpflichteten, die gegenseitigen Ansprüche in Verhandlungen zu klären, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Im aktuellen Konflikt wirft Venezuelas Regierung Guyana vor, gegen die Genfer Vereinbarung zu verstoßen. Aber immerhin: Es wird nicht geschossen, sondern verhandelt Auch wenn es »kein eintägiges Kricketspiel« wird, wie Gastgeber Ralph Gonsalves, der Premierminister von St. Vincent und den Grenadinen, vorab meinte (jW 16./17.12.23). Immer noch besser ein regelbasiertes Kricketspiel als regelbasierte Außenpolitik á la Baerbock.
Kurz nach Weihnachten gab es dann noch einen Fußtritt vom sozialdemokratischen Arbeitsminister für die Bezieher von Bürgergeld. Heil erklärte im Interview mit BILD: Wer »zumutbare« Jobs ablehnt, dem soll die Regelleistung bis zu zwei Monate komplett gestrichen werden. Lediglich die Kosten für die Unterkunft soll der Staat weiter übernehmen, um die Betroffenen vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Diese Sanktion ist noch schärfer als die Sanktionen im alten Hartz-IV-System und soll den angespannten Haushalt um bis zu 250 Millionen Euro jährlich »entlasten« (jW 06./07.01.24).
Sollen sie doch Regeln fressen, würde Königin Marie-Antoinette gesagt haben, bevor sie regelbasiert guillotiniert wurde.