Sie haben das Wort nicht gern: Terror. Wenn irgend möglich, vermeiden es die deutschen Leitmedien. Es sei denn, irgendjemand hat irgendjemanden bei einer Bluttat rufen hören: Allah ist groß. Dann, so schließen sie messerscharf, war es auf jeden Fall ein Terroranschlag, natürlich ein islamistischer.
Wie Sprache benutzt wird, um Menschen zu manipulieren, konnten wir am 9. Oktober in doppelter Ausfertigung erleben. Was der türkische Präsident Erdoğan, gerade noch heftig umschmeichelt von unserem Innenminister Seehofer, an diesem Tag begann, war ein Krieg. Doch in den Medien sucht man den Begriff nahezu vergeblich. Da ist von einer »militärischen Operation«, von »Offensive«, »Militärangriff« oder »Truppeneinmarsch« die Rede. Und das ZDF verdeutlicht die Bedeutung, die es diesem Krieg beimisst, noch dadurch, dass es in seiner Haupt-Nachrichtensendung, heute, über den Beginn der Invasion erst an dritter Stelle informiert – nach einem ausführlichen Bericht über die Feierstunde zur ersten Montagsdemonstration in Leipzig vor 30 Jahren.
Noch seltener als Krieg taucht der Begriff Terror auf, auch wenn da und dort zugegeben wird, dass die Artilleriegeschosse und die Bomben auf Wohnhäuser schon in den ersten Stunden der Invasion viele Zivilisten verletzt oder getötet haben. Solche »Kollateralschäden« haben offenbar mit Terror nichts zu tun.
Und der rechtsradikale Terroranschlag von Halle mit zwei Ermordeten und vielen Verletzten? Für die meisten Medien, an der Spitze ARD und ZDF, war es für fast 24 Stunden lediglich ein »Angriff«, »Überfall«, »Anschlag« oder ein »Attentat«. Das änderte sich erst, als einen Tag später der Generalbundesanwalt und die Bundesjustizministerin unter der Last der Beweise von einem rechts-radikalen Terrorakt sprachen.
Doch die meisten Beweise waren schon in den ersten Stunden für jeden Journalisten deutlich zu sehen: die Kampfmontur des schwerbewaffneten Terroristen, die an eine gute Ausbildung erinnernde Schusssicherheit, der an die NSU-Gräuel gemahnende Mord in einem Döner-Imbiss, seine antisemitischen Beschimpfungen, der misslungene Versuch, in eine Synagoge einzudringen und unter den knapp 80 Gläubigen ein Blutbad anzurichten.
Wie ist so etwas in Deutschland möglich, wehklagen jetzt wieder viele unserer Politiker und ihre Leitartikler. Sie wollen nicht an die Blutspur erinnert werden, die faschistische Terroristen seit Jahrzehnten durch dieses Land ziehen. Dazu gehören 1980 das Oktoberfestattentat mit zwölf Ermordeten und 213 Verletzten; 1988 der Brandanschlag auf ein Haus in Schwandorf, bei dem eine dreiköpfige türkische Familie und ein Deutscher getötet wurden; 1992 in Mölln der Brandanschlag auf ein türkisches Wohnhaus, der das Leben von zwei Kindern und ihrer Oma kostete sowie neun Schwerverletzte (beide verurteilte Terroristen sind schon wieder frei); 1993 der Brandanschlag auf ein ebenfalls von Türken bewohntes Haus in Solingen mit fünf Toten und 17 Verletzten; dann der NSU mit zehn Morden und mehr als 40 Mordversuchen sowie Raubüberfällen und Sprengstoffanschlägen; 2016 der rassistische Anschlag beim Olympia-Einkaufszentrum in München mit neun Toten und fünf Verletzten sowie – neben zahlreichen weiteren – der Mordanschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2015 und der Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke 2019 – beide wegen ihrer positiven Einstellung zu Flüchtlingen.
Allein 2018 wurden fast 1200 rechtsradikale Straftaten von den Behörden registriert. Seit 1990 haben die Rechtsradikalen 169 Morde auf dem Gewissen. Da kann man schon feststellen, dass es für solche Terrorakte wie in Halle in Deutschland einen fruchtbaren Boden gibt.
Und nicht nur das. Auch der letzte angeblich »einsame Wolf« in Sachsen-Anhalts Dörfern registriert die Signale aus der Gesellschaft und das Regierungshandeln: Trotz unzähliger Schwüre nach jedem Terrorakt, endlich den Rechtsradikalismus in Staat und Gesellschaft zu bekämpfen, passierte so gut wie nichts. Da mehren sich die Beweise, dass die Elitetruppe KSK von Rechtsextremisten durchsetzt ist, die sich »auf den Tag X« vorbereiten, da verschwinden unzählige Waffen und zehntausende Schuss Munition in dunklen, zumeist rechtsradikalen Kanälen, da werden bei Bundeswehrangehörigen und Polizisten Listen mit potentiellen vorwiegend linken Opfern gefunden, die man eliminieren will, da berichtet die taz über ein rechtes bundesweites Untergrund-Netzwerk in der Bundeswehr, einer »Schattenarmee mit besten Verbindungen in deutsche Behörden«.
Einen Tag nach dem Terrorakt von Halle zeigte das ZDF den Film »Staatsfeinde in Uniform«. In der Ankündigung dazu heißt es: »Die Recherchen von ‚ZDFzoom‘-Autor Dirk Laabs belegen eine beängstigende Mischung. Spezialkräfte von Polizei und Bundeswehr, illegale Munition, Waffen. Rechte Feindbilder und Todeslisten mit Politikernamen.« Da fragt Armin Schuster (CDU), der ehemalige Obmann im 2. NSU-Untersuchungsausschuss, ob »ein NSU 2.0« heute nicht leichter entstehen könnte als vor zehn oder 15 Jahren.
Bereits 2016 warf Amnesty International Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, ihre Versprechungen gegenüber den Opfern des NSU nicht gehalten zu haben und warnte, bei der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen ignorierten Politik und Polizei zentrale Punkte. Amnesty spricht von »institutionellem Rassismus in Deutschland«. Es bestehe die Gefahr, dass die rechtsextremen Strukturen intakt blieben. Die Kernpunkte des NSU-Komplexes seien von Politik und Polizei noch gar nicht genau betrachtet worden. »Und man gewinnt den Eindruck, dass sie nicht betrachtet werden sollen.«
Wann werden Bundeskanzlerin, Regierung und Behörden endlich damit beginnen, das Versprechen von 2016 zu erfüllen und den rechtsradikalen, antisemitischen Sumpf, der ursächlich für solche Terrorakte wie in Halle ist, in Deutschland trocken zu legen? Wann?