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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rechtsextrem. Antidemokratisch. Feindselig

Was am 10. Janu­ar 2024 ein Team inve­sti­ga­ti­ver Jour­na­li­sten namens CORRECTIV unter der Über­schrift »Neue Rech­te: Geheim­plan gegen Deutsch­land« auf sei­ner Home­page ver­öf­fent­lich­te und sich den Recher­chen zufol­ge am 25. Novem­ber 2023 in einem Hotel bei Pots­dam zutrug, hat Poli­tik und Gesell­schaft glei­cher­ma­ßen auf­ge­schreckt. An jenem Herbst­tag zeig­te sich näm­lich, wie es in dem Text heißt, »was pas­sie­ren kann, wenn sich rechts­extre­me Ideen­ge­ber, Neo­na­zis, hoch­ran­gi­ge AfD-Poli­ti­ker und finanz­star­ke Unter­stüt­zer der rech­ten Sze­ne mischen«.

Schnell wur­den Asso­zia­tio­nen erweckt an gehei­me Tref­fen Adolf Hit­lers mit Wirt­schaft und Groß­in­du­strie, bei denen es eben­falls um finan­zi­el­le Unter­stüt­zung ging. Und dass der Tagungs­ort nur weni­ge Kilo­me­ter vom Wann­see ent­fernt lag, wo hoch­ran­gi­ge NS-Ver­tre­ter 1942 in einer nach dem See benann­ten Kon­fe­renz die syste­ma­ti­sche Ermor­dung euro­päi­scher Juden vor­be­rei­te­ten, war ein wei­te­rer, erschrecken­der Aspekt, dies umso mehr, als Gesprächs­in­hal­te bekannt wurden.

Wich­tig­stes The­ma der Zusam­men­kunft war näm­lich laut der Recher­che neben dem Ein­sam­meln von Geld­spen­den ein »Remi­gra­ti­on« genann­ter Plan: »Mil­lio­nen von Men­schen sol­len auf­grund ras­si­sti­scher Kri­te­ri­en aus Deutsch­land ver­trie­ben wer­den kön­nen – egal, ob sie einen deut­schen Pass haben oder nicht«, berich­tet CORRECTIV. Laut dem Ein­la­dungs­schrei­ben, das den Jour­na­li­sten vor­liegt, wer­de das grund­le­gen­de »Gesamt­kon­zept, im Sin­ne eines Master­plans, (…) ein Red­ner vor­stel­len, kein Gerin­ge­rer als Mar­tin Sellner«.

Als Fol­ge die­ser Geheim­plan-Recher­che gin­gen seit ihrer Ver­öf­fent­li­chung bun­des­weit Hun­dert­tau­sen­de pro­te­stie­rend auf die Stra­ße. Sie wehr­ten sich damit gegen das Ansin­nen, die Demo­kra­tie abzu­schaf­fen und die bun­des­deut­sche Gesell­schaft nach völ­kisch-ras­si­sti­schen und anti­plu­ra­li­sti­schen Vor­stel­lun­gen umzu­ge­stal­ten. Auch die Poli­tik reagier­te unge­wöhn­lich schnell. Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­rin Nan­cy Faeser stell­te Anfang Febru­ar Maß­nah­men vor, die unter ande­rem das Ziel haben sol­len, die Finanz­quel­len rechts­extre­mi­sti­scher Netz­wer­ke aus­zu­trock­nen, die­se Netz­wer­ke mit Ver­eins­ver­bo­ten zu zer­schla­gen, die trans­na­tio­na­len Ver­net­zun­gen zu stö­ren und den Hass im Inter­net zu bekämp­fen. – Die wach­sa­me Öffent­lich­keit soll­te im Auge behal­ten, ob und wel­che Taten den Ankün­di­gun­gen fol­gen und wel­che Erfol­ge sie zeitigen.

Bei dem Stich­wort­ge­ber Sell­ner han­delt es sich um einen rechts­extre­men Akti­vi­sten aus Öster­reich und das lang­jäh­ri­ge Gesicht der rechts­extre­men Iden­ti­tä­ren Bewe­gung und damit um einen füh­ren­den Kopf der Neu­en Rech­ten. Von ihm dürf­ten die mei­sten Deut­schen bis dato nichts gehört haben, eben­so wenig wie von der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung. In den 2000er Jah­ren in Frank­reich ent­stan­den, mitt­ler­wei­le im deutsch­spra­chi­gen Raum am stärk­sten, hat­te sie erste über­re­gio­na­le Schlag­zei­len Anfang 2016 gelie­fert, als sie in Wien die Auf­füh­rung eines Thea­ter­stückes von Elfrie­de Jeli­nek stör­te, des­sen Dar­stel­ler vor allem Flücht­lin­ge aus Syri­en waren. 20 Per­so­nen stürm­ten damals auf die Büh­ne, ver­spritz­ten künst­li­ches Blut, und von der Tri­bü­ne reg­ne­te es Flug­blät­ter mit der Paro­le »Mul­ti­kul­ti tötet«.

Nach­zu­le­sen ist das in dem neu­en Sach­buch Logik der Angst von Peter R. Neu­mann. Der in Würz­burg gebo­re­ne Neu­mann ist Pro­fes­sor für Sicher­heits­stu­di­en am King’s Col­lege Lon­don und berät der­zeit die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on in Sachen Extre­mis­mus. Neu­manns Buch ist wohl eines der aktu­ell­sten und besten zu die­sem The­ma, denn, so heißt es im Klap­pen­text, »statt nur ein­zel­ne Grup­pen zu beschrei­ben, legt er das Wesen des Rechts­extre­mis­mus und sei­ne Logik frei. Eben­das, was all die­se Grup­pen ver­bin­det, ob Alte oder Neue Rech­te, Neo­re­ak­tio­nä­re oder Iden­ti­tä­re, Reichs­bür­ger oder Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker, AfD oder Ras­sem­blem­ent Natio­nal«, die Par­tei von Mari­ne Le Pen in Frankreich.

Über­all im Westen haben Rechts­extre­mi­sten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren eine Blut­spur hin­ter­las­sen, doch: Was ist über­haupt rechts? Dar­auf und auf Fra­gen wie: Was haben die unter­schied­li­chen Strö­mun­gen gemein? Wo kom­men sie her? Wor­aus besteht die ideo­lo­gi­sche, ideen­ge­schicht­li­che Klam­mer, die sie zusam­men­hält? gibt das Buch Antwort.

Für Neu­mann ist »Rechts­extre­mis­mus kei­ne fest umris­se­ne Ideo­lo­gie, son­dern die (extre­me) Aus­prä­gung einer poli­ti­schen Denk­rich­tung«. Es ist der Ver­such, »ande­re poli­ti­sche Ideen zugun­sten einer anti-ega­li­tä­ren, iden­ti­tä­ren poli­ti­schen Visi­on zu unter­drücken, als nega­ti­ves Spie­gel­bild des­sen, was als libe­ra­le Moder­ne gilt. Sei­ne poten­zi­el­le Anzie­hungs­kraft beruht auf der Ver­un­si­che­rung und den drän­gen­den, teils exi­sten­zi­el­len Äng­sten, die die­se her­vor­ge­ru­fen hat.«

Neu­mann ver­deut­licht, dass es »unter west­li­chen Rechts­extre­mi­sten heut­zu­ta­ge ein grö­ße­res Spek­trum an Ideen und Ein­stel­lun­gen als je zuvor gibt. Die soge­nann­te Incel-Sze­ne defi­niert sich über ihre Feind­schaft gegen­über Frau­en. Aus Ame­ri­ka ist die QAnon-Bewe­gung nach Euro­pa her­über­ge­schwappt. Durch die Coro­na-Pan­de­mie sind Reichs­bür­ger, soge­nann­te Selbst­ver­wal­ter und Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker in aller Mun­de.« (Incel ist ein Kof­fer­wort für invol­un­t­a­ry celi­ba­te, auf Deutsch »unfrei­wil­lig sexu­ell ent­halt­sam«. QAnon-Anhän­ger gel­ten als Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker mit rechts­extre­mem Hin­ter­grund. K. N.)

Das Buch glie­dert sich in zwei Tei­le. Im ersten zeigt Neu­mann, »dass die wich­tig­sten rech­ten Ideen in den mei­sten Fäl­len durch ihre Geg­ner­schaft zu zen­tra­len Ideen der libe­ra­len Moder­ne ent­stan­den sind«, dass ein tief­sit­zen­der Pes­si­mis­mus die­se Welt­sicht bestimmt. Im zwei­ten Teil geht es dar­um, was aus die­sen Ideen und Denk­mu­stern her­vor­geht. »Trei­ben­de Kraft« ist für Neu­mann dabei eine »Logik der Angst«, die er unter ande­rem am Bei­spiel des rech­ten Kampf­be­griffs vom »gro­ßen Aus­tausch« erläu­tert, wonach »die Ein­wan­de­rung von Nicht­wei­ßen und Mus­li­men auf eine angeb­li­che Ver­schwö­rung mit dem Ziel zurück­ge­führt wird, die wei­ßen Mehr­heits­be­völ­ke­run­gen in west­li­chen Staa­ten zu erset­zen« (Wiki­pe­dia).

Neu­mann: »Der Kampf gegen Extre­mis­mus ist eine dau­er­haf­te Auf­ga­be in jeder Demo­kra­tie. Wer aber extre­mi­sti­sche Bedro­hun­gen nicht zuerst ana­ly­tisch durch­dringt, läuft Gefahr, die Extre­mi­sten durch ihre Bekämp­fung nicht zu schwä­chen, son­dern zu stär­ken.« Die­ses Buch lie­fert eine Rei­he von Erkennt­nis­sen, die für den Kampf gegen Rechts­extre­mis­mus und Demo­kra­tie­feind­lich­keit von Bedeu­tung sind. Neh­men Sie es zur Hand.

 Peter R. Neu­mann: Logik der Angst – Die rechts­extre­me Gefahr und ihre Wur­zeln, Rowohlt, Ber­lin 2023, 208 S., 22 €. – CORRECTIV ist ein gemein­wohl­ori­en­tier­tes Medi­en­haus: https://correctiv.org/.