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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rechtsempfinden

Was wür­de der künst­li­chen Intel­li­genz eines zu einer kur­zen Ant­wort ange­hal­te­nen Chat­bots zur nicht sel­ten geäu­ßer­ten Fra­ge »Wer gibt dir eigent­lich das Recht dazu?« ein­fal­len? »42« à la Dou­glas Adams? Natür­lich nicht! Je nach Vor­ein­stel­lung bzw. Zufalls­ge­nera­tor könn­ten ernst­haf­te Repli­ken der Maschi­ne lau­ten: »staat­li­che Erlaub­nis«, oder »Allah«, oder »die Umwelt«. In Geset­zen kodi­fi­zier­tes Recht erlaubt, was nicht ver­bo­ten ist. Mit die­ser Tat­säch­lich­keit kon­kur­riert aber auch die Vor­stel­lung, es gebe ein noch höhe­res Recht, des­sen Voll­zug einem Staat oblie­ge, wenn er ein guter sein wol­le. Bis zu einem von ihm frei defi­nier­ten Grad lehnt der Staat eine sol­che Auf­fas­sung nicht ab und for­mu­liert sie bis­wei­len als Staats­ziel (»Reli­gi­ons­frei­heit«, Arti­kel 4 GG, bzw. »Umwelt­schutz«, Arti­kel 20a GG), als von ihm zu beach­ten­de Norm. Wie die­se zu ver­ste­hen, wie ihr zu ent­spre­chen ist, wel­cher Rang ihr prak­tisch zukommt, ent­schei­det die Poli­tik; »alles Wei­te­re regelt ein Gesetz« – und kei­nes­falls des­sen Igno­rie­rung oder Übertretung.

Was die Macht und Be-Rech­ti­gung reli­giö­ser Über­zeu­gun­gen angeht, so haben vie­le Reli­gio­nen für das Zuge­ständ­nis ihrer Aus­übung nach blu­ti­gen Glau­bens­krie­gen einen Burg­frie­den mit dem schließ­lich als Gewalt­mo­no­po­list aner­kann­ten Staat geschlos­sen; die­ser wie­der­um weiß, was er z. B. am Chri­sten­tum als Teil einer abend­län­di­schen Leit­kul­tur und an Kreu­zen in Klas­sen­zim­mern hat. Ein sol­cher Kom­pro­miss käme jedoch einer isla­mi­sti­schen Über­zeu­gung, die eine alt­her­ge­brach­te Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz ihrer Reli­gi­on gegen den welt­li­chen Herr­scher unver­han­del­bar gel­tend macht, einer Selbst­auf­ga­be gleich. Nach dem Gesetz des Aller­höch­sten ver­wir­ken »Frev­ler« ihr Exi­stenz­recht, sind, ob sie wol­len oder nicht, einem Got­tes­staat ein­zu­glie­dern, und »wah­ren Gläu­bi­gen« fällt zu, »mit Feu­er und Schwert«, nebst Über­grif­fen auf unver­hüll­te »Schlam­pen«, Allahs Recht auf Erden umzu­set­zen. Wenn isla­mi­sti­sche Migran­ten die­sem Gebot nach­kom­men, so sind »Nafri-Mes­ser­ste­cher« der AfD ein will­kom­me­ner Beweis für die Schlech­tig­keit des Aus­län­ders an sich, des­sen Nicht­zu­ge­hö­rig­keit gar nicht anders kön­ne, als der Grö­ße der Nati­on zu scha­den, und somit deren kläg­li­chen Zustand erkläre.

Auf der ande­ren Sei­te gilt der medi­al prä­sen­ten bour­geoi­sen Bohè­me schon die blo­ße Kon­sta­tie­rung vom Glau­ben inspi­rier­ter Attacken eben­so grund­sätz­lich als Ras­sis­mus; da Migran­ten zwei­fel­los Opfer einer Bestrei­tung ihres Wei­ter­exi­stie­rens in ihren Her­kunfts­län­dern sind, kön­ne jeg­li­che Kri­tik ihrer Gewalt nur die Äuße­rung einer immer wie­der zu hin­ter­fra­gen­den Vor­ein­ge­nom­men­heit sein und schlimm­sten­falls einem grund­lo­sen Hass ent­sprin­gen; Opfer zu sein, bedeu­te nun ein­mal, zumin­dest eigent­lich gut zu sein. Nicht sel­ten fällt im Streit dar­um, wo sich das rich­ti­ge Recht befin­de, Isla­mis­mus­kri­ti­kern nur ein, mit der Her­ab­set­zung »Gut­mensch« zurück­zu­schmä­hen, anstatt bei­spiels­wei­se Marx‘ Rede vom »Opi­um des Vol­kes« zu erläu­tern. Aber egal, Haupt­sa­che, man hat nichts auf sich sit­zen las­sen und der Gegen­sei­te »ordent­lich eine mit­ge­ge­ben«. Der Eti­ket­ten­aus­tausch macht auch dann nicht klü­ger, wenn er streit­kul­tu­rell hoch­ste­hend mit gebil­de­tem Aplomb (sic!) verläuft.

Eine wei­te­re Berech­ti­gung zu Kom­pro­miss­lo­sig­keit gegen­über bestehen­der Ord­nung wird in Bezug auf den Umwelt­schutz emp­fun­den. Wenn das glo­ba­le Dorf brennt, was auch die Regie­rung nicht in Abre­de stellt, ist tat­kräf­ti­ges Han­deln für die Mit­glie­der der »Letz­ten Gene­ra­ti­on« ein abso­lu­tes Muss, eine Pflicht, der Staa­ten bei Stra­fe all­sei­ti­gen Unter­ge­hens aus­nahms­los nach­zu­kom­men haben. An dazu nöti­ger Ent­schlos­sen­heit las­se es aber der deut­sche sträf­lich man­geln. Sein Ver­ant­wor­tungs­de­fi­zit wol­len die Akti­vi­sten mög­lichst vie­len Bür­gern mög­lichst so unaus­weich­lich wie dring­lich vor Augen füh­ren; eine all­ge­mei­ne Sen­si­bi­li­sie­rung für die Dra­ma­tik des Umwelt­zu­stands soll erreicht, der schlaf­müt­zi­ge Bür­ger durch Stö­run­gen sei­nes All­tags­ab­laufs alar­miert und zu einer bei aller Radi­ka­li­tät nebu­lö­sen »Ein­sicht« »ange­stif­tet« wer­den. Die Akte zivi­len Unge­hor­sams sind ver­zwei­felt und las­sen die Ver­zweif­lung für sich bezie­hungs­wei­se, was das­sel­be ist, ihr Anlie­gen spre­chen. Wenn Ver­bo­te­nes aus­ge­rech­net von sonst geset­zes­treu­en Bür­gern began­gen wird, so das Akti­ons­kal­kül, dann muss doch ein­fach etwas faul im Staa­te Deutsch­land sein. Eine zivil­cou­ra­gier­te Bereit­schaft dazu, not­falls auch im Gefäng­nis zu lan­den, soll der Bot­schaft zusätz­li­chen Nach­druck ver­lei­hen. Der avant­gar­di­sti­sche mora­li­sche Umwelt-Rigo­ris­mus trifft jedoch bei Mann und Frau, die auf der Stra­ße zur Arbeit fah­ren und ohne­hin wis­sen, dass Umwelt irgend­wie wich­tig ist, auf Ableh­nung. Dass sich die Spek­ta­kel als unwirk­sam erwei­sen, liegt an ihnen selbst; undog­ma­tisch wie sie sind, ver­su­chen sich die Kas­san­dras von heu­te gar nicht erst an einer Vor­stel­lung von Zwecken rui­nö­ser Res­sour­cen­aus­beu­tung, wie etwa Kapi­tal­ver­wer­tung. Das aber zu wol­len, auch ohne Erfolgs­ga­ran­tie, dar­auf käme es an. Dem­ge­gen­über nimmt sich die pla­ce­bo­haf­te Kon­struk­ti­vi­tät doch »wirk­lich nicht zu viel« ver­lan­gen­der Akti­vi­sten­vor­schlä­ge dazu, wie der Staat end­lich Nägel mit Köp­fen machen könn­te, fast tra­gi­ko­misch aus.

Gegen vor­ge­stell­te Alter­na­ti­ven und Ideen hat der Staat nichts (»Mei­nungs­frei­heit«, Arti­kel 5 GG). Einen »Druck der Stra­ße«, Nöti­gung und Eigen­tums­be­schä­di­gung gar, kurz: die pro­vo­kan­te Bege­hung von Taten, die bewusst sei­ne Geset­ze bre­chen, kann und will er jedoch nicht hin­neh­men. Dass die Über­tre­tun­gen mora­lisch hoch­wer­tig sein wol­len, wür­digt der Staat ver­ständ­nis­voll und straf­ver­schär­fend. Fest steht: die All­ge­mein­heit lässt sich nicht von Fana­ti­kern auf der Nase her­um­tan­zen. Was bleibt? Das Miss­lin­genmüs­sen von Spek­ta­keln des­halb, weil sie nicht mehr als ein Weck­ruf sein wol­len, akti­vi­sti­sche Auf­op­fe­rung und die Bestä­ti­gung dar­in, irgend­wie nichts unver­sucht gelas­sen zu haben. Die­ses Rechts­emp­fin­den ist nicht gesund, son­dern recht unbe­kömm­lich. Eine Abkehr vom Ide­al eines guten staat­li­chen Schieds­rich­ters, der aktu­ell lei­der »unfair« agiert, erbringt es auch nicht. Im Gegenteil.