Was würde der künstlichen Intelligenz eines zu einer kurzen Antwort angehaltenen Chatbots zur nicht selten geäußerten Frage »Wer gibt dir eigentlich das Recht dazu?« einfallen? »42« à la Douglas Adams? Natürlich nicht! Je nach Voreinstellung bzw. Zufallsgenerator könnten ernsthafte Repliken der Maschine lauten: »staatliche Erlaubnis«, oder »Allah«, oder »die Umwelt«. In Gesetzen kodifiziertes Recht erlaubt, was nicht verboten ist. Mit dieser Tatsächlichkeit konkurriert aber auch die Vorstellung, es gebe ein noch höheres Recht, dessen Vollzug einem Staat obliege, wenn er ein guter sein wolle. Bis zu einem von ihm frei definierten Grad lehnt der Staat eine solche Auffassung nicht ab und formuliert sie bisweilen als Staatsziel (»Religionsfreiheit«, Artikel 4 GG, bzw. »Umweltschutz«, Artikel 20a GG), als von ihm zu beachtende Norm. Wie diese zu verstehen, wie ihr zu entsprechen ist, welcher Rang ihr praktisch zukommt, entscheidet die Politik; »alles Weitere regelt ein Gesetz« – und keinesfalls dessen Ignorierung oder Übertretung.
Was die Macht und Be-Rechtigung religiöser Überzeugungen angeht, so haben viele Religionen für das Zugeständnis ihrer Ausübung nach blutigen Glaubenskriegen einen Burgfrieden mit dem schließlich als Gewaltmonopolist anerkannten Staat geschlossen; dieser wiederum weiß, was er z. B. am Christentum als Teil einer abendländischen Leitkultur und an Kreuzen in Klassenzimmern hat. Ein solcher Kompromiss käme jedoch einer islamistischen Überzeugung, die eine althergebrachte Richtlinienkompetenz ihrer Religion gegen den weltlichen Herrscher unverhandelbar geltend macht, einer Selbstaufgabe gleich. Nach dem Gesetz des Allerhöchsten verwirken »Frevler« ihr Existenzrecht, sind, ob sie wollen oder nicht, einem Gottesstaat einzugliedern, und »wahren Gläubigen« fällt zu, »mit Feuer und Schwert«, nebst Übergriffen auf unverhüllte »Schlampen«, Allahs Recht auf Erden umzusetzen. Wenn islamistische Migranten diesem Gebot nachkommen, so sind »Nafri-Messerstecher« der AfD ein willkommener Beweis für die Schlechtigkeit des Ausländers an sich, dessen Nichtzugehörigkeit gar nicht anders könne, als der Größe der Nation zu schaden, und somit deren kläglichen Zustand erkläre.
Auf der anderen Seite gilt der medial präsenten bourgeoisen Bohème schon die bloße Konstatierung vom Glauben inspirierter Attacken ebenso grundsätzlich als Rassismus; da Migranten zweifellos Opfer einer Bestreitung ihres Weiterexistierens in ihren Herkunftsländern sind, könne jegliche Kritik ihrer Gewalt nur die Äußerung einer immer wieder zu hinterfragenden Voreingenommenheit sein und schlimmstenfalls einem grundlosen Hass entspringen; Opfer zu sein, bedeute nun einmal, zumindest eigentlich gut zu sein. Nicht selten fällt im Streit darum, wo sich das richtige Recht befinde, Islamismuskritikern nur ein, mit der Herabsetzung »Gutmensch« zurückzuschmähen, anstatt beispielsweise Marx‘ Rede vom »Opium des Volkes« zu erläutern. Aber egal, Hauptsache, man hat nichts auf sich sitzen lassen und der Gegenseite »ordentlich eine mitgegeben«. Der Etikettenaustausch macht auch dann nicht klüger, wenn er streitkulturell hochstehend mit gebildetem Aplomb (sic!) verläuft.
Eine weitere Berechtigung zu Kompromisslosigkeit gegenüber bestehender Ordnung wird in Bezug auf den Umweltschutz empfunden. Wenn das globale Dorf brennt, was auch die Regierung nicht in Abrede stellt, ist tatkräftiges Handeln für die Mitglieder der »Letzten Generation« ein absolutes Muss, eine Pflicht, der Staaten bei Strafe allseitigen Untergehens ausnahmslos nachzukommen haben. An dazu nötiger Entschlossenheit lasse es aber der deutsche sträflich mangeln. Sein Verantwortungsdefizit wollen die Aktivisten möglichst vielen Bürgern möglichst so unausweichlich wie dringlich vor Augen führen; eine allgemeine Sensibilisierung für die Dramatik des Umweltzustands soll erreicht, der schlafmützige Bürger durch Störungen seines Alltagsablaufs alarmiert und zu einer bei aller Radikalität nebulösen »Einsicht« »angestiftet« werden. Die Akte zivilen Ungehorsams sind verzweifelt und lassen die Verzweiflung für sich beziehungsweise, was dasselbe ist, ihr Anliegen sprechen. Wenn Verbotenes ausgerechnet von sonst gesetzestreuen Bürgern begangen wird, so das Aktionskalkül, dann muss doch einfach etwas faul im Staate Deutschland sein. Eine zivilcouragierte Bereitschaft dazu, notfalls auch im Gefängnis zu landen, soll der Botschaft zusätzlichen Nachdruck verleihen. Der avantgardistische moralische Umwelt-Rigorismus trifft jedoch bei Mann und Frau, die auf der Straße zur Arbeit fahren und ohnehin wissen, dass Umwelt irgendwie wichtig ist, auf Ablehnung. Dass sich die Spektakel als unwirksam erweisen, liegt an ihnen selbst; undogmatisch wie sie sind, versuchen sich die Kassandras von heute gar nicht erst an einer Vorstellung von Zwecken ruinöser Ressourcenausbeutung, wie etwa Kapitalverwertung. Das aber zu wollen, auch ohne Erfolgsgarantie, darauf käme es an. Demgegenüber nimmt sich die placebohafte Konstruktivität doch »wirklich nicht zu viel« verlangender Aktivistenvorschläge dazu, wie der Staat endlich Nägel mit Köpfen machen könnte, fast tragikomisch aus.
Gegen vorgestellte Alternativen und Ideen hat der Staat nichts (»Meinungsfreiheit«, Artikel 5 GG). Einen »Druck der Straße«, Nötigung und Eigentumsbeschädigung gar, kurz: die provokante Begehung von Taten, die bewusst seine Gesetze brechen, kann und will er jedoch nicht hinnehmen. Dass die Übertretungen moralisch hochwertig sein wollen, würdigt der Staat verständnisvoll und strafverschärfend. Fest steht: die Allgemeinheit lässt sich nicht von Fanatikern auf der Nase herumtanzen. Was bleibt? Das Misslingenmüssen von Spektakeln deshalb, weil sie nicht mehr als ein Weckruf sein wollen, aktivistische Aufopferung und die Bestätigung darin, irgendwie nichts unversucht gelassen zu haben. Dieses Rechtsempfinden ist nicht gesund, sondern recht unbekömmlich. Eine Abkehr vom Ideal eines guten staatlichen Schiedsrichters, der aktuell leider »unfair« agiert, erbringt es auch nicht. Im Gegenteil.