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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rechtsanspruch auf Wiedereinbürgerung gefordert

»Reichs­an­ge­hö­ri­ge, die sich im Aus­land auf­hal­ten, kön­nen der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit für ver­lu­stig erklärt wer­den, sofern sie durch ein Ver­hal­ten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk ver­stößt, die deut­schen Belan­ge geschä­digt haben.« Die Nazis hat­ten nach ihrer Mach­t­er­lan­gung nicht viel Zeit ver­strei­chen las­sen, bis sie im Juli 1933 im »Gesetz über den Wider­ruf von Ein­bür­ge­run­gen und die Aberken­nung der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit« jenen deut­schen Anti­fa­schi­stin­nen und Anti­fa­schi­sten, die sich ins Exil geflüch­tet hat­ten, mit der Aus­bür­ge­rung droh­ten. Bei jüdi­schen Flücht­lin­gen wur­de das Ver­fah­ren im Novem­ber 1941 durch eine soge­nann­te Sam­mel­aus­bür­ge­rung ver­ein­facht: »Ein Jude ver­liert die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit, wenn er beim Inkraft­tre­ten die­ser Ver­ord­nung sei­nen gewöhn­li­chen Auf­ent­halt im Aus­land hat«, so § 2 der 11. Ver­ord­nung zum Reichsbürgergesetz.

Den Betrof­fe­nen die­ser Will­kür­ak­te, ein­schließ­lich ihrer Nach­fah­ren, garan­tiert das Grund­ge­setz einen Anspruch auf Wie­der­ein­bür­ge­rung – eigent­lich. Doch in der Pra­xis erwei­sen sich die ein­schlä­gi­gen Rege­lun­gen als schier unüber­sicht­li­cher Flicken­tep­pich. Zwar wer­den Jahr für Jahr 2000 bis 3000 Ein­bür­ge­run­gen auf Grund­la­ge von Arti­kel 116 Absatz 2 Grund­ge­setz vor­ge­nom­men, zahl­rei­chen Betrof­fe­nen wird die Wie­der­ein­bür­ge­rung aber ver­wei­gert bezie­hungs­wei­se von behörd­li­chen Ermes­sens­ent­schei­dun­gen abhän­gig gemacht. Betrof­fen sind vor allem die Nach­kom­men geflüch­te­ter Frauen.

Das Pro­blem gibt es schon lan­ge, wur­de von der Poli­tik aber nie the­ma­ti­siert. Das änder­te sich erst, als Ende 2018 die bri­ti­sche Betrof­fe­nen­in­itia­ti­ve »article116exclusionsgroup« eine inten­si­ve Medi­en­ar­beit begann. Der Zusam­men­hang mit dem Brexit liegt auf der Hand: Nach Anga­ben des Sta­ti­sti­schen Bun­des­am­tes lag die Zahl bri­ti­scher Antrag­stel­ler zwi­schen 2013 und 2015 im unte­ren zwei­stel­li­gen Bereich. 2016, im Jahr des Brexit-Refe­ren­dums, stieg sie auf 149, im fol­gen­den Jahr auf 614. Eine deut­sche Staats­bür­ger­schaft wür­de es den Antrag­stel­lern ermög­li­chen, Uni­ons­bür­ger zu blei­ben. Inzwi­schen haben sich auch Nach­fah­ren aus­ge­bür­ger­ter Deut­scher, die heu­te in den USA, Austra­li­en und ande­ren Län­dern leben, der bri­ti­schen Betrof­fe­nen­in­itia­ti­ve angeschlossen.

Nur einen beding­ten Rechts­an­spruch auf (Wieder-)Einbürgerung gibt es nach aktu­el­ler Rechts­la­ge bei­spiels­wei­se für Nach­fah­ren deut­scher Frau­en, die zwar zwangs­aus­ge­bür­gert wur­den, aber zum Zeit­punkt der Geburt mit einem aus­län­di­schen Mann ver­hei­ra­tet waren. Denn nach dem dama­li­gen, aus dem Kai­ser­reich stam­men­den Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht wur­de die Staats­an­ge­hö­rig­keit nur vom Vater, nicht aber von der Mut­ter aufs Kind über­tra­gen. Die Aus­bür­ge­rung der Frau war dem­nach nicht ursäch­lich dafür, dass ihre Kin­der kei­ne Deut­schen wur­den. Die­se frau­en­feind­li­che Rege­lung wur­de 1974 vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt. Die Kin­der, nicht aber die Enkel konn­ten nun ihre Ein­bür­ge­rung bean­tra­gen, jedoch nur, wenn sie nach dem 1. April 1953 gebo­ren wur­den. Für davor Gebo­re­ne und deren Nach­kom­men gibt es nur die Mög­lich­keit soge­nann­ter Ermes­sens­ein­bür­ge­run­gen, bei denen die deut­schen Behör­den unter ande­rem prü­fen, ob die Antrag­stel­ler aus­rei­chen­de »Bin­dun­gen an Deutsch­land« haben und ihren Lebens­un­ter­halt selbst bestrei­ten können.

Über­haupt kei­nen gesetz­li­chen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch haben die Nach­kom­men jener geflüch­te­ten deut­schen Frau­en, die ihre deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit nicht unmit­tel­bar, son­dern nur mit­tel­bar durch NS-Unrecht ver­lo­ren. Das muss­te bei­spiels­wei­se die US-Bür­ge­rin Kathe­ri­ne L. Scott erfah­ren, der das Bun­des­ver­wal­tungs­amt auf ihren Antrag hin mit­teil­te, ihre Mut­ter habe Deutsch­land »mit einem deut­schen Pass ver­las­sen« und erst 1940 ihre deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­lo­ren, und zwar durch die Ehe­schlie­ßung mit einem bri­ti­schen Mann, also gemäß dem kai­ser­li­chen Recht. Selbst schuld, lau­tet das Fazit.

Auch Peter Guil­lery, der in Groß­bri­tan­ni­en lebt, hat kein Recht, Deut­scher zu wer­den. Sei­nem Vater wur­de 1938 als Neun­jäh­ri­gem ein »J« in den Kin­der­aus­weis gestem­pelt (das Doku­ment besitzt Peter heu­te noch). Nach­dem die Fami­lie nach­wei­sen konn­te, dass nur die Mut­ter des Kin­des Jüdin war, der Vater aber »Ari­er«, wur­de das rote »J« 1939 mit einem schwar­zen »X« wie­der durch­ge­stri­chen. Peter Guil­lerys Groß­mutter zog es aller­dings vor, mit ihrem Sohn doch lie­ber ins bri­ti­sche Exil zu gehen. Dort blie­ben sie auch nach dem Krieg. Sein Vater wur­de 1948 als Bri­te eingebürgert.

Genau dadurch, so fin­det das Bun­des­ver­wal­tungs­amt, habe der Vater die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­lo­ren, und eben nicht durch einen Nazi-Will­kür­akt (die oben erwähn­te Sam­mel­aus­bür­ge­rung von 1941 galt nur für »Voll­ju­den«). Selbst schuld, so lau­tet auch hier das behörd­li­che Fazit.

Peter Guil­lery kom­men­tier­te das in einer E-Mail an mich iro­nisch: »Wir las­sen die Fra­ge bei­sei­te, was mei­ne jüdi­sche Groß­mutter mit ihrem halb­jü­di­schen neun­jäh­ri­gen Sohn hät­te tun sol­len, als ihre Aus­wei­se im Begriff waren, kon­fis­ziert zu wer­den, außer im Aus­land Zuflucht zu suchen. Sogar mit gestri­che­nem ›J‹ hät­te man nicht erwar­ten kön­nen, dass er eine Wie­der­kehr nach Deutsch­land ris­kie­re, mit oder ohne sei­ne ›voll­jü­di­sche‹ Mut­ter. Uns scheint, dass das Reichs­bür­ger­ge­setz und die Juden­stem­pel­ver­ord­nung doch in einem unmit­tel­ba­ren kau­sa­len Ver­hält­nis zu einer Aus­rei­se ste­hen, ohne wel­che er deut­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger geblie­ben wäre.«

Die Annah­me, dass die deut­schen Vor­fah­ren der heu­ti­gen »Aus­län­der« ohne Nazi­herr­schaft nicht ins Aus­land geflo­hen und also Deut­sche geblie­ben wären, scheint auf der Hand zu lie­gen. Nur ist das aus Behör­den­sicht egal: In einer zyni­schen Vor­füh­rung von Empa­thie­lo­sig­keit befand das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt schon 1968, es sei »uner­heb­lich, wie das indi­vi­du­el­le Lebens­schick­sal der Betrof­fe­nen ohne die natio­nal­so­zia­li­sti­sche Ver­fol­gung ver­lau­fen wäre und zu wel­chen staats­an­ge­hö­rig­keits­recht­li­chen Fol­gen es geführt hätte«.

Eben­so durchs Raster von Ein­bür­ge­rungs­an­sprü­chen fal­len die Nach­kom­men jener deutsch­stäm­mi­gen Bewoh­ner der ab 1938 »ange­schlos­se­nen« bezie­hungs­wei­se besetz­ten Ter­ri­to­ri­en, denen die Ver­lei­hung der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit (etwa durch Ein­trag in die Deut­sche Volks­li­ste) ver­wei­gert wur­de, weil sie als Juden, Sin­ti oder poli­tisch »Unzu­ver­läs­si­ge« aus­ge­grenzt wur­den. Mit Blick auf die­sen Per­so­nen­kreis mach­te sich in den 1950er Jah­ren eine Refe­ren­ten­run­de von Bund und Län­dern Sor­gen über die »Schwie­rig­kei­ten, die sich bei der Fest­stel­lung der deut­schen Volks­zu­ge­hö­rig­keit ins­be­son­de­re bei den Ost­ju­den erge­ben«. Man braucht kaum zu beto­nen, dass unter den Exper­ten etli­che frü­he­re NSDAP-Mit­glie­der waren, wie Nick Court­man, Spre­cher der article116exclusionsgroup, durch sein inten­si­ves Akten­stu­di­um herausfand.

Ver­ein­facht gesagt, sind es also vor allem drei Fall­kon­stel­la­tio­nen, bei denen ein Rechts­an­spruch auf (Wieder-)Einbürgerung ver­wei­gert wird: Nach­kom­men von Frau­en, die – etwa durch Hei­rat mit einem aus­län­di­schen Mann – die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­lo­ren hat­ten, bevor die Nazis sie ihnen for­mell ent­zo­gen; vor 1953 gebo­re­ne Nach­kom­men von Frau­en, die zwar zwangs­aus­ge­bür­gert wor­den waren, aber zum Zeit­punkt der Geburt ihres Kin­des schon mit einem aus­län­di­schen Mann ver­hei­ra­tet waren; Nach­kom­men von Per­so­nen, denen aus ras­si­sti­schen oder poli­ti­schen Grün­den die Ein­bür­ge­rung ver­wei­gert wor­den war.

Kathe­ri­ne L. Scott muss­te für ihren erfolg­lo­sen Antrag 149 Euro Gebüh­ren bezah­len. Wie vie­le Anträ­ge in den letz­ten Jah­ren abge­lehnt wur­den, dar­über gibt es kei­ne offi­zi­el­le Sta­ti­stik. Die Betrof­fe­nen­grup­pe zählt aber mitt­ler­wei­le schon eini­ge Hun­dert Unter­stüt­zer. Der Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land unter­stützt ihre For­de­rung nach einer groß­zü­gi­gen Neu­re­ge­lung des Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­rens. Die Bun­des­re­gie­rung hat Ende August sol­che Neu­re­ge­lun­gen beschlos­sen, aller­dings nicht per Gesetz, son­dern nur durch zwei Erlas­se. Die­se erwei­tern den Kreis der Antrags­be­rech­tig­ten und ver­zich­ten immer­hin auf den Nach­weis der Unter­halts­fä­hig­keit. Aus Sicht der article116exclusionsgroup sind sie den­noch völ­lig unzu­rei­chend: Adop­tiv­kin­der sind davon aus­ge­schlos­sen, eben­so die Nach­fah­ren deutsch­stäm­mi­ger Juden aus den »Ost­ge­bie­ten«. Auch Nach­fah­ren aus­län­di­scher, aber in Deutsch­land gebo­re­ner und auf­ge­wach­se­ner Juden und Anti­fa­schi­sten, die vor natio­nal­so­zia­li­sti­scher Ver­fol­gung flie­hen muss­ten und so vom Erwerb der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit aus­ge­schlos­sen wur­den, wer­den von den neu­en Erlas­sen nicht berück­sich­tigt. Sie gel­ten zudem nur für Per­so­nen, die sich im Aus­land auf­hal­ten, schlie­ßen aber jene aus, die bereits in Deutsch­land leben.

Anzu­mer­ken ist, dass auch die neu­en Erlas­se eine Ein­bür­ge­rung vom Nach­weis deut­scher Sprach­kennt­nis­se sowie von »Grund­kennt­nis­sen der Rechts- und Gesell­schafts­ord­nung und der Lebens­ver­hält­nis­se in Deutsch­land« abhän­gig machen. »Vor allem älte­re Mit­glie­der unse­rer Grup­pe haben Angst und fürch­ten, mit mehr als 70 Jah­ren kei­ne neue Spra­che ler­nen zu kön­nen. Auch wis­sen die mei­sten nicht, wie sie sich auf die Prü­fung der Kennt­nis­se der Rechts- und Gesell­schafts­ord­nung in Deutsch­land vor­be­rei­ten sol­len«, erklärt Nick Court­man dazu.

Links­par­tei und Grü­ne kri­ti­sie­ren zudem, dass die Erlas­se eben kei­nen Rechts­an­spruch begrün­den, son­dern ledig­lich die Aus­sicht auf »wohl­wol­len­de Hand­ha­bung« von Ein­bür­ge­rungs­an­trä­gen erhö­hen. Die bei­den Oppo­si­ti­ons­par­tei­en haben Gesetz­ent­wür­fe erar­bei­tet, die unter­schied­lich weit rei­chen. Bei­de schlie­ßen aus­drück­lich die oben beschrie­be­nen Fall­kon­stel­la­tio­nen ein, in denen der Ver­lust der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit »nur« eine mit­tel­ba­re Fol­ge der NS-Ver­fol­gung war. Der Grü­nen-Gesetz­ent­wurf sieht vor, dass Antrag­stel­ler, die nicht selbst von den Nazis ver­folgt wur­den (also die Nach­kom­men), ihre Bin­dun­gen an Deutsch­land unter Beweis stel­len müs­sen. Der Antrag der Lin­ken ver­zich­tet auf die­se Ein­schrän­kung und betont, es sei »nicht hin­nehm­bar«, den Nach­fah­ren von NS-Opfern »eine Bring­schuld gegen­über Deutsch­land aufzuerlegen«.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: https://www.article116exclusionsgroup.org/