So lautet der Titel eines Buches, in dem ich das Wiederaufleben des Nationalismus in der Bundesrepublik geschildert habe, als in Gestalt von Willy Brandt erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ein Sozialdemokrat ins Bundeskanzleramt eingezogen war (S. Fischer Verlag, 1972). Der Medienwissenschaftler Harry Pross gewann bei der Lektüre den Eindruck, dass – wie er im Vorwort formulierte – in der Mitte der bundesrepublikanischen Szenerie argumentiert werde, »wie die Totengräber der Weimarer Republik argumentiert haben«. Für mich standen CDU und CSU immer »rechts, wo die Mitte ist«.
Daran haben die Kanzlerschaft Angela Merkels und ihr Wirken als CDU-Vorsitzende nichts geändert. Teile der Partei sind hingegen der Meinung, die Christlich Demokratische Union habe ihren Standort nach links verlagert und das Aufkommen der AfD dadurch ermöglicht, weshalb Angela Merkel »weg« müsse. Sie setzen ihre Hoffnungen auf den ehemaligen Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag Friedrich Merz, der von sich sagt, er stehe für Aufbruch und Erneuerung und traue sich zu, die AfD zu halbieren. Von einem »Weiter so«, wie er das bei seinem Mitbewerber um den Parteivorsitz, Armin Laschet, vermutet, hält er nichts.
In welche Richtung die CDU aufbrechen sollte, kann nach allem, was man von Merz weiß, nicht zweifelhaft sein. Umso überraschender seine Aussage in den ARD-Tagesthemen vom 25. Februar, niemand in der CDU möchte eine »Rechtsverschiebung«. Er wolle, dass sich die Partei »zurück in die Mitte« bewege. Dort hätten sich früher die Stammwähler der Partei befunden. Aber ist der sprichwörtliche goldene Mittelweg, auf dem sich konservative Wähler wähnen, wenn sie ihr Kreuz bei der CDU machen, wirklich das Ziel von Friedrich Merz, der sich nach seinen eigenen Worten nicht mehr für Auschwitz in Haftung nehmen lassen will?
Die einst sogenannten Mittelparteien verhalfen der NSDAP am 5. März 1933 im Reichstag zu einer Mehrheit für das Ermächtigungsgesetz, das Hitler den Weg frei machte für Willkür und Machtmissbrauch. Mit diesen Parteien war nach dem Ende der Nazidiktatur ebenso wenig Staat zu machen wie mit den Mitgliedern der Nazipartei. Sie fanden mehrheitlich Unterschlupf in der von Konrad Adenauer unter Missbrauch des Wortes christlich ins Leben gerufenen CDU. Schon im dritten Jahr seiner Kanzlerschaft verlangte er, »mit der Naziriecherei Schluss zu machen«, was dann auch geschah.
Kurt Georg Kiesingers Mitgliedschaft in der NSDAP spielte bei seiner Wahl zum Bundeskanzler keine Rolle. Alfred Dregger wurde problemlos zum Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag gewählt, obwohl auch er der Nazipartei angehört hat. Hätte nach dem Ende der DDR eine solche Karriere auch einem ehemaligen Mitglied der SED offengestanden? Nach seinem politischen Standort befragt, antwortete Dregger 1971: »Ich bin ein Mann der Mitte.« 1982 rief er alle Deutschen auf, »aus dem Schatten Hitlers herauszutreten« und »normal« zu werden. Auch Franz Josef Strauß war für ihn grundsätzlich ein Mann der Mitte.
»Was ist denn in der Bundesrepublik rechts, wenn Herr Strauß und Sie Männer der Mitte sind?« wollte der Spiegel 1971 von Dregger wissen. »Rechts ist die NPD«, gab er zur Antwort. Im Übrigen war der Rechtsradikalismus für ihn kein aktuelles Problem. »Die große Gefahr für die Demokratie in dieser Zeit ist der Linksradikalismus.« Wohin diese Sichtweise geführt hat, erleben wir nahezu jeden Tag aufs Neue. Derselbe Horst Seehofer, der den Rechtspopulisten lange nach dem Munde geredet hat, bezeichnet den Rechtsextremismus inzwischen als die größte Gefahr für die Demokratie in der Bundesrepublik. Was den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, und sein schlimmes Wort von der Nazizeit als »Vogelschiss« angeht, sollte man sich gelegentlich daran erinnern, dass dieser Mann 40 Jahre Mitglied der CDU gewesen ist. Wahrscheinlich versteht auch er sich als »Mann der Mitte«. Jedenfalls hält er die AfD für eine bürgerliche Partei.
Wer von den drei Bewerbern um den CDU-Vorsitz auf dem Sonderparteitag der CDU am 25. April die meisten Stimmen bekommt, ist schwer zu sagen. Entscheiden sich die Delegierten für Friedrich Merz, wäre das der offene Bruch mit Angela Merkel und wahrscheinlich das Ende ihrer Kanzlerschaft. Dann stünden Neuwahlen ins Haus. An denen kann der CDU eingedenk ihres Wahldebakels in Hamburg und des Offenbarungseides bei der Abwahl des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nicht gelegen sein.