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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rechts oder Links? Was für eine Frage!

Als ich im Herbst 1989 mei­ne Tätig­keit als Hob­by­ka­ba­ret­tist begann, war die Lage klar. Das lin­ke Modell, auf einer wis­sen­schaft­li­chen Welt­an­schau­ung basie­rend, war geschei­tert, und Hel­mut Kohl, der Dau­er­kanz­ler, der Aus­druck alles Kon­ser­va­ti­ven, über­brach­te uns die kapi­ta­li­sti­sche Markt­wirt­schaft, wie wir sie in kei­nem Staats­bür­ger­kun­de­un­ter­richt hät­ten bes­ser ler­nen kön­nen. Wenn man nicht vom CDU-ler Ost zum CDU-ler West oder von der ost­deut­schen »Libe­ral-Demo­kra­ti­schen Par­tei Deutsch­lands« – »Die LDPD ist eine für und im Sozia­lis­mus wir­ken­de demo­kra­ti­sche Par­tei.« (Sta­tut der LDPD) – zum Markt­li­be­ra­len der FDP kon­ver­tier­te, fand man sich irgend­wo zwi­schen Bündnis90/​Die Grü­nen, SPD und PDS wie­der. Was links und was rechts war, war klar. Im Zwei­fel war man eine Rote Socke, doch Marx war tot und Jesus leb­te, so pre­dig­te Nor­bert Blüm schon im August 1989 in Dan­zig, die Mau­er stand noch. Und so wäre es wohl geblie­ben, wenn nicht alle, aber auch alle Par­tei­en, die eine schnel­ler, die ande­re lang­sa­mer, der Mit­te zuge­strebt wären.

Wann hat­te das alles ange­fan­gen? Viel­leicht als Schrö­der unter einem refor­mi­sti­schen Deck­man­tel sei­ne Agen­da 2010 durch­setz­te und die Heu­schrecken-Inve­sto­ren ins Land ließ? Din­ge, die man dem kon­ser­va­ti­ven Kohl zuge­traut hat­te, aber nicht einem Sozi­al­de­mo­kra­ten. Oder als die Bünd­nis­grü­nen im Koso­vo-Krieg, Ausch­witz beschwö­rend, alles über Bord war­fen, was sie angeb­lich als Par­tei aus­mach­te? Oder war es Ange­la Mer­kel, die nach Fuku­shi­ma den Atom­aus­stieg per­fekt mach­te und die die gleich­ge­schlecht­li­che Ehe legi­ti­mie­ren ließ, indem sie die Abstim­mung im Bun­des­tag frei­gab – und damit den Grü­nen zwei Kern­the­men nahm? Was war die CDU denn nun noch? So ganz kon­ser­va­tiv wohl nicht. Aber links ja wohl auch nicht. Oder war der huma­ni­tä­re Akt von Ange­la Mer­kel 2015 – »Wir schaf­fen das!« – viel­leicht doch ein prak­ti­zier­ter Kern­ge­dan­ke der Lin­ken, näm­lich der der Inter­na­tio­na­len Solidarität?

Es ist schwer, den Zeit­punkt zu defi­nie­ren, aber am Ende auch müßig: Die Rechts-Links-Logik ver­schwamm und ist wohl auch nicht mehr sinn­voll. Zumin­dest nicht, solan­ge mir kei­ner erklä­ren kann, wie sich das Links- oder Rechts­sein defi­niert. Was »links« ist, weiß ver­mut­lich zur­zeit nicht mal die Lin­ke selbst. Was auch dar­an lie­gen könn­te, dass sie sich zu lan­ge mit modi­schen Wohl­fühl­the­men befasst und vor allem Selbst­ge­rech­tig­keit aus­ge­strahlt hat, der poli­ti­sche Ana­ly­se aber nach mei­ner Wahr­neh­mung zu wenig Auf­merk­sam­keit schenk­te. Und wenn in der Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on der Links­par­tei die »Dönerpreis­brem­se« DIE Kampf­an­sa­ge an ein außer Kon­trol­le gera­te­nes System ist, dann fällt mir die Ein­ord­nung noch schwe­rer. Soll das links sein?

Wäh­rend der Kom­mu­nal- und Euro­pa­wah­len war­ben die Par­tei­en in mei­ner Hei­mat­stadt mit ver­wir­ren­den Slo­gans. »Mag­de­burg zuerst!« – Damit pries sich in Trump’scher Manier, nein, nicht die AFD, son­dern die CDU an. »Das Ehren­amt stär­ken, Sport­stät­ten erhal­ten!« war kein Slo­gan der Lin­ken oder der SPD. Son­dern der AFD. Bis zur Grün­dung des BSW hat­te man bezüg­lich ande­rer Mei­nun­gen zum Ukrai­ne-Krieg par­tei­po­li­tisch kaum eine Chan­ce, sich jen­seits der AFD zu posi­tio­nie­ren. Und wer es satt­hat­te, stän­dig dar­über belehrt zu wer­den, wie man rich­tig spricht, da man sich sonst des Ras­sis­mus oder der Frau­en­feind­lich­keit schul­dig machen wür­de, konn­te bis dahin nur »rechts« wählen.

Fragt man mich also heu­te, ob ich nun ein Lin­ker oder ein Rech­ter sei, kann ich nur mit den Schul­tern zucken. Denn erstens lege ich das sowie­so nicht fest. In Schub­la­den steckt man sich nicht selbst, da wird man rein­ge­steckt. Und zwei­tens ist das ja heut­zu­ta­ge eine Fra­ge der Per­spek­ti­ve. Im haupt­be­ruf­li­chen Kol­le­gen­kreis gel­te ich wohl als »links­grün ver­sifft«, im (jün­ge­ren) kaba­ret­ti­sti­schen Umfeld durch­aus schon mal als »Alter Wei­ßer Mann« mit allen ideo­lo­gi­schen Unter­stel­lun­gen, die dazu­ge­hö­ren – auch wenn bei­de Sei­ten das nicht offi­zi­ell sagen. Es sind nur noch Schub­la­den, mit denen gear­bei­tet und stig­ma­ti­siert wird. Wider­stand zweck­los. In der Sozi­al­po­li­tik bin ich wohl ten­den­zi­ell ein Lin­ker. In mei­ner Hal­tung zum Ukrai­ne-Krieg und zum Gen­dern wohl ein Rech­ter. Gün­stig­sten­falls ein Wagenknecht!

Viel­leicht soll­te man mit die­sem Schub­la­den­den­ken auf­hö­ren?! Der Umstand, dass sich Posi­tio­nen manch­mal über alle poli­ti­schen Lager hin­weg über­schnei­den, heißt doch nicht, dass man des­we­gen ein gemein­sa­mes Welt­bild hat. Das hat­ten auch die Atten­tä­ter des 20. Juli nicht, die auf den letz­ten Metern mit Kom­mu­ni­sten und Sozi­al­de­mo­kra­ten zusam­men­ar­bei­te­ten – und deren Welt­bild ganz sicher ein ande­res war. Mei­ne Gesin­nung, mei­ne Auf­fas­sung, mein Welt­bild ist es jeden­falls nicht, dass Min­der­hei­ten zu Sün­den­böcken gemacht wer­den. So gese­hen ertra­ge ich leich­ter die Beschimp­fung als »Lin­ker«.

 

Ausgabe 15.16/2024