Als ich im Herbst 1989 meine Tätigkeit als Hobbykabarettist begann, war die Lage klar. Das linke Modell, auf einer wissenschaftlichen Weltanschauung basierend, war gescheitert, und Helmut Kohl, der Dauerkanzler, der Ausdruck alles Konservativen, überbrachte uns die kapitalistische Marktwirtschaft, wie wir sie in keinem Staatsbürgerkundeunterricht hätten besser lernen können. Wenn man nicht vom CDU-ler Ost zum CDU-ler West oder von der ostdeutschen »Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands« – »Die LDPD ist eine für und im Sozialismus wirkende demokratische Partei.« (Statut der LDPD) – zum Marktliberalen der FDP konvertierte, fand man sich irgendwo zwischen Bündnis90/Die Grünen, SPD und PDS wieder. Was links und was rechts war, war klar. Im Zweifel war man eine Rote Socke, doch Marx war tot und Jesus lebte, so predigte Norbert Blüm schon im August 1989 in Danzig, die Mauer stand noch. Und so wäre es wohl geblieben, wenn nicht alle, aber auch alle Parteien, die eine schneller, die andere langsamer, der Mitte zugestrebt wären.
Wann hatte das alles angefangen? Vielleicht als Schröder unter einem reformistischen Deckmantel seine Agenda 2010 durchsetzte und die Heuschrecken-Investoren ins Land ließ? Dinge, die man dem konservativen Kohl zugetraut hatte, aber nicht einem Sozialdemokraten. Oder als die Bündnisgrünen im Kosovo-Krieg, Auschwitz beschwörend, alles über Bord warfen, was sie angeblich als Partei ausmachte? Oder war es Angela Merkel, die nach Fukushima den Atomausstieg perfekt machte und die die gleichgeschlechtliche Ehe legitimieren ließ, indem sie die Abstimmung im Bundestag freigab – und damit den Grünen zwei Kernthemen nahm? Was war die CDU denn nun noch? So ganz konservativ wohl nicht. Aber links ja wohl auch nicht. Oder war der humanitäre Akt von Angela Merkel 2015 – »Wir schaffen das!« – vielleicht doch ein praktizierter Kerngedanke der Linken, nämlich der der Internationalen Solidarität?
Es ist schwer, den Zeitpunkt zu definieren, aber am Ende auch müßig: Die Rechts-Links-Logik verschwamm und ist wohl auch nicht mehr sinnvoll. Zumindest nicht, solange mir keiner erklären kann, wie sich das Links- oder Rechtssein definiert. Was »links« ist, weiß vermutlich zurzeit nicht mal die Linke selbst. Was auch daran liegen könnte, dass sie sich zu lange mit modischen Wohlfühlthemen befasst und vor allem Selbstgerechtigkeit ausgestrahlt hat, der politische Analyse aber nach meiner Wahrnehmung zu wenig Aufmerksamkeit schenkte. Und wenn in der Jugendorganisation der Linkspartei die »Dönerpreisbremse« DIE Kampfansage an ein außer Kontrolle geratenes System ist, dann fällt mir die Einordnung noch schwerer. Soll das links sein?
Während der Kommunal- und Europawahlen warben die Parteien in meiner Heimatstadt mit verwirrenden Slogans. »Magdeburg zuerst!« – Damit pries sich in Trump’scher Manier, nein, nicht die AFD, sondern die CDU an. »Das Ehrenamt stärken, Sportstätten erhalten!« war kein Slogan der Linken oder der SPD. Sondern der AFD. Bis zur Gründung des BSW hatte man bezüglich anderer Meinungen zum Ukraine-Krieg parteipolitisch kaum eine Chance, sich jenseits der AFD zu positionieren. Und wer es satthatte, ständig darüber belehrt zu werden, wie man richtig spricht, da man sich sonst des Rassismus oder der Frauenfeindlichkeit schuldig machen würde, konnte bis dahin nur »rechts« wählen.
Fragt man mich also heute, ob ich nun ein Linker oder ein Rechter sei, kann ich nur mit den Schultern zucken. Denn erstens lege ich das sowieso nicht fest. In Schubladen steckt man sich nicht selbst, da wird man reingesteckt. Und zweitens ist das ja heutzutage eine Frage der Perspektive. Im hauptberuflichen Kollegenkreis gelte ich wohl als »linksgrün versifft«, im (jüngeren) kabarettistischen Umfeld durchaus schon mal als »Alter Weißer Mann« mit allen ideologischen Unterstellungen, die dazugehören – auch wenn beide Seiten das nicht offiziell sagen. Es sind nur noch Schubladen, mit denen gearbeitet und stigmatisiert wird. Widerstand zwecklos. In der Sozialpolitik bin ich wohl tendenziell ein Linker. In meiner Haltung zum Ukraine-Krieg und zum Gendern wohl ein Rechter. Günstigstenfalls ein Wagenknecht!
Vielleicht sollte man mit diesem Schubladendenken aufhören?! Der Umstand, dass sich Positionen manchmal über alle politischen Lager hinweg überschneiden, heißt doch nicht, dass man deswegen ein gemeinsames Weltbild hat. Das hatten auch die Attentäter des 20. Juli nicht, die auf den letzten Metern mit Kommunisten und Sozialdemokraten zusammenarbeiteten – und deren Weltbild ganz sicher ein anderes war. Meine Gesinnung, meine Auffassung, mein Weltbild ist es jedenfalls nicht, dass Minderheiten zu Sündenböcken gemacht werden. So gesehen ertrage ich leichter die Beschimpfung als »Linker«.