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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Raus aus der NATO!

Die Tra­di­ti­on der Oster­mär­sche gibt es in Ita­li­en nicht, aber doch noch eine Frie­dens­be­we­gung, die drei Tage nach dem Außen­mi­ni­ster­tref­fen der inzwi­schen 29 NATO-Staa­ten in Washing­ton eine inter­na­tio­na­le Kon­fe­renz am 7. April in Flo­renz orga­ni­sier­te. Ihr The­ma: »70 Jah­re NATO – wel­che histo­ri­sche Bilanz? Aus dem Kriegs­sy­stem aus­tre­ten – jetzt!« Am Tag davor hat­te es eine Demo in Livor­no gegen die US-Basis Camp Dar­by gege­ben, die das größ­te Waf­fen­ar­se­nal außer­halb des US-Ter­ri­to­ri­ums birgt, inklu­si­ve atom­ge­trie­be­ner Kriegs­schif­fe. Ita­li­en gehört wie Deutsch­land zu den fünf NATO-Län­dern, in denen die USA mit der Lage­rung von Atom­waf­fen gegen den inter­na­tio­na­len Atom­waf­fen­sperr­ver­trag verstoßen.

Im Kon­text der Glo­ba­li­sie­rung ist die inter­na­tio­na­le Kriegs­ge­fahr enorm ange­wach­sen, auch wenn sie von der medi­en­ge­lei­te­ten Öffent­lich­keit nicht ange­mes­sen wahr­ge­nom­men wird und sich in einer Viel­zahl regio­nal begrenz­ter Kon­flik­te zu erschöp­fen scheint. Auf­klä­rung tut not.

Mehr als 600 Teil­neh­mer aus Euro­pa und den USA waren der Initia­ti­ve meh­re­rer ita­lie­ni­scher Anti­kriegs­ko­mi­tees, dar­un­ter No Guer­ra No Nato und Pax Cri­sti, und der kana­di­schen Glo­bal Rese­arch gefolgt und ana­ly­sier­ten stun­den­lang die – in Michail Gor­bat­schows Gruß­bot­schaft her­vor­ge­ho­be­ne – zuneh­mend bedroh­li­che­re mili­tä­ri­sche Welt­la­ge. Der Direk­tor des letzt­ge­nann­ten For­schungs­zen­trums, Michel Chos­su­dov­sky, Pro­fes­sor für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, eröff­ne­te die Tagung mit der Klar­stel­lung, dass es sich bei der NATO kei­nes­wegs um eine Alli­anz gleich­be­rech­tig­ter Staa­ten han­de­le, son­dern um einen Mili­tär­pakt unter US-Domi­nanz, der die ein­sti­ge Vor­herr­schaft der USA über den Westen inzwi­schen über fast ganz Euro­pa aus­ge­wei­tet habe und auch wei­ter garan­tie­ren solle.

Die Kom­man­do­struk­tu­ren der NATO sind eng ver­floch­ten mit denen der US-Streit­kräf­te, und der NATO-Ober­be­fehls­ha­ber in Euro­pa ist immer ein US-Gene­ral, der NATO-Gene­ral­se­kre­tär (der­zeit der Nor­we­ger Jens Stol­ten­berg) ein Büro­krat ohne Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz. Ent­spre­chend aus­ge­wei­tet ist die Anzahl der US/­NA­TO-Mili­tär­stütz­punk­te (allein in Ita­li­en sind es mehr als 110), denn die mili­tä­ri­sche Domi­nanz soll auch die poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Kon­trol­le über den Kon­ti­nent festigen.

Ein knap­per Abriss der NATO-Geschich­te zeigt eine erschüt­tern­de Bilanz von Ver­stö­ßen gegen das inter­na­tio­na­le Völ­ker­recht; der Angriff auf Jugo­sla­wi­en 1999 öff­ne­te den Weg für wei­te­re Ver­bre­chen in Afgha­ni­stan, Liby­en, Syri­en und so weiter.

Die Gesamt­be­dro­hung hat zuge­nom­men, seit die ein­sti­gen Garan­tien gegen einen ato­ma­ren Erst­schlag zur Zeit des Kal­ten Krie­ges nach des­sen Ende ersetzt wor­den sind durch eine ato­ma­re »first strike«-Option zur vor­geb­li­chen Ver­tei­di­gung, für die die ent­spre­chen­den klei­ne­ren Atom­waf­fen schon ent­wickelt und posi­tio­niert wer­den, wei­te­re Ver­bre­chen sind damit vorprogrammiert.

Nach der Auf­lö­sung des War­schau­er Pak­tes (1991) und der Abrü­stung der ein­sti­gen Ost­block­staa­ten, als die Bun­des­re­pu­blik sich »nur noch von Freun­den umzin­gelt« sah (H. Kohl), rüste­te die NATO nicht kon­se­quent ab, son­dern erwei­ter­te ihren mili­tä­ri­schen Ein­fluss von den ein­sti­gen Ach­sen­mäch­ten Deutschland/​Italien im Süden auf den Bal­kan und im Osten – ent­ge­gen vori­ger Ver­si­che­run­gen – bis an die rus­si­sche West­gren­ze. Dort sind inzwi­schen vier mul­ti­na­tio­na­le Ein­satz­trup­pen (in Polen, Est­land, Litau­en und Lett­land) sta­tio­niert, die mit Jagd­bom­bern den Luft­raum über­wa­chen, dar­un­ter auch ita­lie­ni­sche Euro­figh­ter. (Die ita­lie­ni­schen Mili­tär­ko­sten belau­fen sich der­zeit auf 70 Mil­lio­nen Euro pro Tag und sol­len auf 100 Mil­lio­nen steigen.)

Die mili­tä­ri­schen Manö­ver, die – wie schon vor 70 Jah­ren – angeb­lich »zur Ver­tei­di­gung Euro­pas gegen einen rus­si­schen Angriff« mit inzwi­schen meh­re­ren Zehn­tau­send alli­ier­ten Sol­da­ten durch­ge­führt wer­den, sol­len sich 2019 auf ins­ge­samt 310 Ein­sät­ze zu Was­ser, zu Lan­de und in der Luft stei­gern! Eine regel­rech­te Vor­be­rei­tung auf hypo­the­ti­sche Kriegs­sze­na­ri­en mit che­mi­schen, bio­lo­gi­schen und ato­ma­ren Waf­fen. Man kann nur hof­fen, dass dort kei­ner die Ner­ven verliert!

In einem Inter­view mit dem Mili­tär­ex­per­ten Man­lio Dinuc­ci (»Mit der NATO von Wel­fa­re zu War­fa­re«) erhellt Michel Chos­su­dov­sky Michel Chos­su­dov­sky den engen Zusam­men­hang zwi­schen Glo­ba­li­sie­rung und Krieg: »Die Mili­ta­ri­sie­rung unter­stützt das Durch­set­zen einer makro­öko­no­mi­schen Restruk­tu­rie­rung der Ziel­län­der. Sie erlegt ihnen Mili­tär­aus­ga­ben auf, die eine Kriegs­wirt­schaft favo­ri­sie­ren und zu einer zivil­wirt­schaft­li­chen Desta­bi­li­sie­rung füh­ren, wie auch zu einem Macht­ver­lust der natio­na­len Insti­tu­tio­nen.« (Hier und im fol­gen­den Absatz: zitiert nach il mani­festo, 19.4.2019; Über­set­zung S. B.-K.)

Wäh­rend Trump zu Beginn sei­ner Amts­zeit die NATO zunächst als obso­let bezeich­ne­te und das von Oba­ma auf den Weg gebrach­te US-Atom­pro­gramm auf 1200 Mil­li­ar­den Dol­lar auf­stock­te, will er nun doch auch von Euro­pa einen Bei­trag zur welt­wei­ten soge­nann­ten Frie­dens­si­che­rung ein­for­dern. Die von der NATO gefor­der­te Erhö­hung der Mili­tär­aus­ga­ben wird in den euro­päi­schen Staa­ten eben­falls auf Kosten des wel­fa­re gehen. Chos­su­dov­sky: »End­ziel des Gan­zen ist die Erobe­rung sowohl mate­ri­el­ler als auch mensch­li­cher Res­sour­cen sowie der poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen der Staa­ten. Die Kriegs­ak­te die­nen dem Pro­zess der wirt­schaft­li­chen Erobe­rung. Das Hege­mo­nie­pro­jekt der USA zielt auf die Trans­for­ma­ti­on sou­ve­rä­ner Staa­ten und auch inter­na­tio­na­ler Insti­tu­tio­nen in offe­ne Ein­fluss­ge­bie­te für wirt­schaft­li­che Durch­drin­gung. Eines der Instru­men­te dafür sind mas­si­ve Auf­la­gen für ver­schul­de­te Län­der. Die Auf­er­le­gung töd­li­cher makro­öko­no­mi­scher Refor­men führt dann zur Ver­ar­mung wei­ter Tei­le der Welt­be­völ­ke­rung.« Und damit zu einer welt­wei­ten Desta­bi­li­sie­rung, die dann wie­der­um die For­de­rung nach mehr Mili­tär für »Sicher­heit« nach sich zie­hen kann, ein töd­li­cher Teufelskreis.

Über all das schwei­gen die Mas­sen­me­di­en im poli­ti­schen Dis­kurs vor den Euro­pa­wah­len. Abge­lehnt wird der US/­NA­TO-Pakt, der den Inter­es­sen der gro­ßen Mehr­heit der Euro­pä­er wider­spricht, von der Par­tei der Euro­päi­schen Lin­ken (sie­he auch die Bun­des­tags­re­de von Hei­ke Hän­sel am 5. April und den Antrag der Lin­ken auf Abzug der US-Trup­pen und der Atom­waf­fen aus Deutschland).

Aber das ist ein wei­ter Weg. Es müss­te den Frie­dens­be­we­gun­gen in Euro­pa gelin­gen, aus ihren Nischen her­aus- und ins Bewusst­sein der Bevöl­ke­rung ein­zu­tre­ten, ähn­lich zum Bei­spiel wie die aktu­el­le Kli­ma­be­we­gung (Gre­ta Thun­berg). Bei­de könn(t)en nur durch radi­ka­les Umden­ken und gemein­sa­mes Han­deln Schlim­me­res ver­hü­ten. Doch die offi­zi­el­le Des­in­for­ma­ti­on ist immens, seit­dem Krieg­füh­rung als Frie­dens­si­che­rung bezeich­net wird und die Rea­li­tät auf den Kopf gestellt ist. Damit ist die Schaf­fung ande­rer Infor­ma­ti­ons­quel­len unab­ding­ba­rer Teil des Kamp­fes gewor­den und war auch ein The­men­schwer­punkt in Florenz.

Die die Kon­fe­renz abschlie­ßen­de »Erklä­rung von Flo­renz für einen inter­na­tio­na­len NATO-Exit« ist ein­seh­bar unter https://www.pressenza.com.

Sie­he auch Susan­na Böh­me-Kubys Arti­kel: »Ita­li­en, ein Flug­zeug­trä­ger«, Ossietzky 4/​07, »Gegen Krieg und NATO«, Ossietzky 10/​2015