Seit einigen Monaten wird in der Presse verstärkt das Thema Rassismus in der DDR anhand eines angeblichen fremdenfeindlich konnotierten Mordes eines jungen Mosambikaners im Jahre 1986 gepflegt. Auch dann noch, als eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung sowie die Recherche von zwei Journalistinnen der Berliner Zeitung ergeben hatten, dass mitnichten Belege für einen Mord an Manuel Diogo oder eine Vertuschung desselben vorliegen (vgl. Frank Schumann: Diogo – Aufarbeitung der »Aufarbeitung«, in: Ossietzky 6/2021). Bis heute hat sich noch keines der öffentlichen Medien, die zum Teil wiederholt die ausgedachte Mordstory verbreiteten, dafür entschuldigt oder zumindest die Fakten richtig dargestellt.
Wenn man sich mit den Vorwürfen eines in der DDR grassierenden Rassismus, von dem vor allem der sich als Historiker ausgebende Harry Waibel gern schwadroniert und die Story der Ermordung von Diogo am Leben erhält, befasst, ist ein Blick in die deutsch-deutsche Geschichte, fokussiert auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, immer recht aufschlussreich.
Damit sind nicht die sogenannten Baseballschlägerjahre nach dem Mauerfall und der deutschen Vereinigung gemeint, als die mit einmal zu Hunderttausenden auf den Arbeitsämtern sich treffenden nun schon ehemaligen DDR-Bürger ihre Existenz und die ihrer Familien bedroht sahen und dafür nach Opfern suchten, die sie ihren Frust spüren ließen – so die als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachteten noch in Deutschland verbliebenen Vertragsarbeiter –, sondern es ist die Zeit ab Ende der 1970er Jahre gemeint. Eine solche Rückschau sei vor allem denjenigen empfohlen, die der DDR-Geschichte unkundig und der Meinung sind, dass in dem ostdeutschen Staat (fast) flächendeckender Rassismus auszumachen gewesen sei.
Eine Ironie der Geschichte spiegelt sich in folgendem Vorgang wider: Auf die Frage eines Reporters nach einem zu Beginn der 1970er Jahre erlebten Rassismus antwortete die auf einer Bahnfahrt gerade noch grob als »Negermischling« bezeichnete Toxi Nwako, dass sie sehr wohl Rassendiskriminierung erlebt habe: »Wo ich bin, ob in einem Verkehrsmittel oder in einer Gaststätte, ja selbst auf einer Party, zu der ich eingeladen werde, (…) immer spüre ich, dass man mich meiner Hautfarbe wegen anders, nicht gleichwertig behandelt; mal plump frech, mal herablassend mit gespielter Gutmütigkeit (…), aber immer als untergeordnete Fremde.«
Toxi Nwako wurde nach einem rassistischen Vorfall in der Eisenbahn diskriminiert, und als sie sich mit juristischen Mitteln dagegen zur Wehr setzte, wurde sie angefeindet, verleumdet, bedroht. Dies geschah indes nicht irgendwo in der DDR-Provinz, sondern in München. Der bekannte DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul verteidigte die Schauspielerin, die schon mit Heinz Rühmann vor der Kamera gestanden hatte, gegen diesen offen zu Tage getretenen Rassismus im Jahre 1971 vor einem Gericht in der Bundesrepublik.
Nur ein Beispiel wider das Vergessen und die Verdrehung der Tatsachen! Von Rassismus in der DDR kann man nicht sprechen, denn das hätte organisierte Netzwerke, offene rassistische Propaganda, entsprechende Literatur, offizielle Reden, Missachtung der Justiz gegen entsprechende Anzeigen vorausgesetzt. Das gab es alles in der DDR nicht.
Der damalige DDR-Außenminister Otto Winzer erklärte unter anderem in einer Rede auf der XXVIII. Tagung der UNO-Vollversammlung Mitte der 1970er Jahre, dass die DDR den Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus »stets als heilige Pflicht betrachtet« habe, man stehe damit auf dem Boden der von der UNO beschlossenen Direktiven: »In der DDR gibt es keine politischen oder ökonomischen Gruppen, deren Profitstreben und Exportinteressen einer Politik der Erfüllung der Beschlüsse und Empfehlungen der UNO entgegenstehen würden.« Die Konzentration auf die Beseitigung der politischen und ökonomischen Grundlagen des Rassismus in der DDR entsprach ihrem Selbstverständnis als antifaschistischer Staat. In der DDR, so Erich Honecker im August 1978, sei »der menschenfeindliche Rassismus mit der Wurzel ausgerottet« worden. Damit ist gesagt, dass keinerlei Voraussetzungen für das Entstehen und die Verbreitung von rassistischem Gedankengut in der DDR existierten. Das wurde der DDR international positiv angerechnet. Ein hochrangiger UNO-Beamter, der nigerianische Diplomat Agabaidu Edwin Ogbu, erklärte seinerzeit: »Die DDR steht im Kampf gegen Rassismus und Apartheid mit in der ersten Reihe. Die konsequente Haltung der DDR in diesem Kampf ist Grundinhalt ihrer Politik, die bereits lange vor ihrer Aufnahme als Mitglied der UNO wirksam wurde.«
Es sagt jedoch nichts darüber aus, dass es durchaus rassistische Ressentiments gegeben hat. Dass solche in einem Volk von mehreren Millionen Erwachsenen, die noch einige Jahre vorher den faschistischen Rattenfängern hinterhergelaufen und dem Rassenwahn verfallen waren, vorhanden gewesen sind, kann nicht bestritten werden. Das hat in der DDR auch niemand behauptet. Aus diesem Grunde gab es entsprechende Paragrafen im Strafgesetzbuch der DDR, wo es hieß: »Wer einen Menschen wegen seiner Zugehörigkeit zu einem anderen Volk, einer anderen Nation oder Rasse beleidigt oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadeln bestraft« (Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968, in: Gesetzblatt I, Berlin 1968, S. 1 [Neufassung vom 19.12.1974, Berlin 1975]).
Wurde ein Fall von rassistischem Verhalten bekannt, wurde der »Täter« mit aller Härte von den Polizei- und Justizorganen verfolgt. Denn in der DDR-Verfassung hieß es im Artikel 6, § 5: »Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass werden als Verbrechen geahndet.« Entsprechende Gesetzesverletzungen wurden also hart bestraft; nach dem »Friedensschutzgesetz«-Paragrafen 1 bis 6 aus dem Jahre 1950 mit Gefängnisstrafen. Allein schon die Vorbereitung und der Versuch von Völker- und Rassenhetze, ebenso wie Kriegspropaganda oder -hetze waren verboten – das war im Staate DDR Konsens. Auch im später verabschiedeten Gesetzbuch der DDR von 1968 heißt es in Paragraf 92, dass Völker- und Rassenhetze mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren geahndet wird. Bereits die Vorbereitung und der Versuch stellten eine Straftat dar. Das war übrigens der damaligen internationalen Gemeinschaft bekannt, und diese – etwa die UNO – wussten dies auch zu schätzen.
Zwischen Rassismus und rassistischen Ressentiments besteht also ein großer Unterschied.