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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Radio Rheinmetall« auf Dauersendung?

In HR-Info­ra­dio vom 14. Febru­ar 2023 wird ein – wie gewohnt: völ­lig unkri­ti­scher – Bericht über den Besuch der deut­schen Außen­mi­ni­ste­rin beim Nato-Anwär­terstaat Finn­land gebracht. »Wegen« sei­ner lan­gen Gren­ze mit Russ­land habe Finn­land über 50.000 Bun­ker, und fast ganz Hel­sin­ki gebe es prak­tisch noch ein­mal unter der Erde. Fas­zi­nie­rend und vor­bild­lich fin­det das die deut­sche Außen­mi­ni­ste­rin. Nach ein biss­chen Her­um­ge­hüp­fe für die BILD-Zei­tung (14.2.2023), blö­delt Baer­bock im Bun­ker und stimmt über ihre media­len Ver­stär­ker (namens: »Journalist(inn)en«) das deut­sche Publi­kum auf herr­li­che Zei­ten unter der Erde ein. Denn, über­le­gen Sie mal: War­um soll denn die Bun­des­re­gie­rung ihr Ver­spre­chen von jähr­lich 400.000 gebau­ten über­ir­di­schen Sozi­al­woh­nun­gen ein­hal­ten, wenn man das Gan­ze auch unter­ir­disch machen kann? Das sind doch end­lich mal Per­spek­ti­ven! Ein Leben im Atom­bun­ker, wie schön! Ist das nicht toll? Eine oliv­grü­ne Uto­pie deu­tet sich an – und die bra­ven Redak­tio­nen ste­hen bestimmt schon Gewehr bei Fuß. Jeder Welt­un­ter­gang ist ihnen lie­ber als ein Ver­hand­lungs­frie­den mit Russland.

Schon der Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster Karl Lau­ter­bach und sein Tweet »Wir sind im Krieg mit Putin« (SPIEGEL.de, 01.10.2022) sowie Bun­des­au­ßen­mi­ni­ste­rin Anna­le­na Baer­bocks Ver­kün­dung im Euro­pa­rat »Wir kämp­fen einen Krieg gegen Russ­land« (ZDF.de, 26.01.2023) wur­den welt­weit teils mit Ver­wun­de­rung beach­tet, zum Glück oft als Quatsch miss­ach­tet und zumeist kri­ti­siert. In den deut­schen Qua­li­täts­me­di­en wur­den die­se Aus­sa­gen von Mit­glie­dern der Regie­rung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land weit­ge­hend baga­tel­li­siert und damit auf die Ebe­ne von Wirts­haus-Groß­mäu­lig­kei­ten her­ab­ge­setzt. Womit sich die Fra­ge stellt, ob in Kri­sen- und Kriegs­zei­ten tat­säch­lich Per­so­nal die Regie­rungs­ge­schäf­te über­neh­men soll­te, wel­ches sich offen­bar nicht ganz über die Aus­wir­kun­gen sol­cher Äuße­run­gen für die eige­ne Bevöl­ke­rung bewusst ist.

Die deut­sche Pro­fes­so­ren­schaft ereil­te nach dem 4. August 1914 die Toll­wut. Ihr Natio­na­lis­mus und die Waf­fen-Besof­fen­heit ver­wan­del­ten ganz nor­ma­le deut­sche Aka­de­mi­ker in fana­ti­sche Mili­ta­ri­sten. Ele­men­te des­sen las­sen sich auch heu­te beob­ach­ten. Und noch wäh­rend die Regie­rung über die Lie­fe­rung von Kampf-Pan­zern dis­ku­tiert, ver­langt der ukrai­ni­sche Vize-Außen­mi­ni­ster Mel­nyk bereits Kampf-Jets und Kampf-Schif­fe. In die­ser Logik dau­ert es wirk­lich nicht mehr lan­ge, bis auch deut­sche Sol­da­ten offi­zi­ell Krieg füh­ren gegen rus­si­sche Sol­da­ten – mit allen Welt­kriegs- und Nukle­ar­kriegs­ge­fah­ren für Euro­pa. Die Toll­wut scheint mal wie­der aus­ge­bro­chen zu sein. Erstaun­li­cher­wei­se haben dabei heut­zu­ta­ge hoch­ran­gi­ge Mili­tärs des Westens noch am wenig­sten Schaum vorm Mund. Dage­gen ertönt in Medi­en, Wis­sen­schaft und Poli­tik gera­de dort das Kriegs­ge­schrei am lau­te­sten, wo die gering­sten mili­tä­ri­schen Kom­pe­ten­zen, Kennt­nis­se und Pra­xen vor­zu­wei­sen sind.

Mit Sprü­chen, wie »Ver­scho­nen Sie uns – rechts wie links – mit Radio Mos­kau!«, ver­sucht die Rüstungs­lob­by­istin und Vor­sit­zen­de des Ver­tei­di­gungs­aus­schus­ses des deut­schen Bun­des­ta­ges Marie-Agnes Strack-Zim­mer­mann am 19. Janu­ar 2023 vor dem Bun­des­tag alle Stim­men gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen zum Schwei­gen zu brin­gen. Sie, die sich selbst schon vor Jah­ren mit dem letz­ten Auf­ge­bot der Nazi-Wehr­macht ver­glich: »Ich bin gut für den Volks­sturm. (…) Rus­sen, passt auf, was Sache ist!« (Heu­te Show, 16.2.2019), schluss­fol­gert: »Wer unser System hier zer­stö­ren will, wird es mit uns allen Demo­kra­ten zu tun bekom­men.« Das heißt? Wann sol­len deut­sche Sol­da­ten auch direkt auf Rus­sen schlie­ßen? Wann sol­len sie die zu über 90 Pro­zent pro­rus­si­sche Krim wie­der für Kiew zurück­er­obern, damit deren Regie­rung erst­mal hun­dert­tau­sen­de Krim-Bewoh­ner ver­trei­ben kann? Wann wird mit den ersten Rake­ten auf Ber­lin und Ram­stein gerech­net? Die­se Eska­la­ti­ons-Poli­tik ist nicht nur unan­ge­nehm, son­dern ver­bo­ten – unab­hän­gig davon, ob die Nato- oder die rus­si­sche Pro­pa­gan­da stimmt. Und nie­mand hat etwas davon, wenn auf seinem/​ihrem Grab­stein steht: Er/​Sie war im Recht. Es zeigt sich: Strack-Zim­mer­manns »Radio Rhein­me­tall« ist auf jeden Fall nicht bes­ser als »Radio Moskau«.

Wenn der US-Prä­si­dent im Bei­sein des Bun­des­kanz­lers die Sabo­ta­ge deut­scher Ener­gie­ver­sor­gung ankün­digt, wenn der US-Außen­mi­ni­ster dann nach dem Ter­ror-Anschlag dar­über jubelt, wenn der ehe­ma­li­ge pol­ni­sche Außen­mi­ni­ster »Thank you, USA!« twit­tert und die dama­li­ge bri­ti­sche Pre­mier­mi­ni­ste­rin vor lau­ter Eksta­se über ihren unge­schütz­ten Han­dy-Kanal »We did it« sen­det, müss­te sich die Bun­des­re­gie­rung schon fra­gen, was das für »Freun­de« sind (vgl. Hersh 2023). Wenn dann noch der US-Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster zur Nato-Kon­fe­renz auf den US-Trup­pen-Stütz­punkt Ramm­stein in Rhein­land-Pfalz (BRD) ein­lädt, als wär’s ein US-Bun­des­taat, darf auch gefragt wer­den, wie sou­ve­rän die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land eigent­lich ist. Aber das ist ja bestimmt alles nur Kreml-Propaganda.

Noch wäh­rend die Bun­des­re­gie­rung ver­zwei­felt ver­sucht, die­se Poli­tik gegen die ener­ge­ti­schen und indu­stri­el­len Inter­es­sen Deutsch­lands als angeb­li­che »Ein­heit der zivi­li­sier­ten, west­li­chen Welt« schön zu reden, schmie­det die US-Regie­rung als näch­stes noch ein rie­si­ges pro­tek­tio­ni­sti­sches Kon­junk­tur­pro­gramm, des­sen Gel­der nur US-Kon­zer­ne erhal­ten dür­fen – ein expli­zit anti-euro­päi­sches- und anti­deut­sches Maß­nah­men­pa­ket. Umso sicht­ba­rer dem­nach die Spal­tungs­li­ni­en im Nato-Westen her­vor­tre­ten, desto ver­zwei­felt-eupho­ri­scher fei­ert die Ampel-Koali­ti­on die sog. Ein­heit des Westens.

Indes­sen sinnt die poli­ti­sche Füh­rung Deutsch­lands schwei­gend dar­über nach, wie vie­le »befreun­de­te« Staa­ten bzw. Geheim­dien­ste wohl nicht am Nord Stream-Anschlag betei­ligt waren. Und zugleich wird noch eine wei­te­re Pro­blem­di­men­si­on sicht­bar: Soll­te sich der deut­sche Bun­des­kanz­ler doch noch an sei­nen Amts­eid erin­nern und ein wenig Sou­ve­rä­ni­tät gegen­über den USA ein­for­dern, ist es nicht unwahr­schein­lich, dass rela­tiv umge­hend NSA-Über­wa­chungs­pro­to­kol­le sei­ner Cum-Ex-Gesprä­che »zufäl­lig« auf­tau­chen, die ihn poli­tisch zu Fall brin­gen dürf­ten. Ähn­lich wür­de es der Prä­si­den­tin der EU-Kom­mis­si­on erge­hen, deren gelösch­te Datei­en, Mails und son­sti­ge Nach­rich­ten über mil­lio­nen- bzw. mil­li­ar­den­schwe­re Geschäf­te mit dubio­sen Bera­ter­fir­men des Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­ums oder zu Geheim­ver­trä­gen mit dem Pfi­zer-Chef und ande­ren sich sicher­lich noch in NSA-Besitz befin­den und »plötz­lich« auf­tau­chen wür­den. Doch letz­te­re Gefahr ist recht unwahr­schein­lich, da sich von der Ley­en noch wesent­lich atlan­tik­treu­er gibt als der ein wenig welt­kriegs-skep­ti­sche Bundeskanzler.

Aber was erwar­ten wir auch ande­res? Wer einen cum-ex-demen­ten Chef hat, darf auch Insol­ven­zen leug­nen oder Waf­fen lie­fern, egal, was die Wäh­ler den­ken. Schließ­lich hat es in die­ser Traum­welt in den letz­ten 40 Jah­ren auch kei­nen Krieg in Euro­pa gege­ben, an den sich die Außen­mi­ni­ste­rin erin­nert. Die Krie­ge in und gegen Jugo­sla­wi­en in den 1990er Jah­ren hat sie wahr­schein­lich nicht mit­be­kom­men. Egal.

Dass ein Finanz­mi­ni­ster als Pri­vat­bür­ger einen gün­sti­gen Kre­dit bei einer Bank erhält, ist eben­falls kein Pro­blem. Wenn er dann für die glei­che Bank ein hüb­sches Gruß­wort als Mini­ster schreibt, wird’s schon schwie­ri­ger. Wenn er jedoch danach einen noch gün­sti­ge­ren Kre­dit bei der­sel­ben Bank erhält, bekommt das gesam­te Pro­ze­de­re zumin­dest ein gewis­ses Geschmäck­le. Und wenn jemand Gesund­heits­mi­ni­ster ist, darf er auch gern mal neue auto­ri­tä­re Vari­an­ten des Straf­rechts ersin­nen. »Rück­sichts­lo­se Gefähr­dung der Ret­tungs­kräf­te soll­te ein Grund zur Kün­di­gung der Woh­nung sein«, twit­ter­te der Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster am Mor­gen des 1. Janu­ar 2023 (Tagesspiegel.de, 3.1.2023). Das kann nur noch die Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­rin top­pen mit ihrer For­de­rung nach Been­di­gung der rechts­staat­li­chen Unschulds­ver­mu­tung und Umkehr der Beweis­last gegen »Staats­fein­de im Staats­dienst«. Wie heißt es so tref­fend: wie der Herr, so’s Gescherr.