Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Radeln in Brandenburg

In Pots­dam gibt es im Sep­tem­ber eine neue Run­de von Stadt­ra­deln. Mot­to: Radeln für ein gutes Kli­ma. Land­brief­trä­ger Bro­se ist dabei. Er kann nicht still­ste­hen, still­sit­zen schon gar nicht, denn er hat infol­ge sei­nes Berufs eine Bein­ner­vo­si­tät. Wenn eine Sit­zung zu lan­ge dau­ert, muss er auf dem Vor­flur zur Erho­lung immer mal einen klei­nen Geschwind­marsch ein­le­gen. Neu­er­dings hat sich Bro­se ein Fahr­rad ange­schafft, wie sie jetzt über­all Mode sind. Rent­mei­ster Fix vom Klo­ster Wutz hat schließ­lich auch eines. Und wenn der eins hat, mit wie viel grö­ße­rer Berech­ti­gung kann er als Land­brief­trä­ger ein Rad brau­chen. Schon von Berufs­we­gen. Bro­se sagt Rad, weil er das frem­de Wort, das so ver­schie­den aus­ge­spro­chen wird, nicht lei­den kann. »Man­che sagen ›ci‹, und man­che sagen ›schi‹.« Bil­dungs­prä­ten­sio­nen sind ihm fremd, aber man will sich doch auch nicht bloß­stel­len. Bro­se ist jeden­falls dabei und radelt mit für das Team »Heart of Mit­tel­mark« (Stech­lin­see – Rheins­berg – Wutz). Er fährt sowie­so. Ob mit oder ohne Stadt- und Land-Radeln.

Land­brief­trä­ger Bro­se ist übri­gens der Mei­nung, dass die Ver­kehrs­re­geln geän­dert gehö­ren. Mus­kel­kraft soll stets vor Maschi­nen­kraft den Vor­rang haben, und klein vor groß, also genau umge­kehrt wie bis­her. Erst die Geher, dann die Rad­ler, danach die Rei­ter und Leu­te mit Pfer­de­kut­schen und erst ganz zum Schluss die zwei-, drei-, vier- oder mehr­räd­ri­gen Motor-Fahr­zeu­ge und -Kut­schen. Auf See ist es schon so gere­gelt. Auf Land muss umge­re­gelt wer­den. Außer­dem ist sei­ner Mei­nung nach das Tem­po gene­rell zu hoch und soll­te zukünf­tig per Gesetz auf ein ange­mes­se­nes Maß redu­ziert wer­den. Nie­mand soll­te in einer Sied­lung schnel­ler als 1 Mei­le pro Stun­de fah­ren dür­fen. Lie­ber noch etwas lang­sa­mer. Schritt­tem­po. Wie soll man sonst sei­ne Neu­ig­kei­ten austauschen.

Als näch­stes wird Bro­se die Wahl­be­nach­rich­ti­gun­gen in jedes Haus im Land­kreis tra­gen. Dar­auf freut er sich schon. Das gibt tüch­tig Kilo­me­ter und aller­hand intri­ka­te Plau­de­rei­en, ja Frik­tio­nen. Sei­ne Wahl­pro­gno­sen haben sich bis­her noch immer als rich­tig erwie­sen. Das hat sich inzwi­schen bis in die Lan­des­haupt­stadt rum­ge­spro­chen. »Mehr­heit?« Bro­se ora­kelt gern mit schil­lern­den Zita­ten. »Mehr­heit ist Unsinn. Der Staat muss unter­gehn, früh oder spät, wo Mehr­heit siegt und Unver­stand ent­schei­det.« Wobei ihm natür­lich klar ist, dass letz­te­res das wich­ti­ge­re Kri­te­ri­um ist. Ein Mehr­heits­sieg allein ist noch nicht hin­rei­chend für eine Katastrophe.

Im Übri­gen ist Bro­se für Lais­sez-fai­re, was er für sich so über­setzt: »lass fah­ren dahin« bzw. »fah­re fair«. Das schließt sich ja wohl nicht aus, son­dern ein. Als die Maschi­nen­kraft­fah­rer neu­lich auf der Pots­da­mer Brei­ten Stra­ße einen Geher nicht durch­las­sen woll­ten, der ein vier­räd­ri­ges Gestell vor sich her­schob, an das er sich klam­mer­te und mit dem er sich müh­sam auf­recht hielt, da stopp­te er den gan­zen Ver­kehr und sorg­te so dafür, dass der arme Mann pas­sie­ren konn­te. Eini­ge Maschi­nen­mo­bi­li­sten kur­bel­ten ihre Fen­ster­schei­ben run­ter und brüll­ten, er sol­le gefäl­ligst die Fuß­gän­ger-Brücke benut­zen, die extra da hin­ten am Ende der Stra­ße ein­ge­rich­tet sei, aber Bro­se, eigen­wil­lig und stur, schrie zurück: »Ich wer­de gleich den Dorf­gen­dar­men Uncke holen und euch alle auf­schrei­ben las­sen.« Das zog, und sie fuh­ren fort, hupend und stin­ken­de Rauch­fah­nen hin­ter sich her­zie­hend. »Ver­damm­tes Pack«, schimpf­te Bro­se, »haben alle noch nichts von Wohl­fahrt gehört«.

Bro­se sieht sich im Gewin­ner-Team. Denn er kann auch die Kilo­me­ter sei­ner Freun­de mit auf­schrei­ben, zu denen Hop­pen­ma­rie­ken gehört, die ihre Geschäf­te zwi­schen Hohen Vietz, Gusow und Frank­furt seit jüng­stem auch radelnd betreibt. Auch die gera­del­ten Luft­we­ge von Fidje Papen­deik will Bro­se für The Heart of Mit­tel­m­arch ver­bu­chen las­sen. Jens Ole Jep­sen gehört aber nicht dazu, der ist für das fal­sche Team in die Peda­le getre­ten, auch wenn sei­ne täg­li­chen Fahr­ten von Rug­büll nach Glü­se­rup und zurück dem Kli­ma kaum gescha­det haben dürf­ten, wenn man Kli­ma nur im wört­li­chen Sinn ver­steht. Für das gesell­schaft­li­che Kli­ma ist sol­che Freu­den­pflicht­be­ses­sen­heit natür­lich der Supergau.

»Viel­leicht fährt mein Team nicht die mei­sten Kilo­me­ter ein«, schmun­zelt Bro­se, »aber Gewin­ner sind wir trotz­dem. Denn beim Radeln gewin­nen alle.« Und er setzt hin­zu: »Bei der Wahl ist es aber anders. Da dürft ihr eure Kreu­ze nicht an der fal­schen Stel­le machen. Das könn­te fata­le Aus­wir­kun­gen haben. Nicht Auto­bah­nen sind Stra­ßen der Ver­stän­di­gung und des Frie­dens, son­dern Rad­we­ge.« Auf dem Dorf­an­ger steigt er kurz ab und schaut in die Run­de, wohin er rasch noch mal muss, um etwas aus­zu­rich­ten. Oder soll er eben mal bei der hüb­schen Wir­tin halt machen, die ihm ein­la­dend zuwinkt. Gegen einen Küm­mel wird Uncke nichts ein­zu­wen­den haben. Schließ­lich wird im Krug nicht bloß aus­ge­schenkt, da erfährt man auch immer was.