Es ist allerhöchste Zeit, sich mit dem Faszinosum vom hegemonialen Weltherrschaftsanspruch des Großkapitals in den USA kritisch auseinanderzusetzten. Es gilt, die Hauptursachen für Stärken und Schwächen der USA-Politik in der Welt in neuem Licht zu analysieren. Die USA haben bekanntlich die jahrhundertelangen Ansprüche Spaniens, Portugals, Frankreichs, Englands, Japans und auch Deutschlands, als imperiale Großmächte des bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters, im 20. Jahrhundert abgelöst. Doch dieser scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des amerikanischen Hegemonismus wird im 21. Jahrhundert, trotz der Implosion des sowjetischen Machtbereiches, in Frage gestellt, etwa durch die BRICS-Staaten, mit der Volksrepublik China und Russland an der Spitze. Die tieferen Ursachen dieser über ein Jahrhundert währenden, multipolaren Unabhängigkeitsbewegungen müssten auch in Deutschland endlich viel stärker wahrgenommen und beherzigt werden, obwohl es hier zweifellos symbiotischen Beziehungen gegenüber den vorherrschenden Gesellschaftsverhältnissen in den USA gibt. Das kommt nicht von ungefähr: Diese Beziehungen sind seit 1945 zur allerersten »Staatsräson« im postfaschistischen Westdeutschland und der gesamten westlichen Welt geworden. Verdrängt wurde dabei allerdings, auf welchen inneren und äußeren Ausbeutungsverhältnissen diese Weltmacht basiert und dass es eine indirekte Kontinuität zur antirussischen und rassistischen NS-Ideologie und -Praxis gibt. Sie reichen bis in die Zeit der gemeinsamen Interventionskriege mit dem Zarismus von über 14 Staaten (!), darunter auch Deutschland, gegen Russland nach dem Sieg der Oktoberrevolution zurück. Diese Schattenseiten westlicher Kooperation treten heute, nicht zuletzt aufgrund der USA-geführten Nato-Kriegsstrategie im Ukraine-Krieg, aber auch im Nahen Osten, erneut in Erscheinung! Dennoch: Die problematische DNA der hegemonialen, westlichen Führungsmacht USA, die bis in seine Geburtsgeschichte zurückreicht, wird hierzulande immer noch massiv verdrängt, obwohl es inzwischen einige faktenbasierte Bücher und viele Darstellungen in den sozialen Medien gibt, die solcher Verdrängung entgegenarbeiten. Auf zwei solcher Bücher möchte ich hier aufmerksam machen, die insbesondere die geschichtlichen Zusammenhänge der vorherrschenden USA-Politik auf radikale Weise beleuchten.
So analysierte Werner Rügemer, bekannter Publizist und Philosoph, Veröffentlichungen seit den 80er Jahren zum politisch-moralischen Zerfall der USA Sein überaus empfehlenswertes Buch »Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten« analysiert folgende historischen Zusammenhänge der USA-Geschichte:
- Die weiße, d. h. europäische Kolonialisierung und Besiedlung Nord-, Mittel- und Südamerikas durch die Spanier, Portugiesen, Franzosen, Engländer und Deutschen basierten bekanntlich auf den größten Völkermorden und Menschenrechtsverletzungen der Weltgeschichte. Das war, unter christlichem Vorzeichen, die gängige Praxis der feudalen und zugleich bürgerlich-kapitalistischen Globalisierung.
- Zugleich wurden die unterworfenen und kolonialisierten Ureinwohner, wie im alten Rom, auf brutalste Weise versklavt und später auch als billige Arbeitskräfte in die entstehenden USA deportiert und dort in der Landwirtschaft, später in der Industrie, aber auch als Kanonenfutter in unzähligen Kriegen rücksichtslos verheizt. Auf dieser imperialen, rassistischen DNA basierte auch die Entstehung des amerikanischen Herrschaftssystems bzw. seiner »Kapital-Demokratie«. Selbst der Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten änderte wenig an der Rassendiskriminierung, wie die jetzigen Kriminalitätsstatistiken und Gefängnispopulationen in den USA beweisen, sondern dienten in 1. Linie der Vorherrschaft des modernen Industriekapitals des Nordens gegenüber den stärker landwirtschaftlich geprägten Sklavenhaltern des Südens. Das gesetzlich garantierte Tragen von Schusswaffen im Alltag sowie die überragende Bedeutung der Waffenindustrie und ihrer Lobby haben bis heute in den USA Verfassungsrang. Dies symbolisiert, wie kaum ein anderes Gesetz, diesen militärisch-toxischen Hegemonismus nach Innen und Außen.
- Der scheinbar antifeudale Antikolonialismus gegen England durch die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung brachte zugleich innenpolitisch eine soziale und ethnische Spaltung und Diskriminierung von nie gekannten Ausmaßen in den USA hervor, geprägt durch das kapitalistische Gesellschaftssystem, das zugleich die anderen Lokalmächte schrittweise unter seine Vorherrschaft brachte. Dadurch bemächtigte sich das USA-Kapital zunächst der amerikanischen »Hinterhöfe«, von Mittel- nach Südamerika und dann Afrikas und Asiens, schließlich Europas, und verfügt heute weltweit über 800 Militärstützpunkte, um diese globale Vorherrschaft, militärisch abzusichern.
- Die Länder, deren »Märkte« imperial und neokolonial erschlossen wurden, folgten einem wiederkehrenden, national erprobten Unterwerfungsmuster: US-Konzerne gründeten dort ihre globalen Niederlassungen, oft stärker als die nationalen Regierungen, mit eigenen Steuer- und Arbeitsrechten, die zu extrem billiger Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften beitrugen. Wirtschaftsboykotte, notfalls Militärinterventionen erzwangen weltweit hörige Regime – mit langfristigen Kreditabhängigkeiten sowie dem Dollar als Leitwährung. Linksliberale, gar sozialistische Befreiungsbewegungen wurden, je nach dem, korrumpiert oder mit allen Mitteln blutig bekämpft. So wurden schon vor dem 2. Weltkrieg u. a. Kuba, Puerto Rico, Philippinen, Guam, Hawaii, Mexiko, Guatemala, Costa Rica, Honduras, Nicaragua, die Dominikanische Republik, Panama, Haiti quasi zu Teilstaaten oder Protektoraten der USA.
- Die Zeit um den 1. Weltkrieg eröffnete neue Tore zur Expansion des US-Kapitals, auch zur finanziellen und politischen Unterordnung europäischer Staaten. Dazu gehörten: die lange postulierte Neutralitätspolitik der Wilson-Regierung während des 1. Weltkriegs bei gleichzeitiger Expansion von USA-Kapital durch Kreditfinanzierung und Aktienbeteiligung von US-Privatbanken und der Fed (US-Zentralbank) bei der Industrialisierung und Aufrüstung aller kriegführenden Parteien, bei denen über 70 Millionen Soldaten mit Kriegsmaterial ausgerüstet werden mussten. Das betraf etwa den Einstieg in die europäischen Industriezweige: Elektrifizierung, Eisenbahnen, Handelsschifffahrt, Stahl- und Ölindustrie. Der dennoch erfolgte sehr späte Kriegseintritt der USA 1917/18 hatte die Verlängerung des Krieges zum Ziel und folgte dem Geschäftsmodell, beim Wiederaufbau des zerstörten Europas in ein noch größeres Kreditgeschäft einzusteigen.
- Am Ende des 1. Weltkrieges und dem Ausbruch der Oktoberrevolution verbündeten sich alle bisher gegeneinander kriegführenden Parteien gegen Sowjetrussland in den Interventionskriegen, um die Reste der zaristischen Armee, die Sowjetherrschaft »auszuradieren«. Das war die Basis einer westlichen Allianz der »Systemkonkurrenz«, die bis heute Bestand hat und jetzt über 32 Nato-Staaten umfasst, mit über einer Billionen Dollar jährlicher Militärausgaben.
- In der Zwischenkriegszeit verfolgten führende Strömungen im US-Kapital eine entsprechende Außenpolitik, um die europäischen Märkte weiter zu erobern, sowie eine bis heute weitgehend verdrängte Unterstützung des Aufstiegs faschistischer und antisemitischer Systeme, quasi als Bollwerke gegen die »bolschewistische Gefahr«, so die polnische Piłsudski-Herrschaft, die italienische Mussolini-Regierung, das spanische Franco-System. Auch der Aufstieg Hitlers verdankt sich nicht zuletzt US-amerikanischen Krediten und »Spenden« – etwa vom militanten Antisemiten Henry Ford, der Hitler seit 1923 jährlich 50 000 Dollar zum Geburtstag schenkte. Auf dem Schreibtisch von Hitler befand sich ein Foto von Ford und dessen antisemitische Schrift »The international Jew. Wold’s Foremost Problem«. Der Harvard Absolvent Ernst Hanfstaengl wurde NSDAP-Mitglied und Auslandspressesprecher Hitlers, mit Verbindungen u. a. zu Roosevelt.
- Die späte Eröffnung der Westfront gegen das Hitlerregime, erst nach der siegreichen und verlustreichen Schlacht der »Roten Armee« um Stalingrad, wird nicht zuletzt darauf zurückgeführt, dass sowohl führende Kräfte in den USA und England lange darauf hofften, dass »Hitler und Stalin sich gegenseitig vernichten«. Bei der Bombardierung Deutschlands wurde darauf geachtet, dass Industrieanlagen, etwa der Fordwerke und der IG-Farben geschont wurden. In der angeblich neutralen Schweiz wickelten dort ansässige amerikanische Rüstungskonzerne lukrative Geschäfte mit Nazi-Deutschland ab.
- Die Nachkriegsordnung in der Bundesrepublik wie in ganz Westeuropa sorgte, nicht zuletzt durch den Marshallplan, dafür, dass US-amerikanisches Kapital beim Wiederaufbau vorherrschend wurde. Die halbherzige »Entnazifizierung« unter Adenauer bedeutete, dass, entgegen dem »Potsdamer Abkommen«, die Nazi-Eliten in allen Gesellschaftsbereichen wieder in Amt und Würden kamen. Der Antisowjetismus der Nazis blieb identitätsstiftend für die westdeutschen und westeuropäischen Gesellschaften. Dies trug dazu bei, dass die Systemkonkurrenz mit dem sowjetischen Machtbereich spätestens 1989 niedergerungen werden konnte. Die Expansionspolitik des »Kalten Krieges« wurde nach 1989 gleichwohl durch die Nato-Osterweiterung fortgesetzt.
Diese Politik wird u. a. im Buch des renommierten Historikers Bernd Greiner »Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben« detailliert analysiert. So werden die Entwicklung und der Abwurf der Atombomben 1945 als wichtiger Schritt zur Etablierung der Weltmacht USA in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts dargestellt ebenso wie die Rolle der CIA bei zahlreichen blutigen Militärputschen und Kriegen seit den 50er Jahren. Schließlich werden die »Baupläne für eine neue Weltordnung« der USA und ihrer Verbündeten nach 1989 entlarvt. Georg H.W. Bush gab 1990 zu verstehen, ganz im Sinne der Fortsetzung der westlichen Strategie des Kalten Krieges: »Dies ist nicht die Zeit, Amerikas Fähigkeit zum Schutz seiner lebenswichtigen Interessen aufs Spiel zu setzen.« Und zu Kohl sagt er: »Wir haben gesiegt und sie nicht. Wir können nicht zulassen, dass die Sowjets ihre Niederlage in einen Sieg verwandeln (…). Wir werden das Spiel gewinnen, aber wir müssen uns dabei clever anstellen.« So wurde bereits, entgegen den Zusagen an Gorbatschow, Ende Oktober 1990 in der Führung der USA darüber nachgedacht, wie die Nato-Osterweiterung vorangetrieben werden kann, lange bevor überhaupt der »Warschauer Pakt« aufgelöst war.
Beide erwähnten Bücher bieten, sich ergänzend, hervorragende, kritische und faktenreiche Geschichtsanalysen der US-Außenpolitik, vor und nach 1945. Wir stehen allerdings an einem fundamentalen Wendepunkt der Überlebensgeschichte der Menschheit. Was in dieser Situation dringend geboten ist, sind neue, alternative gesellschaftspolitische Lösungswege. Dabei sind internationale Widerstandsstrategien, etwa durch Mobilisierung der Friedens- und Umweltbewegungen, zu stärken. Zugleich aber sind auch jene Kräfte in den USA zu stärken, die, ganz im Sinne ihrer eigenen Befreiungsgeschichte, etwa einst gegen die englische Krone, für eine republikanische Verfassung und schließlich gegen die Sklaverei kämpften, die dem New Deal Roosevelts und der Anti-Hitler-Koalition zum Durchbruch verhalfen und gegen den Vietnamkrieg protestierten. Denn das gefährliche soziale Gefälle in den USA und in der Welt lässt sich, auch angesichts der globalen ökologischen Krise, nicht durch eine nationalistische Strategie »Amerika First« und die damit zusammenhängende Billionen-fache Staatsverschuldung lösen, sondern nur im Kampf durch nationale und internationale Solidarität zugunsten des universellen gesellschaftlichen Ausgleichs zwischen Arm und Reich.