Querschüsse
Spanien hat eine Koalitionsregierung, ein Novum für das Land. Nie zuvor wurde ein spanischer Ministerpräsident mit gerade einmal 167 Ja-Stimmen ins Amt gewählt. 165 Abgeordnete stimmten gegen den Kandidaten, 18 Abgeordnete enthielten sich ihrer Stimme. Das Wahlergebnis spiegelt die extreme Fragmentierung des Parlaments wider, in dem 15 Parteien vertreten sind.
Bis zum Ende der Wahl am 7. Januar musste Pedro Sánchez um seine Wiederwahl zittern. Abgeordnete seiner Partei Partido Socialista Obrero Español (PSOE) hatten per E-Mail Drohungen und Beschimpfungen erhalten. Die konservative Tageszeitung El Mundo forderte in einem Leitartikel die Abgeordneten auf, nur auf ihr Gewissen zu hören und wegen der sich abzeichnenden Konzessionen der neuen Regierung an die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien Pedro Sánchez ihre Stimme zu verweigern. Große Wellen schlug der Fall des Abgeordneten Tomás Guitarte. Der einzige Abgeordnete der Regionalpartei Teruel Existe ist ein Sánchez-Unterstützer und bekam vor der Abstimmung eine Flut von Drohungen und Beschimpfungen. Tomás Guitarte blieb standhaft, damit war die knappe Mehrheit für Pedro Sánchez gerettet.
Das raue politische Klima, das derzeit in Spanien herrscht, macht deutlich, wie schwierig die kommende Legislaturperiode für Pedro Sánchez sein wird. Seine Koalitionsfraktionen umfassen nur 155 der 350 Abgeordneten im Cortes, dem spanischen Parlament. Zehn weitere Abgeordnete kleiner Regionalparteien unterstützen Sánchez über seine Wiederwahl hinaus. Das Zünglein an der Waage sind die 13 Abgeordneten der Esquerra Republicana de Catalunya (ERC). Bereits bei seiner Wahl war Sánchez auf deren Enthaltung angewiesen. Im Gegenzug fordert die ERC von Sánchez einen Dialog zu Katalonien und zu den im Oktober 2019 verurteilten Politikern, darunter der ERC-Vorsitzende Oriol Junqueras.
Die Unabhängigkeitsbefürworter Carles Puigdemont und Toni Comín, im Mai 2019 ins EU-Parlament gewählt, können nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ihr Mandat wahrnehmen, bekommen auch ihre Diäten und Aufwandsentschädigung von insgesamt 70.000 Euro für die Zeit, wo sie nicht im Parlament saßen, nachgezahlt. Während der einstige katalanische Präsident Puigdemont und sein Gesundheitsminister Comín (beide Junts per Catalunya, JxCat) sich einer Haft in Spanien durch ihre Flucht nach Belgien entzogen, war das dem im Mai auch ins EU-Parlament gewählten ehemaligen katalanischen Vizepräsidenten Oriol Junqueras nicht möglich. Der Oberste Gerichtshof Spaniens wies die Entscheidung für Junqueras zurück, erlaubte ihm nicht, das Gefängnis zu verlassen. Nach Auffassung des Gerichts in Madrid kann ein rechtskräftig Verurteilter während der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe kein Wahlamt ausüben. Inzwischen hat die spanische Wahlkommission Junqueras das EU-Mandat entzogen, was ihm der EuGH samt Immunität zugestanden hatte. Der EU-Parlamentspräsident David Sassoli fühlt sich verpflichtet, der nationalen spanischen Justizbehörde Folge zu leisten, und geht damit wohl den Weg des geringen Widerstands.
Unbekannt ist derzeit, wie lange Puigdemont und Comín in Straßburg EU-Abgeordnete bleiben können. Am 13. Januar traf beim EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli ein Schreiben des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Spaniens ein, der darum bat, die Immunität von Puigdemont und Comín aufzuheben, da gegen die beiden Katalanen in Spanien ein Verfahren laufe, in Belgien außerdem ein Auslieferungsantrag vorliege. Dieser wurde bereits von der Justiz in Belgien außer Kraft gesetzt, so dass Puigdemont und Comín noch immer ihre volle Immunität besitzen. Von dem neuen spanischen Ersuchen wird David Sassoli den Rechtsausschuss des EU-Parlaments informieren. Wie der entscheiden wird, ist noch nicht bekannt. Aus Straßburg wurde allerdings Spanien bereits vorgeschlagen, für Junqueras einen neuen Kandidaten zu benennen.
Derweil steht seit dem 12. Januar Pedro Sánchez‘ Kabinett mit 22 Ministern, davon die Hälfte weiblich.
Karl-H. Walloch