»Grüezi mitanand, ganz herzlich willkommen und einen wunderschönen Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde aus nah und fern! Ich begrüße Sie zur schweizerischen Ausgabe von Weltwoche daily, die andere Sicht, unabhängig, kritisch, gut gelaunt, am Mittwoch den ersten Mai.« So begrüßt Roger Köppel jeden Tag sein Publikum. Der Schweizer ist Chefredakteur, Verleger und Kaufmann. Seine Begrüßung unterscheidet sich erfrischend von der Verbissenheit deutscher Journalistinnen, Politiker, Medienmacher und »Militärexpertinnen und Experten«. Sein Konzept ist das freie Debattenangebot, das er auswählt. Er will – nach eigener Aussage (podcast: 29.06.24) – dem Mainstream etwas entgegenhalten, der einseitig informiere, z. B. dass Putin-Russland imperiale Pläne hege, oder klärt darüber auf, dass die Ukraine in den Grenzen von 1994 zuvor von Diktatoren geschaffen worden sei, die Ostukraine vor 2014 den »neutralistischen« Vertreter Juschtschenko gewählt habe. Darüber werde nicht informiert. Das Land sei gespalten, was für Neutralität des Landes als verbindendes Glied spreche, nicht für Vereinnahmung, sondern für Aufbau eines Staates zur Selbständigkeit und Demokratisierung.
Roger Köppel wirft den deutschen Medien und deutscher Politik vor, ihnen fehle die Lockerheit, vor allem Freiheit der Debatte und Differenzierung! Da hat er einen Punkt, den er zum Vorteil seiner Medienarbeit nutzt. Er lässt alle auftreten, von Höcke über Weidel, Lafontaine, Wagenknecht, Jeffrey Sachs, bis zu Nato-General Kujat, Oliver Stone, Brigadegeneral und Angela Merkel-Berater Vad, jüngst Peter Brandt. Ein mediales Potpourri ist besser als Einheitsbrei, regt zum Nachdenken und Einsortieren an. Seine typbedingte Fröhlichkeit und Lockerheit blenden den Voreingenommenen. In seine Freiheitsallüren mischt er Urteile über die vielen Ausländer. »Remigration« bedeute »doch nicht Deportation«! Das sei doch was anderes!
Er lädt Höcke und Weidel zum Interview, geht lieb mit ihnen um, konfrontiert sie nicht mit Geschriebenem oder Gesagtem, mit ihren Feindbildern, sondern brandmarkt Urteile von Gerichten, die darüber entschieden, was gesagt und nicht gesagt werden dürfe. So erhebt er Rechtsextreme und Rechtspopulisten zu Gutmenschen, bagatellisiert, anstatt unangenehme Fragen zu stellen. Seine nette Unterhaltung mit AfD-Schwergewichten geht den Dingen nicht auf den Grund, dem Nationalistischen, dem Völkischen und dem Rassistischen. Er teilt die Parole des Einwanderungsstopps. Die »Volksstimmung« ist seine Stütze, nicht Ursachenforschung. Nicht Gleichheit, auf der Freiheit erst solidarisch wachsen kann, kommt ihm in den Sinn, denn Umverteilung von Reichtum XXL zu den Benachteiligten dieser Erde, plus Bildung und für alle ein gutes Leben, bilden nicht die Grundlage seines Denkens.
Das Blatt des Verlegers, die Weltwoche, jeden Tag als Podcast, auch international, mäandert von der »Freiheit der Debatte« zum Popularisieren des Extremen. Ob Köppel und andere Ideologen den Zerfallsprozess unserer Demokratie beschleunigen, weil sein Reden »Freiheit« für Wenige bedeutet, und Stimmungen gegen Einwanderung und Klimapolitik aufgreift und verstärkt? Er will zurück zum Nationalstaatlichen, die Schweiz und andere sollen neutral bleiben. Unliebsamkeiten fernhalten. Ein starkes Gefühl großer Teile europäischer Bevölkerungen, die auf die sich potenzierenden Krisen so reagieren, greift die Weltwoche auf und wälzt es in Politik um. Zurecht die Unfähigkeiten von Politik und Mainstream kritisieren, aber nicht auf Grund und Abgründe vorstoßen. Seine »Analyse« bleibt an Allgemeinplätzen der Populisten hängen, wird selbst zum Populismus. Weil die Welt chaotisch und anarchisch zugleich geworden ist, aus der sich erst noch herausorganisiert werden will.
Wer ist dieser Roger Köppel? Anfang 2007 wurde Köppel (alleiniger?) Eigentümer der Weltwoche, im Rahmen der Übernahme der Jean Frey AG, einem Schweizer Medienkonzern, durch die Axel Springer AG. Köppel erwarb das notwendige Aktienpaket. Eine unter ihm auf Vordermann getrimmte erfolgreiche Wochenzeitung mit einigen historischen Wendungen, 1933 gegen Kommunismus und Faschismus im Sinne der »Totalitarismus-Theorie«, etwa des Politikwissenschaftlers C.J. Friedrich, gegründet, ist heute ein Querdenker-Medium, das den Geldadel, Manufakturen und die Neutralität der Schweizer protegiert, deren Freiheit, weiter zu akkumulieren, Ausländer draußen halten will, nur bei Bedarf und Qualifikation reinlässt. Köppel denkt quer, frisch und unverkrampft, ein Gegenentwurf zur geistigen Situation unserer Zeit in Europa. Das Internetportal Wikipedia beschreibt Köppel als »wirtschaftsliberal« und »rechtspopulistisch«. Den Bereich »Freiheit« und »Ausländer« behandelt der Chefredakteur mit »klarer Kante«. »Pressefreiheit« bedeutet für ihn Freiheit auszuwählen, von rechts bis links.
Ein Schwerpunkt der Weltwoche bildet das Thema Krieg und Frieden, die Haltung zum russischen Einmarsch in die Ukraine. Kriegskritische Stimmen kommen hier zu Wort. Das macht sie für Autoren attraktiv, die Waffenstillstand und Verhandlungen fordern. Da fällt einem Willy Brandts und Egon Bahrs Grundsatz ein: »Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts!«
Kürzlich verglich Köppel den Vietnamkrieg der Amerikaner mit dem Ukrainekrieg: Trotz düsterer Welt-Lage blickt ein gutgelaunter Roger Köppel dem Zuschauer am schönen Strand von Da Nang in Vietnam entgegen. Schreckliche historischen Fakten folgen übergangslos: Hinter ihm die Palmen und das Meer. Schöner Blick! Gute Aussichten! Er deutet das Vorrücken der USA, der Nato, Deutschlands und der EU als Kolonialisierungsversuch Russlands und des östlichen Osteuropas durch den »Werte-Westen«, als geopolitischen Stellvertreter-Krieg, wie vor 60 Jahren in Vietnam.
Köppel schreitet zur Tat, macht das, was die Westpropaganda tunlichst vermeidet. Von kolonialistischen und neokolonialistischen Verbrechen der »Werte-Westler« sprechen. Er vergleicht Vorgänge und Verbrechen in der Ukraine oder im geostrategischen Raum um Israel-Gaza mit anderen kriegerischen Schauplätzen, stellt unbequeme Fragen. Er steht da, am Strand, wo 1965 die ersten US-Kampftruppen am China Beach, etwas südlich der Stadt, an Land gingen. Am 29. März 1973 verließ der letzte US-Soldat das Land. Dazwischen kamen durch Kampfhandlungen etwa dreikommafünf Millionen Menschen ums Leben. Bei ihrer Intervention hätten sich die Amerikaner auch aus Überheblichkeit verschätzt, sie mussten mit dem Vertrag von Paris vom 27. Januar 1973 eine Niederlage einstrecken, wie in vielen nachfolgenden geostrategischen Militäroperationen. Verheerungen und Verbrechen in Kolonial- und geopolitischen Kriegen. Nicht in Worte zu fassen. Im deutschen Medienmainstream unerwünscht.
Roger Köppel macht das, was aufklären kann, er vergleicht Handlungen der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft mit historischen Beispielen. Er überführt Medienkonkurrenten, die er der Propaganda und Einseitigkeit beschuldigt. Er hat sichtbares Vergnügen, die Finger in die Wunden jener Medienarbeit zu legen, mit Lust am rhetorischen Wettbewerb, am freien Denken. Die Wahrheit sei noch immer ans Licht gekommen, wie beim Vietnamkrieg.
Scheinheiligkeit hat Roger Köppel satt: Er vergleicht den Vietnam-Krieg mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Es gäbe Unterschiede und Konstanten: Und konstant sind eben Eskalationselemente, von denen die »Militärexperten« behaupten, nur Putin eskaliere, wobei es sich faktisch um ein Aktions-Reaktions-Verhalten handelt: Bevor die USA intervenierten, nachdem die französische Kolonialmacht gescheitert war, schickten sie »Militärberater« nach Vietnam, wie Soldaten in Zivil genannt werden; die seit Langem auch in der Ukraine sind, auch deutsche »Militärberater«, die Kriegsvorbereitungen liefen, Lager und Bunker der CIA sind schon lange aufgebaut.
Ein krasser Unterschied sei der heutige alleinige Meinungsjournalismus zur kritischen Berichterstattung, die sich gegen den Vietnam-Krieg und andere Stellvertreter-Kriege in den 1960er und 1970er Jahren entwickelte. Die Weltwoche und Köppel aber sind wie ein Pulverfass, und man weiß nicht, in welche Richtung sie drauflosgehen. Aufgepasst! Für Frieden, Freiheit in jeder Hinsicht und Privilegien des Reich- und Eigentums, für Abschottung und Leugnung des Klimawandels. Um diesem Durcheinander zu entgehen, den gegensätzlichen Positionen auf den Grund zu gehen, bedarf es der Analyse und dem Handwerk kritischer Theorien!