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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Quer denken als Methode

»Grüezi mit­anand, ganz herz­lich will­kom­men und einen wun­der­schö­nen Guten Mor­gen, mei­ne sehr ver­ehr­ten Damen und Her­ren, lie­be Freun­de aus nah und fern! Ich begrü­ße Sie zur schwei­ze­ri­schen Aus­ga­be von Welt­wo­che dai­ly, die ande­re Sicht, unab­hän­gig, kri­tisch, gut gelaunt, am Mitt­woch den ersten Mai.« So begrüßt Roger Köp­pel jeden Tag sein Publi­kum. Der Schwei­zer ist Chef­re­dak­teur, Ver­le­ger und Kauf­mann. Sei­ne Begrü­ßung unter­schei­det sich erfri­schend von der Ver­bis­sen­heit deut­scher Jour­na­li­stin­nen, Poli­ti­ker, Medi­en­ma­cher und »Mili­tär­ex­per­tin­nen und Exper­ten«. Sein Kon­zept ist das freie Debat­ten­an­ge­bot, das er aus­wählt. Er will – nach eige­ner Aus­sa­ge (pod­cast: 29.06.24) – dem Main­stream etwas ent­ge­gen­hal­ten, der ein­sei­tig infor­mie­re, z. B. dass Putin-Russ­land impe­ria­le Plä­ne hege, oder klärt dar­über auf, dass die Ukrai­ne in den Gren­zen von 1994 zuvor von Dik­ta­to­ren geschaf­fen wor­den sei, die Ost­ukrai­ne vor 2014 den »neu­tra­li­sti­schen« Ver­tre­ter Juscht­schen­ko gewählt habe. Dar­über wer­de nicht infor­miert. Das Land sei gespal­ten, was für Neu­tra­li­tät des Lan­des als ver­bin­den­des Glied spre­che, nicht für Ver­ein­nah­mung, son­dern für Auf­bau eines Staa­tes zur Selb­stän­dig­keit und Demokratisierung.

Roger Köp­pel wirft den deut­schen Medi­en und deut­scher Poli­tik vor, ihnen feh­le die Locker­heit, vor allem Frei­heit der Debat­te und Dif­fe­ren­zie­rung! Da hat er einen Punkt, den er zum Vor­teil sei­ner Medi­en­ar­beit nutzt. Er lässt alle auf­tre­ten, von Höcke über Wei­del, Lafon­taine, Wagen­knecht, Jef­frey Sachs, bis zu Nato-Gene­ral Kujat, Oli­ver Stone, Bri­ga­de­ge­ne­ral und Ange­la Mer­kel-Bera­ter Vad, jüngst Peter Brandt. Ein media­les Pot­pour­ri ist bes­ser als Ein­heits­brei, regt zum Nach­den­ken und Ein­sor­tie­ren an. Sei­ne typ­be­ding­te Fröh­lich­keit und Locker­heit blen­den den Vor­ein­ge­nom­me­nen. In sei­ne Frei­heits­al­lü­ren mischt er Urtei­le über die vie­len Aus­län­der. »Remi­gra­ti­on« bedeu­te »doch nicht Depor­ta­ti­on«! Das sei doch was anderes!

Er lädt Höcke und Wei­del zum Inter­view, geht lieb mit ihnen um, kon­fron­tiert sie nicht mit Geschrie­be­nem oder Gesag­tem, mit ihren Feind­bil­dern, son­dern brand­markt Urtei­le von Gerich­ten, die dar­über ent­schie­den, was gesagt und nicht gesagt wer­den dür­fe. So erhebt er Rechts­extre­me und Rechts­po­pu­li­sten zu Gut­men­schen, baga­tel­li­siert, anstatt unan­ge­neh­me Fra­gen zu stel­len. Sei­ne net­te Unter­hal­tung mit AfD-Schwer­ge­wich­ten geht den Din­gen nicht auf den Grund, dem Natio­na­li­sti­schen, dem Völ­ki­schen und dem Ras­si­sti­schen. Er teilt die Paro­le des Ein­wan­de­rungs­stopps. Die »Volks­stim­mung« ist sei­ne Stüt­ze, nicht Ursa­chen­for­schung. Nicht Gleich­heit, auf der Frei­heit erst soli­da­risch wach­sen kann, kommt ihm in den Sinn, denn Umver­tei­lung von Reich­tum XXL zu den Benach­tei­lig­ten die­ser Erde, plus Bil­dung und für alle ein gutes Leben, bil­den nicht die Grund­la­ge sei­nes Denkens.

Das Blatt des Ver­le­gers, die Welt­wo­che, jeden Tag als Pod­cast, auch inter­na­tio­nal, mäan­dert von der »Frei­heit der Debat­te« zum Popu­la­ri­sie­ren des Extre­men. Ob Köp­pel und ande­re Ideo­lo­gen den Zer­falls­pro­zess unse­rer Demo­kra­tie beschleu­ni­gen, weil sein Reden »Frei­heit« für Weni­ge bedeu­tet, und Stim­mun­gen gegen Ein­wan­de­rung und Kli­ma­po­li­tik auf­greift und ver­stärkt? Er will zurück zum Natio­nal­staat­li­chen, die Schweiz und ande­re sol­len neu­tral blei­ben. Unlieb­sam­kei­ten fern­hal­ten. Ein star­kes Gefühl gro­ßer Tei­le euro­päi­scher Bevöl­ke­run­gen, die auf die sich poten­zie­ren­den Kri­sen so reagie­ren, greift die Welt­wo­che auf und wälzt es in Poli­tik um. Zurecht die Unfä­hig­kei­ten von Poli­tik und Main­stream kri­ti­sie­ren, aber nicht auf Grund und Abgrün­de vor­sto­ßen. Sei­ne »Ana­ly­se« bleibt an All­ge­mein­plät­zen der Popu­li­sten hän­gen, wird selbst zum Popu­lis­mus. Weil die Welt chao­tisch und anar­chisch zugleich gewor­den ist, aus der sich erst noch her­aus­or­ga­ni­siert wer­den will.

Wer ist die­ser Roger Köp­pel? Anfang 2007 wur­de Köp­pel (allei­ni­ger?) Eigen­tü­mer der Welt­wo­che, im Rah­men der Über­nah­me der Jean Frey AG, einem Schwei­zer Medi­en­kon­zern, durch die Axel Sprin­ger AG. Köp­pel erwarb das not­wen­di­ge Akti­en­pa­ket. Eine unter ihm auf Vor­der­mann getrimm­te erfolg­rei­che Wochen­zei­tung mit eini­gen histo­ri­schen Wen­dun­gen, 1933 gegen Kom­mu­nis­mus und Faschis­mus im Sin­ne der »Tota­li­ta­ris­mus-Theo­rie«, etwa des Poli­tik­wis­sen­schaft­lers C.J. Fried­rich, gegrün­det, ist heu­te ein Quer­den­ker-Medi­um, das den Geld­adel, Manu­fak­tu­ren und die Neu­tra­li­tät der Schwei­zer pro­te­giert, deren Frei­heit, wei­ter zu akku­mu­lie­ren, Aus­län­der drau­ßen hal­ten will, nur bei Bedarf und Qua­li­fi­ka­ti­on rein­lässt. Köp­pel denkt quer, frisch und unver­krampft, ein Gegen­ent­wurf zur gei­sti­gen Situa­ti­on unse­rer Zeit in Euro­pa. Das Inter­net­por­tal Wiki­pe­dia beschreibt Köp­pel als »wirt­schafts­li­be­ral« und »rechts­po­pu­li­stisch«. Den Bereich »Frei­heit« und »Aus­län­der« behan­delt der Chef­re­dak­teur mit »kla­rer Kan­te«. »Pres­se­frei­heit« bedeu­tet für ihn Frei­heit aus­zu­wäh­len, von rechts bis links.

Ein Schwer­punkt der Welt­wo­che bil­det das The­ma Krieg und Frie­den, die Hal­tung zum rus­si­schen Ein­marsch in die Ukrai­ne. Kriegs­kri­ti­sche Stim­men kom­men hier zu Wort. Das macht sie für Autoren attrak­tiv, die Waf­fen­still­stand und Ver­hand­lun­gen for­dern. Da fällt einem Wil­ly Brandts und Egon Bahrs Grund­satz ein: »Der Frie­den ist nicht alles, aber ohne Frie­den ist alles nichts!«

Kürz­lich ver­glich Köp­pel den Viet­nam­krieg der Ame­ri­ka­ner mit dem Ukrai­ne­krieg: Trotz düste­rer Welt-Lage blickt ein gut­ge­laun­ter Roger Köp­pel dem Zuschau­er am schö­nen Strand von Da Nang in Viet­nam ent­ge­gen. Schreck­li­che histo­ri­schen Fak­ten fol­gen über­gangs­los: Hin­ter ihm die Pal­men und das Meer. Schö­ner Blick! Gute Aus­sich­ten! Er deu­tet das Vor­rücken der USA, der Nato, Deutsch­lands und der EU als Kolo­nia­li­sie­rungs­ver­such Russ­lands und des öst­li­chen Ost­eu­ro­pas durch den »Wer­te-Westen«, als geo­po­li­ti­schen Stell­ver­tre­ter-Krieg, wie vor 60 Jah­ren in Vietnam.

Köp­pel schrei­tet zur Tat, macht das, was die West­pro­pa­gan­da tun­lichst ver­mei­det. Von kolo­nia­li­sti­schen und neo­ko­lo­nia­li­sti­schen Ver­bre­chen der »Wer­te-West­ler« spre­chen. Er ver­gleicht Vor­gän­ge und Ver­bre­chen in der Ukrai­ne oder im geo­stra­te­gi­schen Raum um Isra­el-Gaza mit ande­ren krie­ge­ri­schen Schau­plät­zen, stellt unbe­que­me Fra­gen. Er steht da, am Strand, wo 1965 die ersten US-Kampf­trup­pen am Chi­na Beach, etwas süd­lich der Stadt, an Land gin­gen. Am 29. März 1973 ver­ließ der letz­te US-Sol­dat das Land. Dazwi­schen kamen durch Kampf­hand­lun­gen etwa drei­kom­ma­fünf Mil­lio­nen Men­schen ums Leben. Bei ihrer Inter­ven­ti­on hät­ten sich die Ame­ri­ka­ner auch aus Über­heb­lich­keit ver­schätzt, sie muss­ten mit dem Ver­trag von Paris vom 27. Janu­ar 1973 eine Nie­der­la­ge ein­strecken, wie in vie­len nach­fol­gen­den geo­stra­te­gi­schen Mili­tär­ope­ra­tio­nen. Ver­hee­run­gen und Ver­bre­chen in Kolo­ni­al- und geo­po­li­ti­schen Krie­gen. Nicht in Wor­te zu fas­sen. Im deut­schen Medi­en­main­stream unerwünscht.

Roger Köp­pel macht das, was auf­klä­ren kann, er ver­gleicht Hand­lun­gen der soge­nann­ten west­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft mit histo­ri­schen Bei­spie­len. Er über­führt Medi­en­kon­kur­ren­ten, die er der Pro­pa­gan­da und Ein­sei­tig­keit beschul­digt. Er hat sicht­ba­res Ver­gnü­gen, die Fin­ger in die Wun­den jener Medi­en­ar­beit zu legen, mit Lust am rhe­to­ri­schen Wett­be­werb, am frei­en Den­ken. Die Wahr­heit sei noch immer ans Licht gekom­men, wie beim Vietnamkrieg.

Schein­hei­lig­keit hat Roger Köp­pel satt: Er ver­gleicht den Viet­nam-Krieg mit dem Krieg Russ­lands gegen die Ukrai­ne. Es gäbe Unter­schie­de und Kon­stan­ten: Und kon­stant sind eben Eska­la­ti­ons­ele­men­te, von denen die »Mili­tär­ex­per­ten« behaup­ten, nur Putin eska­lie­re, wobei es sich fak­tisch um ein Akti­ons-Reak­ti­ons-Ver­hal­ten han­delt: Bevor die USA inter­ve­nier­ten, nach­dem die fran­zö­si­sche Kolo­ni­al­macht geschei­tert war, schick­ten sie »Mili­tär­be­ra­ter« nach Viet­nam, wie Sol­da­ten in Zivil genannt wer­den; die seit Lan­gem auch in der Ukrai­ne sind, auch deut­sche »Mili­tär­be­ra­ter«, die Kriegs­vor­be­rei­tun­gen lie­fen, Lager und Bun­ker der CIA sind schon lan­ge aufgebaut.

Ein kras­ser Unter­schied sei der heu­ti­ge allei­ni­ge Mei­nungs­jour­na­lis­mus zur kri­ti­schen Bericht­erstat­tung, die sich gegen den Viet­nam-Krieg und ande­re Stell­ver­tre­ter-Krie­ge in den 1960er und 1970er Jah­ren ent­wickel­te. Die Welt­wo­che und Köp­pel aber sind wie ein Pul­ver­fass, und man weiß nicht, in wel­che Rich­tung sie drauf­los­ge­hen. Auf­ge­passt! Für Frie­den, Frei­heit in jeder Hin­sicht und Pri­vi­le­gi­en des Reich- und Eigen­tums, für Abschot­tung und Leug­nung des Kli­ma­wan­dels. Um die­sem Durch­ein­an­der zu ent­ge­hen, den gegen­sätz­li­chen Posi­tio­nen auf den Grund zu gehen, bedarf es der Ana­ly­se und dem Hand­werk kri­ti­scher Theorien!