Der Prozess in Madrid gegen zwölf Katalanen, angeklagt wegen angeblicher Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung von Steuergeldern, wird immer mehr zu einer Farce. Zwei der Angeklagten, Jordi Cuixart, Präsident der gemeinnützigen katalanischen Kulturorganisation »Òmnium Cultural«, und Jordi Sànchez, Präsident des »Assemblea Nacional Catalana« (ANC), die für ein unabhängiges Katalonien eintritt, waren bereits in Haft, als am 27. Oktober 2017 die katalanische Republik ausgerufen wurde. Dennoch werden sie der gewaltsamen Erhebung (Rebellion) beschuldigt. Aber gehört zu einer Rebellion nicht der Einsatz von Waffen und Explosivstoffen? Weder Waffen noch Sprengstoff wurden gefunden. Dazu passt, dass spanische Nationalisten lange vor Ausrufung der katalanischen Republik Carles Puigdemont als Rädelsführer bezeichneten.
Seit dem 12. Februar wird nun an vier Tagen pro Woche vorm Obersten Gericht in Madrid verhandelt. Bereits im Vorfeld des Prozesses erklärten spanische Juristen, dass es am 1. Oktober 2017, dem Tag des Referendums, in Katalonien weder eine Rebellion noch einen Aufruhr gab, die Anschuldigung sei eine Beleidigung der Katalanen. Auch fehlen hierfür ebenso wie für die Veruntreuung von Steuergeldern Belege. Große Erinnerungslücken haben die Zeugen.
Die Unabhängigkeit des Vorsitzenden Richters Manuel Marchena, seit 2007 am Obersten Gerichtshof tätig, ist fraglich. Zunehmend wird der Mann bei seiner Prozessführung nervöser und trägt nicht zur Aufklärung bei. Damit der Prozess nicht vorzeitig endet, schränkt Marchena die Rechte der Verteidiger ein. Bereits im Vorfeld des Prozesses wurden den Angeklagten und ihren Verteidigern nicht alle Dokumente zur Verfügung gestellt. Jüngst wollte die Verteidigung einen Zeugen aus den Reihen der Guardia Civil mit Videoaufnahmen konfrontieren. Richter Marchena verweigerte der Anwältin Marina Roig das Zeigen des Videos. Der Guardia-Civil-Beamte hatte ausgesagt, dass bei der Durchsuchung eines Gebäudes die Mossos (katalanische Polizei) völlig untätig geblieben seien. Das Video hätte den Mann der Lüge überführt, zeigte es doch, wie die Mossos d’Esquadra die Menschen wegtrugen, um den Weg für die Guardia Civil freizumachen. Auch die Prozessbeobachter und Juristen vom International Trial Watch (ITW) und der L’Associaci Catalana Defensa pels Drets Civils (katalanische Vereinigung für Bürgerrechte) halten den Vorsitzenden Richter nicht für unbefangen.
Die Staatsanwaltschaft fordert in dem Mammutverfahren – über 500 Zeugen wurden benannt – 17 bis 25 Jahre Haft für die Angeklagten. Die rechtsextreme, profaschistische Partei VOX hat sich als »acusación popular« (Volksanwalt) Sitz und Stimme in dem Prozess gesichert und fordert Haftstrafen bis zu 74 Jahren. Der spanisch-argentinische Rechtsanwalt Javier Ortega Smith vertritt VOX in dem Verfahren. Er ist ehemaliges Mitglied der »Special Operations Group« der spanischen Streitkräfte, der sogenannten grünen Barette. Zu seinem Cousin Juan Chicharro Ortega, einem Ex-General und Mitglied der Francisco-Franco-Stiftung, pflegt er engen Kontakt. In der Partei ist Javier Ortega Smith nach dem Vorsitzenden Santiago Abascal der zweite Mann in der VOX-Hierarchie. Vor Prozessbeginn forderte Smith, »lebenslänglich« wieder als Strafe in Spanien einzuführen. VOX nutzt den Prozess als ideale Plattform für die anstehende Parlamentswahl am 28. April.