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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Progressiv – Konservativ

Die Par­tei­en der poli­ti­schen Mit­te unse­rer Zeit, mit ihrem popu­li­sti­schen Anspruch allei­ni­ge Reprä­sen­tan­ten von Demo­kra­tie und Men­schen­rech­ten zu sein, beherr­schen mit Hil­fe der Mas­sen­me­di­en sehr weit­ge­hend die öffent­li­che Mei­nung. Kri­tik wird kaum zuge­las­sen, und alter­na­ti­ve Auf­fas­sun­gen zur gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung – etwa »rech­te« und »lin­ke« – wer­den pau­schal als tota­li­tär ver­teu­felt. Trotz unver­kenn­ba­rer Gren­zen wird wei­ter­hin auf Wachs­tum bei Erzie­lung mög­lichst hoher Pro­fi­te gesetzt und die wach­sen­de Kluft zwi­schen arm und reich, ein bedroh­li­cher Kli­ma­wan­del sowie die Ver­mül­lung der Welt­mee­re in Kauf genom­men. Gegen­maß­nah­men wer­den ergrif­fen, soweit der Fort­be­stand des Systems gefähr­det ist. Unter dem Deck­man­tel, zum Wohl der Men­schen Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te auf ande­re Län­der zu über­tra­gen, zögert man nicht, den eige­nen Macht­be­reich expan­siv zu erwei­tern, dafür Krie­ge anzu­zet­teln und dadurch ver­ur­sach­te Flücht­lings­strö­me sowie zuneh­men­den Hun­ger in der Welt als angeb­lich unver­meid­ba­re Kol­la­te­ral­schä­den hin­zu­stel­len, ohne die gesell­schaft­li­chen Ursa­chen all die­ser Män­gel zu benen­nen oder Lösungs­an­sät­ze auf­zu­zei­gen. Das poli­ti­sche System des Westens bringt damit selbst eine Ten­denz her­vor, die eige­nen Wer­te wie Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te aus­zu­höh­len bzw. allen­falls zum Schein zu wah­ren, und die­se Heu­che­lei trägt in Ver­bin­dung mit einer Gering­schät­zung und gar Miss­ach­tung ele­men­ta­rer Lebens­in­ter­es­sen der Men­schen wesent­lich sowohl zur Poli­tik­ver­dros­sen­heit sowie zur Hin­wen­dung zu alter­na­ti­ven Kon­zep­ten der Poli­tik bei. Die Par­tei­en der poli­ti­schen Mit­te sind damit selbst als kon­ser­va­tiv zu bezeich­nen und eher rechts ein­zu­ord­nen; denn sie wir­ken für die Erhal­tung eines Systems, das sich als unfä­hig erweist, die Pro­ble­me der Welt zu lösen.

Der im Zuge der Wie­der­ver­ei­ni­gung aus dem poli­ti­schen System der DDR her­vor­ge­gan­ge­nen Par­tei des demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus »Die Lin­ke« haf­tet seit jeher unge­recht­fer­tigt der Ruf einer tota­li­tä­ren poli­ti­schen Rich­tung an. Ihr Zuspruch ist in den letz­ten Jah­ren deut­lich zurück­ge­gan­gen, offen­bar weil das Enga­ge­ment zur Umset­zung der in ihrem Par­tei­gramm genann­ten hoch­ge­steck­ten Zie­le zum Umbau der glo­ba­len Herr­schaft des Kapi­ta­lis­mus in Rich­tung einer soli­da­ri­schen Gesell­schaft nur unzu­rei­chend zur Gel­tung kam.

Auf dem Hin­ter­grund der immer deut­li­cher her­vor­tre­ten­den Gebre­chen des bestehen­den kapi­ta­li­sti­schen Systems konn­te mit dem prä­gnan­te­ren Par­tei­proramm im lin­ken »Bünd­nis Sahra Wagen­knecht« (BSW) bei den Euro­pa­wah­len 2024 mit 6,2 Pro­zent Stim­men­an­teil ein Auf­bruch erzielt wer­den. Dar­in kommt die Nicht­über­ein­stim­mung mit der durch die angeb­lich so demo­kra­ti­sche Mit­te ver­tre­te­nen Poli­tik zum Aus­druck, die das Dik­tat eska­lie­ren­der Pro­fit­in­ter­es­sen von Kon­zer­nen mit­tels der Geset­ze des Mark­tes stützt und die sich dar­aus ablei­ten­den Wider­sprü­che unan­ge­ta­stet lässt.

Das BSW erklärt wirt­schaft­li­che Ver­nunft und Gerech­tig­keit auf der Basis demo­kra­ti­scher Wil­lens­bil­dung und Mit­be­stim­mung zum Ziel poli­ti­schen Han­delns und räumt der Auf­wer­tung wie Wei­ter­ent­wick­lung des Sozi­al­staa­tes einen hohen Stel­len­wert in der Gesell­schaft ein. Zugleich wird die Auf­merk­sam­keit auf die Gestal­tung und Pfle­ge eines bedarfs­ge­rech­ten Bil­dungs­we­sens zur Auf­recht­erhal­tung und Wei­ter­ent­wick­lung der Lei­stungs­kraft von Indu­strie und Gewer­be in Deutsch­land gelenkt, und dazu erwei­sen sich drin­gend erfor­der­li­che Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der öffent­li­chen Infra­struk­tur eben­so als unver­zicht­bar. Bis­her wer­den wider alle Ver­nunft bedeu­ten­de finan­zi­el­le Mit­tel mit der Begrün­dung einer ange­nom­me­nen Bedro­hung durch Russ­land in die eige­ne Hoch­rü­stung sowie die Bereit­stel­lung von Waf­fen zur Unter­hal­tung des Krie­ges in der Ukrai­ne inve­stiert, ohne dass ein Ende oder auch nur kla­re Zie­le abseh­bar sind. Das BSW lehnt die Lösung von Kon­flik­ten mit mili­tä­ri­schen Mit­teln grund­sätz­lich ab, strebt erneut Abrü­stung und Ent­span­nung, neue Ver­trä­ge zur Sicher­heit sowie ins­ge­samt eine euro­päi­sche Sicher­heits­struk­tur unter Ein­schluss Russ­lands an. Damit wer­den ent­schei­den­de Haupt­in­ter­es­sen der Men­schen in den Mit­tel­punkt gerückt: die Bewah­rung eines fried­li­chen Lebens, das nicht durch die Eska­la­ti­on zu einem gro­ßen euro­päi­schen Krieg etwa zwi­schen der Nato und Russ­land gefähr­det wer­den darf.

Dem bei Wah­len gewach­se­nen Zuspruch der in der öffent­li­chen Mei­nung durch­gän­gig als »rechts« ein­ge­stuf­ten »Alter­na­ti­ve für Deutsch­land« liegt eben­falls ein Pro­test gegen das Ver­har­ren im domi­nie­ren­den poli­ti­schen System mit sei­nen zahl­rei­chen Wider­sprü­chen zugrun­de, ohne dass dabei im Unter­schied zu lin­ken Posi­tio­nen der Kapi­ta­lis­mus in sei­nem Stre­ben nach Pro­fit­ma­xi­mie­rung grund­sätz­lich in Fra­ge gestellt wird. Benach­tei­li­gun­gen und Miss­ach­tung vie­ler ehr­lich erbrach­ter Lebens­lei­stun­gen, wie sie sich aus der Wie­der­ver­ei­ni­gung durch Anschluss erga­ben, hin­ter­lie­ßen in ost­deut­schen Kom­mu­nen erhöh­te Unzu­frie­den­heit, so dass der Stim­men­an­teil der AfD hier bei den Euro­pa­wah­len 2024 im Mit­tel etwa dop­pelt so hoch aus­fiel wie in den alten Bun­des­än­dern. Im Unter­schied zu lin­ken Posi­tio­nen macht die AfD die Ver­nach­läs­si­gung natio­na­ler Inter­es­sen zum Aus­gangs­punkt der Kri­tik und knüpft dabei pro­pa­gan­di­stisch in unver­ant­wort­li­cher Wei­se oft auch an rechts­ra­di­ka­les Gedan­ken­gut aus der Zeit des deut­schen Faschis­mus an.

Die AfD lehnt auf­grund natio­na­ler Inter­es­sen die zuneh­mend füh­ren­de Ein­be­zie­hung Deutsch­lands in den Krieg gegen Russ­land in der Ukrai­ne ab. Es ist jahr­zehn­te­lang das stra­te­gi­sche Ziel der USA, Russ­land vom euro­päi­schen Markt zu ver­drän­gen, durch einen inzwi­schen zwei­ein­halb Jah­re andau­ern­dem Abnut­zungs­krieg zu schwä­chen sowie durch Ein­bin­dung der Ukrai­ne in das west­li­che Bünd­nis zur Regio­nal­macht zu degra­die­ren. Das aber ent­spricht kei­nes­wegs dem natio­na­len Inter­es­se Deutsch­lands. Auch die AfD macht auf die Gefahr der Eska­la­ti­on zu einem gro­ßen euro­päi­schen Krieg mit Russ­land auf­merk­sam. Wäh­rend die Zer­stö­run­gen in Deutsch­land in die­sem Fall unab­seh­bar wären, wür­den sich die USA zum drit­ten Mal an einem Krieg in Euro­pa betei­li­gen, ohne dass auch nur eine Fen­ster­schei­be kaputt gin­ge. Grund­le­gen­de Sicher­heits­be­dürf­nis­se zur Frie­dens­er­hal­tung in Euro­pa wer­den ver­letzt. Schließ­lich haben sich west­eu­ro­päi­sche Län­der und ins­be­son­de­re Deutsch­land wie­der­holt an Russ­land »die Fin­ger ver­brannt«, und es wider­spricht wirt­schaft­lich jeg­li­cher Ver­nunft, fos­si­le Ener­gie­trä­ger aus Russ­land durch teu­re Frack­ing-Pro­duk­te aus den USA zu ersetzen.

Die deut­schen Auf­wen­dun­gen zur Unter­stüt­zung und Auf­recht­erhal­tung des Ukrai­ne­kriegs in zwei Jah­ren wer­den mit weit mehr als 200 Mil­li­ar­den Euro ange­ge­ben, dem höch­sten Betrag nach den USA. Damit gehen eine Ver­nach­läs­si­gung sei­ner Infra­struk­tur sowie die Zurück­hal­tung not­wen­di­ger Auf­stockun­gen im Bil­dungs­sy­stem ein­her. In der Welt­rang­li­ste der Wett­be­werbs­fä­hig­keit rück­te Deutsch­land 2024 von Platz 6 auf Platz 24. Es ist daher ver­ständ­lich, dass zahl­rei­che Ent­schei­dun­gen, wie sie in der Gefolg­schaft der Ver­ei­nig­ten Staa­ten und der EU sowie Nato getrof­fen wer­den auf Unver­ständ­nis sto­ßen und den Zulauf zur AfD fördern.

Wie schon 1789 soll­ten auch in unse­rer Zeit die Attri­bu­te »pro­gres­siv« und »links« an Posi­tio­nen und ein poli­ti­sches Han­deln gebun­den sein, das gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen im Inter­es­se ele­men­ta­rer Lebens­be­dürf­nis­se der Men­schen vor­an­treibt, wäh­rend die Bezeich­nun­gen »kon­ser­va­tiv« und »rechts« dem Alt­her­ge­brach­ten, den oft­mals noch mit Macht aus­ge­stat­te­ten Kräf­ten, die dem Pro­gres­si­ven und lebens­wich­ti­gen Ver­än­de­run­gen ent­ge­gen­ste­hen, vor­be­hal­ten bleiben.

Unter einem sol­chen Raster wei­sen sich das BSW und bedingt eben­so Die Lin­ke in Deutsch­land als pro­gres­siv und links aus. Dem­ge­gen­über ist die AfD dop­pel­ge­sich­tig, einer­seits dem kapi­ta­li­sti­schen System eben­falls zutiefst ver­haf­tet und mit ihrem par­ti­el­len Bekennt­nis zur deut­schen faschi­sti­schen Ver­gan­gen­heit sowie teil­wei­se auch Leug­nung von Ver­bre­chen aus die­ser Zeit extrem rechts und daher ent­schie­den abzu­leh­nen und zu bekämp­fen. Ande­rer­seits ver­die­nen die den aktu­el­len Sicher­heits- und Lebens­be­dürf­nis­sen der Men­schen in Deutsch­land und Euro­pa Rech­nung tra­gen­den Posi­tio­nen Beach­tung, da sie den Krieg von USA und Nato in der Ukrai­ne gegen Russ­land unter maß­geb­li­cher Betei­li­gung Deutsch­lands ablehnen.

Unge­ach­tet aller ande­ren extrem unter­schied­li­cher Posi­tio­nen um die unser aller Leben bedro­hen­de Gefahr der Aus­brei­tung eines Krie­ges in Euro­pa, gibt es auf der Grund­la­ge der Pro­gram­me von BSW und AfD durch­aus Gemein­sam­kei­ten, an denen poli­tisch anzu­set­zen wäre:

  • Ableh­nung einer Ein­mi­schung in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten ande­rer Staaten.
  • Um die sicher­heits­po­li­ti­schen Inter­es­sen Deutsch­lands zu wah­ren, darf die Nato aus­schließ­lich als Ver­tei­di­gungs­bünd­nis in Akti­on treten.
  • Abzug von auf deut­schem Boden sta­tio­nier­ten Atom­waf­fen und alli­ier­ten Truppen.
  • Wirt­schaft­li­che Vernunft.
  • Ende der Sank­tio­nen und Ende des Krie­ges in der Ukrai­ne gegen Russland.
  • Schaf­fung einer euro­päi­schen Sicher­heits­ar­chi­tek­tur, in die Russ­land ein­be­zo­gen ist.

Neben sozia­ler Sicher­heit gehö­ren Frie­dens­si­che­rung und Abwen­dung von Kriegs­ge­fahr zwei­fel­los zu den wich­tig­sten Erwar­tun­gen im Leben. Poli­ti­sche Posi­tio­nen, die in einer Welt anhal­ten­der krie­ge­ri­scher Pro­vo­ka­tio­nen und Aus­ein­an­der­set­zun­gen die Lösung von Kon­flik­ten mit mili­tä­ri­schen Mit­teln ableh­nen, sind daher als pro­gres­siv ein­zu­stu­fen. Erst wenn Hoch­rü­stung und die Anwen­dung von Waf­fen­ge­walt unter­blei­ben, ent­ste­hen Vor­aus­set­zun­gen, um exi­stenz­be­dro­hen­den glo­ba­len Pro­ble­men wirk­sam zu begeg­nen. Als Prüf­stein für eine Zuord­nung zu links oder rechts bzw. tref­fen­der zu pro­gres­siv und kon­ser­va­tiv erweist sich in unse­rer Zeit die Stel­lung zum Krieg in der Ukrai­ne ein­schließ­lich der Ursa­chen, die zu ihm geführt haben. 32 Nato-Staa­ten bewaff­nen die Ukrai­ne im Krieg gegen Russ­land. Die Gefahr der Eska­la­ti­on die­ses Kon­flikts schwebt wie ein Damo­kles­schwert über uns und bedroht unser Leben. Die Ver­nunft gebie­tet, in einem ersten Schritt jede Unter­stüt­zung einer Fort­set­zung die­ses Krie­ges einzustellen.