Menschen wollen Frieden. Aber eine Großkoalition aus Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU will sie zu Kriegstüchtigkeit erziehen – mit Hilfe einflussreicher Medien, die Meinungen prägen und Stimmungen anheizen: Was wird zur Nachricht, welcher Vorfall erreicht keine Öffentlichkeit? Wer wird interviewt und zitiert, wer gecancelt? Wessen Perspektive nimmt der Journalist ein? Welchen Beitrag leistet die Presse zu Kriegen?
»Der Wahlsieger in Brandenburg heißt Putin«, überschrieben die Badischen Neuesten Nachrichten (BNN, Auflage knapp hunderttausend) einen Artikel nach der Landtagswahl. Die politische Stabilität der Bundesrepublik sei das Angriffsziel eines russischen »Informationskriegs«. Putin komme seinem Ziel näher, wie das Debakel der etablierten Parteien zeige. Diese Propaganda soll eine ernsthafte Analyse sein? Zur Untermauerung befragt das Blatt den Historiker Rolf-Ulrich Kunze – und der liefert: »Russlands Präsident führt einen Krieg gegen die liberale Demokratie.« Er könne mit Hilfe der AfD und des BSW Propaganda-Erzählungen verankern und seinen Imperialismus fördern. Wenn das BSW den Verzicht auf die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland fordere, so erhalte Putin einen Hebel, »um deutsche Ängste für sich auszunutzen«. Meine kritische Rückfrage, ob und wie er dieses Narrativ als Wissenschaftler belegen könne, beantwortete der Professor mit einer Einladung in seine Veranstaltungen. Der leitende Redakteur der BNN als Autor des Beitrags hatte alles zustimmend wiedergegeben.
Wo hört Berichterstattung auf, wo beginnt Propaganda? Um einer Antwort näher zu kommen, verglich ich zehn Tage lang die Beiträge von Mainstreammedien (tagesschau.de und BNN) mit denen der jungen Welt (jW) und des Onlinemedium NachDenkSeiten (NDS); beide wurden vom Bayerischen Verfassungsschutz beschuldigt, russische Narrative zu verbreiten. Den Anlass für die kleine Recherche hatte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter geliefert; dem als Kriegshetzer bekannt gewordenen Ex-Oberst hatten die BNN zwei Tage vor der Berliner Friedensdemonstration in einem langen Interview Gelegenheit zu zackigen Sprüchen und historischen Verdrehungen gegeben, wie etwa: Selenskyj habe 2022 weitgehende Friedensangebote gemacht, Russland habe mit Massakern geantwortet. Auch hier keine kritischen Rückfragen. Nach dieser Einstimmung wartete ich gespannt auf Berichte und Interviews zur Berliner Großdemo. Ich wartete vergeblich: Die Veranstaltung der Zehntausenden war der überregionalen Monopolzeitung keine Notiz wert.
Bringt man die Zeit für einen Vergleich der Medien auf, stößt man auf systematische Unterschiede. Was wird überhaupt zur Nachricht? Obwohl zum Beispiel israelische Politiker kein Hehl aus ihren Zielen machen – Errichtung von Groß-Israel und ethnische Säuberung von Palästinensern –, ist dies für BNN und Tagesschau kein Thema. Die tagesschau.de berichtet stattdessen überwiegend aus der Perspektive der israelischen Regierung und des Militärs mit solchen Überschriften: »Israel warnt Libanesen vor Zerstörung wie in Gaza«, »Mutmaßlich israelischer Luftangriff in Syrien«, »Netanjahu kündigt erneut Schlag gegen Syrien an«, »Israel meldet weitere Angriffe auf Hisbollah-Ziele«. Das Leiden der Bevölkerung bleibt eine Zahl in der Statistik. Aufrufe zum Frieden (Berliner Appell gegen neue Mittelstreckenraketen, Sechs-Punkte-Plan für ein Ende des russisch-ukrainischen Krieges) verschweigen die Qualitätsmedien fast einhellig; die Friedensinitiative des ungarischen Präsidenten Orbán wird inhaltlich nicht bekanntgemacht, aber durchweg diffamiert. Nicht anders erging es den ostdeutschen Politikern Kretschmer, Woidtke und Voigt mit ihrem Aufruf, Deutschland und die EU sollten sich für einen Waffenstillstand einsetzen: Vernichtende Kritik von SPD, CDU, FDP und Grünen, »Empörung von Kiesewetter bis ARD, von FAZ bis Roth, von SZ bis Strack-Zimmermann« (Wolfgang Michal im Freitag – auch vom Verfassungsschutz inkriminiert).
Für zahlreiche israelisch-palästinensische Organisationen und Personen, die für Frieden, gleichberechtigtes Zusammenleben und gegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eintreten, gibt es im Mainstream so gut wie keinen Platz – aus Angst vor dem Antisemitismusvorwurf? US-Hegemonie, Deutschlands Vasallenstatus fallen ebenfalls unter ein Schweigegebot. Vielmehr sollen durch eine informelle, aber strikte Sprachregelung Narrative gedanklich und emotional verankert werden, Alternativen zum Krieg in der Ukraine gar nicht erst in den Sinn kommen: »Selenskyj besucht Truppen in der Grenzregion«, »Weitere Unterstützung der Ukraine, Scholz trifft Selenskyj in Berlin«, »Ein Milliardenpaket und ein unerfüllter Wunsch«.
Ganz andere Schwerpunkte setzen die »Alternativen«. Wir erfahren in der jW Fakten, die sonst unter den Teppich gekehrt werden. Wer weiß schon, dass im Gazakrieg von Israels Armee bereits 174 Medienvertreter ermordet worden sind. Wenn jemand wissen wollte, was in der UN-Generalversammlung der Fatah-Präsident Abbas oder der russische Außenminister Lawrow zur aktuellen Lage sagen, musste er oder sie zur jW greifen. Bezeichnend, dass sowohl die jW als auch die NDS differenziert über die wachsende Repression gegen jede Form von Palästinasolidarität berichten, während tagesschau.de und BNN allenfalls die Verhaftung von Greta Thunberg für erwähnenswert halten. Angriffe von israelischen Kampfjets gegen Flüchtlingslager im Westjordan, die kalkulierte Ermordung von Zivilisten nach der Dahiya-Doktrin: Für solche Themen sind die alternativen Medien zuständig. Jeder Beitrag von Karin Leukefeld oder Sabine Kebir trägt mehr zum Verständnis der Hintergründe der Eskalation im Nahen Osten und der Ziele der Kriegsparteien bei als die steuerfinanzierte Tagesschau. »Bis zum ›totalen Sieg‹«, ein Artikel von Michael Lüders klärt mit Fakten und Genauigkeit viel mehr als die meist seichten Pseudoanalysen im Mainstream.
Die Opfer des Krieges bekommen hier auch eine Stimme. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe weiterer deutscher Waffenlieferungen an Israel lesen wir in der jW über »Ein Jahr Kriegsverbrechen«, eine Dokumentation von Al-Dschasira. Über Bombardierungen ziviler Ziele (das sind Menschen), über Tote, über Verbrennungen, Amputationen, über die systematische Ausschaltung medizinischer Einrichtungen. Über menschliche Schutzschilde und Hinrichtungen. Über Verrohung und Enthemmung der israelischen Soldaten – entsetzliche Bilder, die die Welt zu sehen kriegt, wir aber nicht. Netanjahu droht, den Libanon »in den Abgrund eines langen Krieges« zu stürzen, »der zu Zerstörung und Leid führen wird, wie wir es in Gaza sehen«.
Das Konzept des Online-Mediums NachDenkSeiten ermöglicht einen erweiterten Blick auf die politische Lage. Täglich bringt es Hinweise mit Links auf Publikationen in verschiedenen Medien, die den Blick auf aktuelle Ereignisse ungemein erweitern. Interviews mit gecancelten Wissenschaftlern (und natürlich -innen) und Publizisten, etwa Gabriele Krone-Schmalz, Ulrike Guérot, Patrik Baab, Moshe Zuckermann, Jeffrey Sachs, Glenn Greenwald oder John Mearsheimer sind an der Tagesordnung: Sie analysieren das Tagesgeschehen unter Berücksichtigung der Hintergründe und Zusammenhänge, der Verantwortung des Westens für die Kriege in der Welt – und der Mitverantwortung der Leitmedien. In einem Interview fasst der Journalist Baab seine Erfahrungen mit Berichten zum Krieg in der Ukraine pointiert zusammen: »Die Mainstream-Presse arbeitet nach dem Motto: Wir liefern die Kriegspropaganda, die Ukrainer liefern die Leichen.« Er meint, wenn Journalisten ohne ausreichende Sorgfalt und vor allem unausgewogen berichten, tragen sie eine bedeutende Mitverantwortung an diesem Krieg mit all seinen Opfern.
Bereits diese eine Woche umfassende Auswertung unterschiedlicher Medien zeigt: Diese erschließen uns die Welt auf ganz unterschiedliche Weise, schaffen divergierende Realitäten. Information, Analyse, Vielfalt gegen Indoktrination und Hofberichterstattung? Das wäre zu schlicht. Aber es ist klar, warum gerade alternative Medien vom Verfassungsschutz als Gefahr für das bestehende System der Aufmerksamkeitslenkung und ideologische Weltvermittlung ins Visier genommen werden. Und je mehr die Künstliche Intelligenz in die Redaktionen Einzug hält, umso durchschlagender werden die Parteien der »Mitte«, die in Grundsatzfragen ohnehin hohe Übereinstimmung haben und die Berichterstattung prägen, darüber bestimmen, was uns als Fakt und als Nachricht präsentiert wird.
Mit dem Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit ist das aber nicht vereinbar. Ihre Kontrollfunktion in einer Demokratie kann die Presse nur erfüllen, wenn sie der wirtschaftlich-politischen Machtelite ein Korrektiv ist und der Leserschaft zur eigenen Meinung verhilft. Derzeit ist regierungsnahe Propaganda angesagt, so sehr sich viele Medien auch in der Rolle unabhängiger Faktenfinder gefallen. Der Mehrheit der Bevölkerung gefallen sie nicht. Redaktionen immer wieder auf ihre tendenziösen Berichte, ihre manipulativen Methoden und damit auf die Verhöhnung dessen hinzuweisen, was sie vollmundig zu verteidigen vorgeben, nämlich der Demokratie, bleibt unsere Aufgabe.