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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Pressefreiheit verpflichtet!

Men­schen wol­len Frie­den. Aber eine Groß­ko­ali­ti­on aus Grü­nen, SPD, FDP und CDU/​CSU will sie zu Kriegs­tüch­tig­keit erzie­hen – mit Hil­fe ein­fluss­rei­cher Medi­en, die Mei­nun­gen prä­gen und Stim­mun­gen anhei­zen: Was wird zur Nach­richt, wel­cher Vor­fall erreicht kei­ne Öffent­lich­keit? Wer wird inter­viewt und zitiert, wer gecan­celt? Wes­sen Per­spek­ti­ve nimmt der Jour­na­list ein? Wel­chen Bei­trag lei­stet die Pres­se zu Kriegen?

»Der Wahl­sie­ger in Bran­den­burg heißt Putin«, über­schrie­ben die Badi­schen Neue­sten Nach­rich­ten (BNN, Auf­la­ge knapp hun­dert­tau­send) einen Arti­kel nach der Land­tags­wahl. Die poli­ti­sche Sta­bi­li­tät der Bun­des­re­pu­blik sei das Angriffs­ziel eines rus­si­schen »Infor­ma­ti­ons­kriegs«. Putin kom­me sei­nem Ziel näher, wie das Deba­kel der eta­blier­ten Par­tei­en zei­ge. Die­se Pro­pa­gan­da soll eine ernst­haf­te Ana­ly­se sein? Zur Unter­maue­rung befragt das Blatt den Histo­ri­ker Rolf-Ulrich Kun­ze – und der lie­fert: »Russ­lands Prä­si­dent führt einen Krieg gegen die libe­ra­le Demo­kra­tie.« Er kön­ne mit Hil­fe der AfD und des BSW Pro­pa­gan­da-Erzäh­lun­gen ver­an­kern und sei­nen Impe­ria­lis­mus för­dern. Wenn das BSW den Ver­zicht auf die Sta­tio­nie­rung von US-Atom­waf­fen in Deutsch­land for­de­re, so erhal­te Putin einen Hebel, »um deut­sche Äng­ste für sich aus­zu­nut­zen«. Mei­ne kri­ti­sche Rück­fra­ge, ob und wie er die­ses Nar­ra­tiv als Wis­sen­schaft­ler bele­gen kön­ne, beant­wor­te­te der Pro­fes­sor mit einer Ein­la­dung in sei­ne Ver­an­stal­tun­gen. Der lei­ten­de Redak­teur der BNN als Autor des Bei­trags hat­te alles zustim­mend wiedergegeben.

Wo hört Bericht­erstat­tung auf, wo beginnt Pro­pa­gan­da? Um einer Ant­wort näher zu kom­men, ver­glich ich zehn Tage lang die Bei­trä­ge von Main­stream­m­e­di­en (tagesschau.de und BNN) mit denen der jun­gen Welt (jW) und des Online­me­di­um Nach­Denk­Sei­ten (NDS); bei­de wur­den vom Baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz beschul­digt, rus­si­sche Nar­ra­ti­ve zu ver­brei­ten. Den Anlass für die klei­ne Recher­che hat­te der CDU-Poli­ti­ker Rode­rich Kie­se­wet­ter gelie­fert; dem als Kriegs­het­zer bekannt gewor­de­nen Ex-Oberst hat­ten die BNN zwei Tage vor der Ber­li­ner Frie­dens­de­mon­stra­ti­on in einem lan­gen Inter­view Gele­gen­heit zu zacki­gen Sprü­chen und histo­ri­schen Ver­dre­hun­gen gege­ben, wie etwa: Selen­skyj habe 2022 weit­ge­hen­de Frie­dens­an­ge­bo­te gemacht, Russ­land habe mit Mas­sa­kern geant­wor­tet. Auch hier kei­ne kri­ti­schen Rück­fra­gen. Nach die­ser Ein­stim­mung war­te­te ich gespannt auf Berich­te und Inter­views zur Ber­li­ner Groß­de­mo. Ich war­te­te ver­geb­lich: Die Ver­an­stal­tung der Zehn­tau­sen­den war der über­re­gio­na­len Mono­pol­zei­tung kei­ne Notiz wert.

Bringt man die Zeit für einen Ver­gleich der Medi­en auf, stößt man auf syste­ma­ti­sche Unter­schie­de. Was wird über­haupt zur Nach­richt? Obwohl zum Bei­spiel israe­li­sche Poli­ti­ker kein Hehl aus ihren Zie­len machen – Errich­tung von Groß-Isra­el und eth­ni­sche Säu­be­rung von Palä­sti­nen­sern –, ist dies für BNN und Tages­schau kein The­ma. Die tagesschau.de berich­tet statt­des­sen über­wie­gend aus der Per­spek­ti­ve der israe­li­schen Regie­rung und des Mili­tärs mit sol­chen Über­schrif­ten: »Isra­el warnt Liba­ne­sen vor Zer­stö­rung wie in Gaza«, »Mut­maß­lich israe­li­scher Luft­an­griff in Syri­en«, »Netan­ja­hu kün­digt erneut Schlag gegen Syri­en an«, »Isra­el mel­det wei­te­re Angrif­fe auf His­bol­lah-Zie­le«. Das Lei­den der Bevöl­ke­rung bleibt eine Zahl in der Sta­ti­stik. Auf­ru­fe zum Frie­den (Ber­li­ner Appell gegen neue Mit­tel­strecken­ra­ke­ten, Sechs-Punk­te-Plan für ein Ende des rus­sisch-ukrai­ni­schen Krie­ges) ver­schwei­gen die Qua­li­täts­me­di­en fast ein­hel­lig; die Frie­dens­in­itia­ti­ve des unga­ri­schen Prä­si­den­ten Orbán wird inhalt­lich nicht bekannt­ge­macht, aber durch­weg dif­fa­miert. Nicht anders erging es den ost­deut­schen Poli­ti­kern Kret­schmer, Woidt­ke und Voigt mit ihrem Auf­ruf, Deutsch­land und die EU soll­ten sich für einen Waf­fen­still­stand ein­set­zen: Ver­nich­ten­de Kri­tik von SPD, CDU, FDP und Grü­nen, »Empö­rung von Kie­se­wet­ter bis ARD, von FAZ bis Roth, von SZ bis Strack-Zim­mer­mann« (Wolf­gang Mich­al im Frei­tag – auch vom Ver­fas­sungs­schutz inkriminiert).

Für zahl­rei­che israe­lisch-palä­sti­nen­si­sche Orga­ni­sa­tio­nen und Per­so­nen, die für Frie­den, gleich­be­rech­tig­tes Zusam­men­le­ben und gegen Völ­ker­mord und Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit ein­tre­ten, gibt es im Main­stream so gut wie kei­nen Platz – aus Angst vor dem Anti­se­mi­tis­mus­vor­wurf? US-Hege­mo­nie, Deutsch­lands Vasal­len­sta­tus fal­len eben­falls unter ein Schwei­ge­ge­bot. Viel­mehr sol­len durch eine infor­mel­le, aber strik­te Sprach­re­ge­lung Nar­ra­ti­ve gedank­lich und emo­tio­nal ver­an­kert wer­den, Alter­na­ti­ven zum Krieg in der Ukrai­ne gar nicht erst in den Sinn kom­men: »Selen­skyj besucht Trup­pen in der Grenz­re­gi­on«, »Wei­te­re Unter­stüt­zung der Ukrai­ne, Scholz trifft Selen­skyj in Ber­lin«, »Ein Mil­li­ar­den­pa­ket und ein uner­füll­ter Wunsch«.

Ganz ande­re Schwer­punk­te set­zen die »Alter­na­ti­ven«. Wir erfah­ren in der jW Fak­ten, die sonst unter den Tep­pich gekehrt wer­den. Wer weiß schon, dass im Gaza­krieg von Isra­els Armee bereits 174 Medi­en­ver­tre­ter ermor­det wor­den sind. Wenn jemand wis­sen woll­te, was in der UN-Gene­ral­ver­samm­lung der Fatah-Prä­si­dent Abbas oder der rus­si­sche Außen­mi­ni­ster Law­row zur aktu­el­len Lage sagen, muss­te er oder sie zur jW grei­fen. Bezeich­nend, dass sowohl die jW als auch die NDS dif­fe­ren­ziert über die wach­sen­de Repres­si­on gegen jede Form von Palä­sti­na­so­li­da­ri­tät berich­ten, wäh­rend tagesschau.de und BNN allen­falls die Ver­haf­tung von Gre­ta Thun­berg für erwäh­nens­wert hal­ten. Angrif­fe von israe­li­schen Kampf­jets gegen Flücht­lings­la­ger im West­jor­dan, die kal­ku­lier­te Ermor­dung von Zivi­li­sten nach der Dahi­ya-Dok­trin: Für sol­che The­men sind die alter­na­ti­ven Medi­en zustän­dig. Jeder Bei­trag von Karin Leu­ke­feld oder Sabi­ne Kebir trägt mehr zum Ver­ständ­nis der Hin­ter­grün­de der Eska­la­ti­on im Nahen Osten und der Zie­le der Kriegs­par­tei­en bei als die steu­er­fi­nan­zier­te Tages­schau. »Bis zum ›tota­len Sieg‹«, ein Arti­kel von Micha­el Lüders klärt mit Fak­ten und Genau­ig­keit viel mehr als die meist seich­ten Pseu­do­ana­ly­sen im Mainstream.

Die Opfer des Krie­ges bekom­men hier auch eine Stim­me. Gleich­zei­tig mit der Bekannt­ga­be wei­te­rer deut­scher Waf­fen­lie­fe­run­gen an Isra­el lesen wir in der jW über »Ein Jahr Kriegs­ver­bre­chen«, eine Doku­men­ta­ti­on von Al-Dscha­si­ra. Über Bom­bar­die­run­gen zivi­ler Zie­le (das sind Men­schen), über Tote, über Ver­bren­nun­gen, Ampu­ta­tio­nen, über die syste­ma­ti­sche Aus­schal­tung medi­zi­ni­scher Ein­rich­tun­gen. Über mensch­li­che Schutz­schil­de und Hin­rich­tun­gen. Über Ver­ro­hung und Ent­hem­mung der israe­li­schen Sol­da­ten – ent­setz­li­che Bil­der, die die Welt zu sehen kriegt, wir aber nicht. Netan­ja­hu droht, den Liba­non »in den Abgrund eines lan­gen Krie­ges« zu stür­zen, »der zu Zer­stö­rung und Leid füh­ren wird, wie wir es in Gaza sehen«.

Das Kon­zept des Online-Medi­ums Nach­Denk­Sei­ten ermög­licht einen erwei­ter­ten Blick auf die poli­ti­sche Lage. Täg­lich bringt es Hin­wei­se mit Links auf Publi­ka­tio­nen in ver­schie­de­nen Medi­en, die den Blick auf aktu­el­le Ereig­nis­se unge­mein erwei­tern. Inter­views mit gecan­cel­ten Wis­sen­schaft­lern (und natür­lich -innen) und Publi­zi­sten, etwa Gabrie­le Kro­ne-Schmalz, Ulri­ke Gué­rot, Patrik Baab, Mos­he Zucker­mann, Jef­frey Sachs, Glenn Green­wald oder John Mears­hei­mer sind an der Tages­ord­nung: Sie ana­ly­sie­ren das Tages­ge­sche­hen unter Berück­sich­ti­gung der Hin­ter­grün­de und Zusam­men­hän­ge, der Ver­ant­wor­tung des Westens für die Krie­ge in der Welt – und der Mit­ver­ant­wor­tung der Leit­me­di­en. In einem Inter­view fasst der Jour­na­list Baab sei­ne Erfah­run­gen mit Berich­ten zum Krieg in der Ukrai­ne poin­tiert zusam­men: »Die Main­stream-Pres­se arbei­tet nach dem Mot­to: Wir lie­fern die Kriegs­pro­pa­gan­da, die Ukrai­ner lie­fern die Lei­chen.« Er meint, wenn Jour­na­li­sten ohne aus­rei­chen­de Sorg­falt und vor allem unaus­ge­wo­gen berich­ten, tra­gen sie eine bedeu­ten­de Mit­ver­ant­wor­tung an die­sem Krieg mit all sei­nen Opfern.

Bereits die­se eine Woche umfas­sen­de Aus­wer­tung unter­schied­li­cher Medi­en zeigt: Die­se erschlie­ßen uns die Welt auf ganz unter­schied­li­che Wei­se, schaf­fen diver­gie­ren­de Rea­li­tä­ten. Infor­ma­ti­on, Ana­ly­se, Viel­falt gegen Indok­tri­na­ti­on und Hof­be­richt­erstat­tung? Das wäre zu schlicht. Aber es ist klar, war­um gera­de alter­na­ti­ve Medi­en vom Ver­fas­sungs­schutz als Gefahr für das bestehen­de System der Auf­merk­sam­keits­len­kung und ideo­lo­gi­sche Welt­ver­mitt­lung ins Visier genom­men wer­den. Und je mehr die Künst­li­che Intel­li­genz in die Redak­tio­nen Ein­zug hält, umso durch­schla­gen­der wer­den die Par­tei­en der »Mit­te«, die in Grund­satz­fra­gen ohne­hin hohe Über­ein­stim­mung haben und die Bericht­erstat­tung prä­gen, dar­über bestim­men, was uns als Fakt und als Nach­richt prä­sen­tiert wird.

Mit dem Grund­recht der Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit ist das aber nicht ver­ein­bar. Ihre Kon­troll­funk­ti­on in einer Demo­kra­tie kann die Pres­se nur erfül­len, wenn sie der wirt­schaft­lich-poli­ti­schen Macht­eli­te ein Kor­rek­tiv ist und der Leser­schaft zur eige­nen Mei­nung ver­hilft. Der­zeit ist regie­rungs­na­he Pro­pa­gan­da ange­sagt, so sehr sich vie­le Medi­en auch in der Rol­le unab­hän­gi­ger Fak­ten­fin­der gefal­len. Der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung gefal­len sie nicht. Redak­tio­nen immer wie­der auf ihre ten­den­ziö­sen Berich­te, ihre mani­pu­la­ti­ven Metho­den und damit auf die Ver­höh­nung des­sen hin­zu­wei­sen, was sie voll­mun­dig zu ver­tei­di­gen vor­ge­ben, näm­lich der Demo­kra­tie, bleibt unse­re Aufgabe.