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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Potsdamer Spitze

In Erin­ne­rung an den Tag von Pots­dam wur­de am Oster­mon­tag, der in die­sem Jahr auf den 1. April fiel, die Kapel­le im neu errich­te­ten Turm der Pots­da­mer Gar­ni­son­kir­che fei­er­lich geweiht. Schon seit Tagen hing vor dem für die Sky­line des preu­ßi­schen »Mili­ta­ris­mu­sses« unver­zicht­ba­ren Bau­werk, das nun wie­der »steif-gre­na­dier­haft« (Fon­ta­ne) gen Him­mel droht, ein Pla­kat mit der Bot­schaft: »Gar­ni­son­kir­che bekennt Hal­tung«. Ein Schelm, wer dabei an Mädel und Jungs in Uni­for­men denkt. »Deutsch­land hat sich groß gehun­gert!« Die Bot­schaft der Obe­rin des Kai­se­rin-Augu­sta-Stifts, von Chri­sta Wins­loe in ihrem skan­dal­um­wit­ter­ten Stan­dard-Werk über die Miss­stän­de der preu­ßi­schen Sexu­al-Erzie­hung über­lie­fert, soll beschei­den in den Sockel des neo­hi­sto­ri­schen Bau­werks ein­gra­viert wer­den, gleich neben dem frie­dens­rei­chen Ermun­te­rungs­mot­to: »Hun­de, wollt ihr ewig leben!«, das wäh­rend aller preu­ßisch-deut­schen Kriegs­zü­ge wah­re Auf­er­ste­hungs­wun­der bewirkt haben soll. Auf dem histo­ri­schen Feld-Altar soll zur Freu­de der Bewoh­ner künf­tig auch wie­der das Blut­op­fer für Mars und Bel­lo­na zele­briert wer­den. Die Blech-Sär­ge mit den Hohen­zol­lern-Reli­qui­en sol­len wegen Platz­not zunächst im preu­ßi­schen Para­dies­gar­ten ver­blei­ben, wo aber für alle Fäl­le schon mal eine Kar­tof­fel­spen­den­sam­mel­stel­le ein­ge­rich­tet wurde.

Die Stadt und der Land­kreis sind mit die­sem ein­zig­ar­ti­gen archi­tek­to­ni­schen Ensem­ble, zu dem neben dem sinn­lo­se­sten Kirch­turm der Welt auch das unter Denk­mal­schutz gestell­te, zum Schwei­gen gebrach­te mili­ta­ri­stisch-revan­chi­sti­sche Glocken­spiel auf der Plan­ta­ge gehört, aus­sichts­rei­che Anwär­ter für den Inter­na­tio­na­len Schil­da Award, der ihnen erlau­ben wird, zukünf­tig ihren Hoheits­sym­bo­len die gol­de­ne Nar­ren­kap­pe hin­zu­zu­fü­gen. Der rote Adler der Lan­des­hym­ne soll gegen den schwar­zen der Wet­ter­fah­ne ersetzt wer­den, die Büch­sen­schütz-Hym­ne »Stei­ge hoch …« gegen das tra­di­ti­ons­rei­che Höl­ty-Lied »Üb immer …« usw., das aber nicht mehr zu den Klän­gen der fri­vo­len Mozart-Arie »Ein Mäd­chen oder Weib­chen« into­niert wer­den soll, son­dern je nach Anlass zu denen der Mär­sche »Deutsch­lands Waf­fen­eh­re«, »Preu­ßi­scher Zap­fen­streich« und »Frei weg«, letz­te­rer sei aus­drück­lich kei­ne Ermun­te­rung für Deser­teu­re! Es besteht die ver­schäm­te Absicht der ober­sten Hee­res­lei­tung der Kir­che, nicht nur die histo­ri­sche Non-soli-cedit-Wet­ter­fah­ne an der Pots­da­mer Spit­ze sich wie­der nach dem Wind dre­hen zu las­sen, son­dern auch die jetzt noch nackt daste­hen­den Flan­ken des Lan­gen Kerl-Turms wie­der mit Tro­phä­en zu schmücken, die Deutsch­land im näch­sten Welt­krieg zu erobern hofft. Das Nagel­kreuz, das auf dem histo­ri­schen Feld­al­tar etwas deplat­ziert wirkt, soll von Paul Oestrei­cher, der es per­sön­lich von Coven­try nach Pots­dam gebracht hat, wie­der abge­holt wer­den. Das Rechen­zen­trum, das sich auch an die­sem Tag wie­der als Ort bun­ter Krea­ti­vi­tät bewähr­te, soll dage­gen abge­ris­sen wer­den. Das alles ist kein April­scherz, son­dern ein oster­la­chen­des Hal­le­lu­ja und glor­rei­ches Auf­er­ste­hungs­fest, gefei­ert in Pots­dam am Oster­mon­tag, dem 1. April 2024, an dem sich der von den Natio­nal­so­zia­li­sten unter dem Mot­to »Deut­sche! Wehrt Euch!« ange­zet­tel­te »Juden­boy­kott« vom 1. April 1933 zum 91. Mal jähr­te. Bischof Chri­stoph Stäb­lein gestand in sei­ner Pre­digt auf die Peri­ko­pe »Macht ist geil«, dass an die­sem Ort die Demo­kra­tie ver­ra­ten und der Frie­den mit Füßen getre­ten wur­de. Dass nun alles anders sein soll, leuch­te­te man­chen unbe­lehr­ba­ren Pots­da­mern ange­sichts des ori­gi­nal­ge­treu­en Wie­der­auf­baus offen­bar trotz lang­jäh­ri­ger Bil­dungs­ar­beit im Lern­ort Gar­ni­son­kir­che nicht ein. Sie emp­fin­gen die Besu­cher des Got­tes­dien­stes mit »Heuchler!«-Rufen und ver­teil­ten ein Schwarz­buch Gar­ni­son­kir­che mit einer Gegen­re­de und pas­sen­den Zita­ten zum Fest. Zum ange­streb­ten Frie­dens-Dia­log kam es unter die­sen Umstän­den nicht.