Am 3. April erreichte mich eine E-Mail von der Poststelle des Bundeskanzleramtes.
Wörtlich aus dem Inhalt: »… Ich danke Ihnen für ihre Anregung im Hinblick auf den Umgang mit dem Foto von Herrn Dr. Globke im Bundeskanzleramt (BKAmt). Nach reiflicher Prüfung und in Abstimmung mit der Historikerkommission, die mit der Aufarbeitung der Historie des Bundeskanzleramtes betraut ist, wurde entschieden, dass eine Entfernung des Bildes von Dr. Globke dem Anliegen der Transparenz nicht gerecht werden kann. Im Sinne einer Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte wurde nun unter dem Foto von Herrn Dr. Globke in der Portraitgalerie des Chefs des Bundeskanzleramtes ein Hinweisschild angebracht, das auf seine Tätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus und seine Mitwirkung an den Rassegesetzen hinweist.«
Ergänzend folgte am 6. April eine weitere Mail mit dem Text:
»Dr. Hans Globke, Chef des Bundeskanzleramtes von 1953 bis 1963, war im nationalsozialistischen Deutschland Mitverfasser des ersten Kommentars zu den Nürnberger Rassengesetzen von 1935. Als Beamter im Reichsministerium des Innern beteiligte er sich an deren weiterer Ausgestaltung und Umsetzung auch in den später besetzten Gebieten. Die Nürnberger Gesetze sprachen ›Nicht-Ariern‹ die Bürgerrechte ab, verboten ihnen die Eheschließung mit Nichtjuden und konkretisierten durch die rassistische Definition des Begriffs ›Jude‹ die Anwendung eines Gesetzes, das Juden von öffentlichen Ämtern ausschloss. Die Gesetzgebung, an der Hans Globke mitwirkte, bildete eine Grundlage für die Verfolgung, Deportation und Ermordung der deutschen und europäischen Juden sowie der Sinti und Roma.«
Begonnen hatte diese bis dato unerträgliche Angelegenheit mit meiner Nachfrage im Jahr 2018 (siehe Ossietzky 18/2018). Damals, im September 2018, war von Klaus Bästlein das Buch »Der Fall Globke, Propaganda und Justiz in Ost und West« erschienen (Metropol Verlag, Berlin). Es wurde im Februar 2019 in Berlin im Auditorium der Topographie des Terrors öffentlich vorgestellt.
Der Autor kam als Historiker und Volljurist anhand seiner Nachforschungen zu dem Schluss, Globke habe nicht nur die NS-Rassengesetze kommentiert, sondern auch jene Verordnungen verfasst, die der Deportation der Juden den Weg in die Vernichtungslager bereiteten und maßgeblich die Weichen für den Holocaust stellten. Denn: »Hans Globke war ein NS-Schreibtischtäter. Er hat keinen Menschen eigenhändig getötet. Das tat auch Adolf Eichmann nicht. Doch Globke schuf die juristischen Voraussetzungen für die Vernichtung der europäischen Juden. Ohne die Definition, wer als ]ude zu gelten hatte, und ohne Regelungen über die Auslöschung ihrer bürgerlichen Existenz samt Vermögenseinziehung wären die Deportationen und damit der Massenmord nicht möglich gewesen.«
Klaus Bästlein ist keineswegs der DDR-Nostalgie zu verdächtigen. Nachdem er sich intensiv mit dem 1963 geführten Verfahren des Obersten Gerichts der DDR gegen Globke befasst hatte, stellte er fest, dass dieses gerichtliche Verfahren, »das zu propagandistischen Zwecken durchgeführt und rechtsstaatswidrig vorbereitet wurde, zu einem juristisch einwandfreien und in seiner historischen Substanz beachtlichen Urteil führte«.
Zu dieser Auffassung war nach 1990 bereits das Institut für Strafrecht der Universität von Amsterdam unter Federführung von Christiaan F. Rüter und Dick W. de Mildt gelangt. In der Sammlung »DDR-Justiz und NS-Verbrechen« wurden Strafurteile von 1945 bis 1990 publiziert. Unter dem Buchstaben G auf der Liste der angeklagten Männer: Globke, Hans lebenslänglich 1068. (Die Nummer führt zur Einzelausfertigung des Urteils des Obersten Gerichts der DDR vom 23. Juli 1963.) Der Name des früheren Kanzleramtschefs war aufgenommen worden, weil das in der DDR geführte Verfahren weder als rechtsstaatswidrig bewertet wurde noch nach 1991 eine Rehabilitation durch ein bundesdeutsches Gericht erfolgte.
Unter Verweis auf den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Gedenkstätte Auschwitz hatte ich mich im vorigen Jahr nochmals nach dem Umgang mit Globkes Portrait im Amt erkundigt. Merkel hatte in Auschwitz die »Verpflichtung zur Erinnerung an die NS-Verbrechen« betont und erklärt: »Uns dieser Verantwortung bewusst zu sein, ist fester Teil unserer nationalen Identität, unseres Selbstverständnisses als aufgeklärte und freiheitliche Gesellschaft, als Demokratie und Rechtsstaat.«
Sei es, wie es sei: Die Antwort und das Ergebnis sind zu begrüßen. Ein Anfang ist gemacht. Vielleicht wäre das Portrait durch das Cover von Bästleins Buch ersetzbar: G. in schwarzer Nazi-Uniform und untertänig als Bonner Staatsdiener.