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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Peter Ruben und die Ökonomie

Am 20.10.2024 starb in Ber­lin der Phi­lo­soph Peter Ruben. Er gilt noch heu­te vie­len als der gro­ße Pole­mi­ker im phi­lo­so­phi­schen Mar­xis­mus. Er habe, wie Erhard Cro­me in sei­nem Nach­ruf zeigt (Das Blätt­chen Nr. 23, 04.11.2024), sei­ne Gren­zen gefun­den an den par­tei­po­li­ti­schen Insti­tu­tio­nen der DDR. Das ist sicher rich­tig, muss aber ergänzt wer­den. In Nach­ru­fen zum Tode des Phi­lo­so­phen Peter Ruben wer­den des­sen Bemer­kun­gen zu öko­no­mi­schen Fra­gen, wenn über­haupt, nur bei­fäl­lig erwähnt. Und das mit gutem Grund.

Der Sozi­al­phi­lo­soph Georg Quaas (»Wert­form-Ana­ly­se und Zeit­mes­sung. Peter Rubens Mess­theo­rie rel­oa­ded«, Metro­po­lis-Ver­lag Mar­burg 2023) sagt, er hal­te Ruben für einen »der weni­gen inter­es­san­ten Phi­lo­so­phen der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik in den 70er Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts« und fin­det »grund­le­gen­de Ideen Peter Rubens nach wie vor fas­zi­nie­rend« (S. 13). Doch Quaas zeigt auch, dass Ruben kei­nes­wegs immer feh­ler­frei argu­men­tiert und sich oft selbst wider­spro­chen hat.

Beson­ders dann, wenn Ruben Streif­zü­ge durch das ihm frem­de Gebiet der Poli­ti­schen Öko­no­mie unter­nimmt, zeigt sich, dass Ruben vor allem an sich selbst geschei­tert ist. Anfang der 1980er Jah­re ver­öf­fent­lich­ten er und der Öko­nom Hans Wag­ner gemein­sam einen Arti­kel über die Wert­for­men, mit denen Marx logisch-histo­risch erklärt, woher das Geld kommt und wie es ent­steht. Dar­in ver­tra­ten sie eine Auf­fas­sung, die von der offi­zi­el­len polit­öko­no­mi­schen Les­art abwich. Die SED-Obe­ren insze­nier­ten, wie in ähn­li­chen Fäl­len typisch, einen völ­lig über­zo­ge­nen und ent­behr­li­chen poli­ti­schen Feld­zug gegen die bei­den »Revi­sio­ni­sten«. Auch wenn man die unnö­ti­ge Kam­pa­gne heu­te noch bedau­ern muss, bedeu­tet sie nicht, dass die inhalt­li­chen Argu­men­te gegen Rubens und Wag­ners Dar­stel­lung des Pro­blems falsch gewe­sen wären und die bei­den Autoren in der Sache Recht gehabt hät­ten. »Mög­li­cher­wei­se«, so Georg Quaas, »fin­det man auch unter den zahl­rei­chen unfreund­li­chen Ein­schät­zun­gen und Beur­tei­lun­gen der Phi­lo­so­phie Peter Rubens (…) die eine oder ande­re, die sach­lich rich­tig war und ist« (S. 11).

Rubens und Wag­ners Feh­ler war, die Kate­go­rie der abstrak­ten Arbeit auf ihren phy­sio­lo­gisch-anthro­po­lo­gi­schen Gehalt zu redu­zie­ren, auf die Ver­aus­ga­bung von Mus­kel, Nerv, Hirn und Hand. So konn­ten sie behaup­ten, dass der Wert unab­hän­gig von jeg­li­cher Waren­pro­duk­ti­on exi­stie­re. Sie über­sa­hen, dass die abstrak­te Arbeit neben ihrer bio­lo­gisch-natür­li­chen Grund­la­ge einen gesell­schaft­lich-histo­ri­schen Inhalt besitzt: Die phy­sio­lo­gi­sche Gemein­sam­keit der unter­schied­lich­sten mensch­li­chen Arbei­ten wird erst zur öko­no­mi­schen Kate­go­rie der abstrak­ten Arbeit, wo die Men­schen die Pro­duk­te als Waren, also für den Tausch, pro­du­zie­ren. Erst dann haben die Pro­duk­te nicht nur einen Gebrauchs­wert, son­dern auch einen Wert, der die Grund­la­ge der Tausch­re­la­tio­nen dar­stellt. Die abstrak­te Arbeit ist eine phy­sio­lo­gi­sche und eine histo­risch-gesell­schaft­li­che Kate­go­rie. Erst die Ein­heit die­ser bei­den Sei­ten macht die all­ge­mein mensch­li­che Arbeit zur abstrak­ten und damit zur Arbeit, die Wert bildet.

Quaas geht noch schär­fer mit Ruben ins Gericht. So sei die­sem der Unter­schied zwi­schen dem Wert und dem Tausch­wert ent­gan­gen. Ruben sagt, Marx hät­te nicht klar zwi­schen bei­den Begrif­fen unter­schie­den – eine völ­lig abwe­gi­ge Behaup­tung. Ruben igno­riert die Geld­form des Werts als die vier­te Wert­form und gehör­te »zu den Exege­ten, die glau­ben, Marx nicht nur bes­ser als er sich selbst ver­ste­hen zu kön­nen, son­dern die ihr eige­nes (Miss-) Ver­ständ­nis dem inter­pre­tier­ten Autor unter­stel­len und die­sen dann – auf­grund die­ser Unter­stel­lun­gen – kri­ti­sie­ren und berich­ti­gen«. Quaas kommt zu dem Schluss, dass »weder Rubens Dar­stel­lung der Wert­for­men noch sein Wert­be­griff etwas mit der Arbeits­wert­theo­rie zu tun haben« (S. 151).

Tat­säch­lich hat sich Ruben in spä­te­ren Jah­ren vom Mar­xis­mus-Leni­nis­mus abge­wandt und ist ande­ren theo­re­ti­schen Leit­ster­nen wie u.a. Joseph Schum­pe­ter (1883-1950) gefolgt. Die Hin­wen­dung zur bür­ger­li­chen poli­ti­schen Öko­no­mie legt gra­vie­ren­de öko­no­mi­sche Schwä­chen bloß. Ruben miss­ver­steht den Wert als das Pro­dukt aus Preis und Men­ge; er fin­det es kuri­os, dass ein Zeit­maß als Wert­maß gel­ten soll, und nennt es völ­lig unbe­greif­lich, dass die marx­sche For­mel W = c + v + m (Wert ist gleich kon­stan­tes Kapi­tal plus varia­bles Kapi­tal plus Mehr­wert) in einen Aus­druck für Arbeits­zeit ver­wan­delt wer­den kann. Die Äuße­run­gen sind abstrus. Sie bestä­ti­gen nicht nur Quaas‘ Auf­fas­sung, dass Rubens Inter­pre­ta­ti­on des Wer­tes nichts mit dem Marx­schen Arbeits­wert­be­griff zu tun hat, son­dern erwecken den Ver­dacht, Ruben könn­te womög­lich die Arbeits­wert­theo­rie gar nicht ver­stan­den haben. Schreibt er, sich auf Schum­pe­ter bezie­hend, »der Streit zwi­schen Ver­tre­tern der Arbeits­wert­leh­re und der sub­jek­ti­ven Nut­zen­leh­re (sei) völ­lig über­flüs­sig, (weil) der Arbeits­wert der klas­si­schen eng­li­schen Natio­nal­öko­no­mie mit dem Wert der sub­jek­ti­ven Wert­leh­re der Wie­ner Schu­le völ­lig über­ein­stimmt« – auch Quaas ver­weist auf die Gleich­set­zung von Arbeits­wert- und Nutz­wert durch Ruben –, wird aus der Ver­mu­tung Gewiss­heit: Peter Ruben kann weder die Arbeits­wert­theo­rie noch die Grenz­nut­zen­theo­rie ver­stan­den haben. Andern­falls wäre die haar­sträu­ben­de Gleich­set­zung zwei­er Theo­rien, die gegen­sätz­li­cher nicht sein kön­nen, nicht mög­lich gewe­sen. »Peter Ruben hat einen Schatz sozi­al­theo­re­ti­scher Über­le­gun­gen und Kon­zep­te hin­ter­las­sen, die für wei­te­re Über­le­gun­gen einer pro­gres­si­ven Zukunft Grund­la­gen lie­fert«, schreibt Cro­me. Das mag zutref­fend sein. Ande­rer­seits steht fest, dass Ruben, obgleich dar­um bemüht, kei­nen Bei­trag zur öko­no­mi­schen Theo­rie zu lei­sten vermochte.