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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Peinlich

Lion Feucht­wan­ger wür­de sich im Grab umdre­hen, wenn er erfüh­re, sei­ne inti­men Tage­bü­cher sei­en der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert. Aber ein toter welt­be­rühm­ter Schrift­stel­ler kann sich nicht mehr weh­ren gegen Voy­eu­re und Wis­sen­schaft­ler, für die allein das jetzt ver­öf­fent­lich­te Buch einen Wert haben dürf­te. 1991 bei einer Haus­halts­auf­lö­sung der Woh­nung der letz­ten Sekre­tä­rin Feucht­wan­gers ent­deckt, hat es eini­ge Zeit der Ent­zif­fe­rung und wohl auch Bedenk­zeit gebraucht, um die auf­ge­fun­de­nen Tei­le (es feh­len wich­ti­ge Jah­re und ins­ge­samt rei­chen die Auf­zeich­nun­gen nur bis 1940) dann doch zu publizieren.

Man erfährt, wer zu Besuch war, mit wem Feucht­wan­ger – wie er schreibt – gevö­gelt und gehurt hat (und das immens oft!), wie er geschla­fen hat, ob das Geld reich­te, wann er ona­nier­te oder zu viel trank oder spiel­te. Alles Details, die das tag­täg­li­che Leben zwar struk­tu­rie­ren mögen, aber es sind stich­wort­ar­ti­ge Noti­zen, die Zusam­men­hän­ge, Hin­ter­grün­de bezie­hungs­wei­se Kom­men­ta­re und eine tie­fe­re Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Per­son und ihrer Zeit ver­mei­den. »Ein end­lo­ser Rei­gen männ­li­cher Potenz­prot­ze­rei« schreibt Micha­el Nau­mann in der Zeit, und ich stim­me ihm voll zu: »die pein­lich­sten und lang­wei­lig­sten Tage­bü­cher der deut­schen Literaturgeschichte«.

Lion Feucht­wan­ger: »Ein mög­lichst inten­si­ves Leben. Die Tage­bü­cher«, Auf­bau, 640 Sei­ten, 26 €