Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Parteienverbot und Grundgesetz

Par­tei­en­ver­bo­te sind poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen. Sie hül­len sich jedoch in legal(istisch)e Gewän­der, oder es wer­den sol­che schon prä­ven­tiv ange­fer­tigt, um sie zur rech­ten Zeit anzu­le­gen. Dies zeig­te und zeigt sich spe­zi­ell in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (BRD).

Ent­spre­chend des Grund­ge­set­zes gilt in der BRD ein Par­tei­en­pri­vi­leg mit Janus­kopf. So bestimmt – in der Fas­sung von 1949 – Arti­kel 21:

»1) Die Par­tei­en wir­ken bei der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung des Vol­kes mit. Ihre Grün­dung ist frei. Ihre inne­re Ord­nung muss den demo­kra­ti­schen Grund­sät­zen ent­spre­chen. Sie müs­sen über die Her­kunft ihrer Mit­tel öffent­lich Rechen­schaft geben.

2) Par­tei­en, die nach ihren Zie­len oder nach dem Ver­hal­ten ihrer Anhän­ger dar­auf aus­ge­hen, die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung zu beein­träch­ti­gen oder zu besei­ti­gen oder den Bestand der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu gefähr­den, sind ver­fas­sungs­wid­rig. Über die Fra­ge der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit ent­schei­det das Bundesverfassungsgericht.

3) Das Nähe­re regeln Bundesgesetze«.

 

Die­ser Arti­kel wie das gesam­te Grund­ge­setz konn­te nur in Kraft tre­ten durch die am 12.5.1949 erfolg­te Zustim­mung der west­li­chen Mili­tär­gou­ver­neu­re. Ände­run­gen bedurf­ten vor ihrem Inkraft­tre­ten auf­grund des Besat­zungs­sta­tu­tes der »aus­drück­li­chen Geneh­mi­gung der Besatzungsbehörden«.

Somit besaß die BRD kei­ne staat­li­che Sou­ve­rä­ni­tät, und das Grund­ge­setz war auch kei­ne sou­ve­rä­ne Staats­ver­fas­sung. Inso­fern zeigt sich die Janus­köp­fig­keit des Par­tei­en­pri­vi­legs in sei­ner drei­fa­chen Abhän­gig­keit: einer­seits von den Besat­zungs­mäch­ten und ande­rer­seits von durch Par­tei­en­mehr­heit ver­ab­schie­de­te Geset­ze sowie der par­tei­po­li­ti­schen Prä­gung des Bundesverfassungsgerichtes.

Nimmt man Arti­kel 21 in den Blick, zei­gen sich wei­te­re for­ma­le und inhalt­li­che Beson­der­hei­ten und Merk­wür­dig­kei­ten: For­mal­ju­ri­stisch gese­hen durch­bricht Arti­kel 21 die Syste­ma­tik des Grund­ge­set­zes, in dem Arti­kel 1-19 die »Grund­rech­te« und Arti­kel 20 und 22-37 »Bund-Län­der-Kom­pe­ten­zen« umfas­sen. Poli­ti­sche Par­tei­en gel­ten jedoch nicht vor­ran­gig als staat­li­che Insti­tu­tio­nen; son­dern gehö­ren als poli­ti­sche For­ma­tio­nen zu den gesell­schaft­li­chen Verbänden.

Im Gesamt­zu­sam­men­hang des Grund­ge­set­zes zeigt Arti­kel 21 (2) fol­gen­den Wider­spruch: Das Grund­ge­setz beinhal­tet einer­seits prin­zi­pi­ell das Wie­der­ver­ei­ni­gungs­ge­bot Deutsch­lands in der Prä­am­bel, Arti­kel 23 und 146 GG alte Fas­sung; damit wird eine Ände­rung des BRD-Staa­tes ange­strebt. Ande­rer­seits wird bzw. kann nach Arti­kel 21 (2) eine Par­tei, die den Bestand der BRD ändern will, als ver­fas­sungs­feind­lich ein­ge­stuft wer­den. Eine Ände­rung des 1949 gebil­de­ten Staa­tes (BRD) beinhal­tet aber auch die Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands, wie es die KPD mit ihrem »Pro­gramm der natio­na­len Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands« vom 2.11.1952 mit der For­de­rung, eine gesamt­deut­sche ver­fas­sungs­ge­ben­de Natio­nal­ver­samm­lung zu wäh­len, ver­folg­te. Aber auch die Anglie­de­rung des Saar­lan­des am 1.1.1959 nach der erfolg­rei­chen Volks­ab­stim­mung gegen das von Bun­des­kanz­ler Ade­nau­er bevor­zug­te Saar­sta­tut II (1954) bedeu­te­te fak­tisch eine Ände­rung der bestehen­den BRD.

Arti­kel 21 GG, ins­be­son­de­re Arti­kel 21 (2), gilt als Reak­ti­on auf den natio­nal­so­zia­li­sti­schen Staat. Der Arti­kel sei des­halb ins Grund­ge­setz auf­ge­nom­men wor­den, weil sei­ner­zeit eini­ge Juri­sten mit Nach­druck die Mei­nung ver­tra­ten, die Wei­ma­rer Repu­blik sei an Ver­fas­sungs­män­geln und ins­be­son­de­re an soge­nann­ten extre­mi­sti­schen Par­tei­en geschei­tert. Dies war jedoch – so quel­len­kri­tisch-histo­ri­sche Hin­wei­se – nicht aus­schlag­ge­bend; viel­mehr war es der indi­rek­te Ein­fluss von Gabri­el Daty (sous pré­fet der fran­zö­si­schen Besat­zungs­be­hör­de) auf die badi­sche Ver­fas­sung, die eine wich­ti­ge Vor­la­ge für Arti­kel 47 des Her­ren­chiem­seer Ent­wurfs (HChE) war. Die­ser Arti­kel 47 bil­de­te nun wie­der­um die Vor­la­ge für Art. 21 GG.

Expo­nier­te Ver­tre­ter eines Par­tei­en­ar­ti­kels waren bei der Abfas­sung des Ent­wurfs von Her­ren­chiem­see Her­mann Brill, SPD (1895-1959) und Otto Suhr, SPD (1894-1957). Im Redak­ti­ons­aus­schuss des Par­la­men­ta­ri­schen Rates – und damit auch an der end­gül­ti­gen Abfas­sung des Arti­kel 21 betei­ligt – wirk­ten die Voll­ju­ri­sten Hein­rich von Bren­ta­no, CDU (1904-1964), Georg August Zinn, SPD (1901-1976) und Tho­mas Deh­ler FDP (1897-1967) mit.

Am 8. Mai 1949 ver­ab­schie­de­te der Par­la­men­ta­ri­sche Rat das Grund­ge­setz mit fol­gen­dem Abstim­mungs­er­geb­nis: Von 65 Mit­glie­dern stimm­ten 53 für sei­ne Annah­me und 12 für sei­ne Ableh­nung (Christ­lich Sozia­le Uni­on [CSU]: 6, Deut­sche Par­tei [DP]: 2; Zen­trum: 2; Kom­mu­ni­sti­sche Par­tei Deutsch­land [KPD]: 2). Die Ableh­nung erfolg­te aus unter­schied­li­chen Grün­den, haupt­säch­lich wegen zu gerin­ger föde­ra­ler Rech­te im Grund­ge­setz (CSU) bzw. wegen der mit der Ver­ab­schie­dung des Grund­ge­set­zes ver­bun­de­nen Grün­dung eines west­deut­schen Sepa­rat­staa­tes und der damit ver­bun­de­nen Tei­lung Deutsch­lands (KPD). Erst nach der Zustim­mung der Mili­tär­gou­ver­neu­re, die am 12. Mai 1949 erfolg­te, konn­te das Grund­ge­setz Gül­tig­keit erlan­gen und in Kraft treten.

Und es waren wie­der­um die west­al­li­ier­ten Mili­tärs, die die Bun­des­re­gie­rung anwie­sen, einen Ver­bots­an­trag gegen die Sozia­li­sti­sche Reichs­par­tei (SRP, 1949-1952) als Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on der NSDAP auf­grund Arti­kel 139 des Grund­ge­set­zes zu stel­len; wobei die Ade­nau­er-Regie­rung ent­schied: Wenn ein Ver­bots­an­trag gegen die SRP, dann auch einen gegen die KPD. Der Ver­bots­an­trag gegen die SRP datiert vom 19.11.1951, der gegen die KPD vom 22.11.1951.

Wie aus­ge­führt, gilt bei jedem Par­tei­en­ver­bot der beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) lie­gen­de Vor­rang der Ent­schei­dung. Der Antrag ans BVerfG, des­sen 16 Berufs­rich­ter jeweils zur Hälf­te von Bun­des­tag und Bun­des­rat nach (par­tei)poli­ti­schen Kri­te­ri­en gewählt wer­den, war und ist drei zen­tra­len poli­ti­schen Ein­rich­tun­gen im rea­len Herr­schafts­sy­stem vor­be­hal­ten: Bun­des­re­gie­rung, Bun­des­tag und Bun­des­rat kön­nen jeweils ein­zeln oder auch gemein­sam die Fest­stel­lung einer poli­ti­schen Par­tei als ver­fas­sungs­wid­rig beantragen.

So war das 2012/​17 beim zwei­ten und letz­ten »Ver­bots­ver­fah­ren« gegen die Natio­nal­de­mo­kra­ti­sche Par­tei Deutsch­lands: Im Dezem­ber 2012 gab es einen Bun­des­rats­be­schluss gegen die NPD. Nach vier Jah­ren wies das BVerfG im Janu­ar 2017 die­sen Antrag schließ­lich poli­tisch zurück: Auch wenn die NPD im Kern ver­fas­sungs­wid­rig sei, so wäre sie doch nicht in der Lage, die Demo­kra­tie als bestehen­des Herr­schafts­sy­stem in der BRD zu beseitigen.

Und damit schließt sich der Kreis im Sin­ne des quod-erat-demon­stran­dum-Grund­sat­zes: Par­tei­en­ver­bo­te sind poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen. Sie hül­len sich jedoch in legal(istisch)e Gewänder …