Parteienverbote sind politische Entscheidungen. Sie hüllen sich jedoch in legal(istisch)e Gewänder, oder es werden solche schon präventiv angefertigt, um sie zur rechten Zeit anzulegen. Dies zeigte und zeigt sich speziell in der Bundesrepublik Deutschland (BRD).
Entsprechend des Grundgesetzes gilt in der BRD ein Parteienprivileg mit Januskopf. So bestimmt – in der Fassung von 1949 – Artikel 21:
»1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss den demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben.
2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
3) Das Nähere regeln Bundesgesetze«.
Dieser Artikel wie das gesamte Grundgesetz konnte nur in Kraft treten durch die am 12.5.1949 erfolgte Zustimmung der westlichen Militärgouverneure. Änderungen bedurften vor ihrem Inkrafttreten aufgrund des Besatzungsstatutes der »ausdrücklichen Genehmigung der Besatzungsbehörden«.
Somit besaß die BRD keine staatliche Souveränität, und das Grundgesetz war auch keine souveräne Staatsverfassung. Insofern zeigt sich die Janusköpfigkeit des Parteienprivilegs in seiner dreifachen Abhängigkeit: einerseits von den Besatzungsmächten und andererseits von durch Parteienmehrheit verabschiedete Gesetze sowie der parteipolitischen Prägung des Bundesverfassungsgerichtes.
Nimmt man Artikel 21 in den Blick, zeigen sich weitere formale und inhaltliche Besonderheiten und Merkwürdigkeiten: Formaljuristisch gesehen durchbricht Artikel 21 die Systematik des Grundgesetzes, in dem Artikel 1-19 die »Grundrechte« und Artikel 20 und 22-37 »Bund-Länder-Kompetenzen« umfassen. Politische Parteien gelten jedoch nicht vorrangig als staatliche Institutionen; sondern gehören als politische Formationen zu den gesellschaftlichen Verbänden.
Im Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes zeigt Artikel 21 (2) folgenden Widerspruch: Das Grundgesetz beinhaltet einerseits prinzipiell das Wiedervereinigungsgebot Deutschlands in der Präambel, Artikel 23 und 146 GG alte Fassung; damit wird eine Änderung des BRD-Staates angestrebt. Andererseits wird bzw. kann nach Artikel 21 (2) eine Partei, die den Bestand der BRD ändern will, als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Eine Änderung des 1949 gebildeten Staates (BRD) beinhaltet aber auch die Wiedervereinigung Deutschlands, wie es die KPD mit ihrem »Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« vom 2.11.1952 mit der Forderung, eine gesamtdeutsche verfassungsgebende Nationalversammlung zu wählen, verfolgte. Aber auch die Angliederung des Saarlandes am 1.1.1959 nach der erfolgreichen Volksabstimmung gegen das von Bundeskanzler Adenauer bevorzugte Saarstatut II (1954) bedeutete faktisch eine Änderung der bestehenden BRD.
Artikel 21 GG, insbesondere Artikel 21 (2), gilt als Reaktion auf den nationalsozialistischen Staat. Der Artikel sei deshalb ins Grundgesetz aufgenommen worden, weil seinerzeit einige Juristen mit Nachdruck die Meinung vertraten, die Weimarer Republik sei an Verfassungsmängeln und insbesondere an sogenannten extremistischen Parteien gescheitert. Dies war jedoch – so quellenkritisch-historische Hinweise – nicht ausschlaggebend; vielmehr war es der indirekte Einfluss von Gabriel Daty (sous préfet der französischen Besatzungsbehörde) auf die badische Verfassung, die eine wichtige Vorlage für Artikel 47 des Herrenchiemseer Entwurfs (HChE) war. Dieser Artikel 47 bildete nun wiederum die Vorlage für Art. 21 GG.
Exponierte Vertreter eines Parteienartikels waren bei der Abfassung des Entwurfs von Herrenchiemsee Hermann Brill, SPD (1895-1959) und Otto Suhr, SPD (1894-1957). Im Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rates – und damit auch an der endgültigen Abfassung des Artikel 21 beteiligt – wirkten die Volljuristen Heinrich von Brentano, CDU (1904-1964), Georg August Zinn, SPD (1901-1976) und Thomas Dehler FDP (1897-1967) mit.
Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz mit folgendem Abstimmungsergebnis: Von 65 Mitgliedern stimmten 53 für seine Annahme und 12 für seine Ablehnung (Christlich Soziale Union [CSU]: 6, Deutsche Partei [DP]: 2; Zentrum: 2; Kommunistische Partei Deutschland [KPD]: 2). Die Ablehnung erfolgte aus unterschiedlichen Gründen, hauptsächlich wegen zu geringer föderaler Rechte im Grundgesetz (CSU) bzw. wegen der mit der Verabschiedung des Grundgesetzes verbundenen Gründung eines westdeutschen Separatstaates und der damit verbundenen Teilung Deutschlands (KPD). Erst nach der Zustimmung der Militärgouverneure, die am 12. Mai 1949 erfolgte, konnte das Grundgesetz Gültigkeit erlangen und in Kraft treten.
Und es waren wiederum die westalliierten Militärs, die die Bundesregierung anwiesen, einen Verbotsantrag gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP, 1949-1952) als Nachfolgeorganisation der NSDAP aufgrund Artikel 139 des Grundgesetzes zu stellen; wobei die Adenauer-Regierung entschied: Wenn ein Verbotsantrag gegen die SRP, dann auch einen gegen die KPD. Der Verbotsantrag gegen die SRP datiert vom 19.11.1951, der gegen die KPD vom 22.11.1951.
Wie ausgeführt, gilt bei jedem Parteienverbot der beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) liegende Vorrang der Entscheidung. Der Antrag ans BVerfG, dessen 16 Berufsrichter jeweils zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat nach (partei)politischen Kriterien gewählt werden, war und ist drei zentralen politischen Einrichtungen im realen Herrschaftssystem vorbehalten: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat können jeweils einzeln oder auch gemeinsam die Feststellung einer politischen Partei als verfassungswidrig beantragen.
So war das 2012/17 beim zweiten und letzten »Verbotsverfahren« gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands: Im Dezember 2012 gab es einen Bundesratsbeschluss gegen die NPD. Nach vier Jahren wies das BVerfG im Januar 2017 diesen Antrag schließlich politisch zurück: Auch wenn die NPD im Kern verfassungswidrig sei, so wäre sie doch nicht in der Lage, die Demokratie als bestehendes Herrschaftssystem in der BRD zu beseitigen.
Und damit schließt sich der Kreis im Sinne des quod-erat-demonstrandum-Grundsatzes: Parteienverbote sind politische Entscheidungen. Sie hüllen sich jedoch in legal(istisch)e Gewänder …