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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Pächter praktischer Vernunft

Nach Ende des Zwei­ten Welt­kriegs hat der post­ko­lo­nia­le Impe­ria­lis­mus die Welt neu geord­net – mit glo­bal gül­ti­gen Wer­ten und Regeln. Las­sen es Staa­ten an deren hege­mo­ni­al defi­nier­ter Ein­hal­tung feh­len, so stei­gen sie zu »schei­tern­den« ab. Nicht nur öko­no­mi­sche Rui­nie­rung, die Abhän­gig­kei­ten vom Welt­markt in bestra­fen­den Anschlag bringt, steht ihnen ins Haus. Mili­tär­pa­trouil­len, Flug­ver­bots­zo­nen, Stütz­punkt­ein­rich­tun­gen legen ihnen nahe, des einst­wei­li­gen Behal­tens natio­na­ler Sou­ve­rä­ni­tät hal­ber kei­ne Zwecke zu ver­fol­gen, die böse sind. Der Sieg von »free­dom and demo­cra­cy« über unbot­mä­ßi­ge Ver­stockt­heit wird »hybrid« errungen.

Am glo­ba­len Unter­bü­geln, das lei­der nur mit der end­gül­ti­gen Rui­nie­rung des Erd­balls umzu­set­zen ist, betei­ligt sich die deut­sche Kriegs­meu­te umstands­los und hin­ge­bungs­voll. Dabei rührt ihre Bereit­schaft, alles Nöti­ge in Angriff zu neh­men, nicht aus einem eli­tä­ren und ver­ant­wor­tungs­lo­sen Ver­ges­sen des­sen, was natio­na­les Wohl eigent­lich gebö­te. Viel­mehr äußert sich die nicht zu über­tref­fen­de Sitt­lich­keit der Umset­zer von Staats­wohl­not­wen­dig­kei­ten in der Hin­ga­be an eines der höch­sten Güter: die Ver­ant­wor­tung, »ohne Scheu­klap­pen« für alle zu han­deln, von denen gera­de ange­sichts des anfal­len­den »höch­sten Prei­ses« aus­nahms­los und grund­sätz­lich die rich­ti­ge Mei­nung ver­langt ist. Falsch­mei­nen­de sind gebüh­rend zu behan­deln, denn nur »Engel aus der Höl­le« kön­nen etwas gegen Muni­tio­nie­ren und Kano­nen­füt­tern haben. Als fünf­te Kolon­ne der Fein­de, die wie die unter­ge­gan­ge­ne DDR anders als »wir« und somit »Unrechts­staa­ten« (gewe­sen) sind, schwä­chen sie unse­re natio­na­le gute, da rechts­staat­li­che Kriegsfähigkeit.

Wie kam es zu die­sem augen­fäl­li­gen Aus­griff deut­scher Nati­on über ihre Gren­zen hin­aus und zu nun noch angriffs­lu­sti­ge­rem, Par­don: ver­tei­di­gungs­be­rei­te­rem Mei­nen? Das nach dem Ver­lust eines zwei­ten Welt­kriegs als Boll­werk gegen den Ost­block neu auf­ge­stell­te und demo­kra­tisch refor­mier­te West­deutsch­land war schnell wie­der wehr­haft gewor­den. Mit gewach­se­nem Arse­nal setzt sich das längst nicht mehr nur öko­no­misch »rie­si­ge« Gesamt­deutsch­land, für das es ein out of area nicht mehr gibt, im Ein­klang mit Bünd­nis­in­ter­es­sen welt­weit zur Wehr. Dabei gilt es, in Abstim­mung mit Part­nern neue »Her­aus­for­de­run­gen«, gern auch ganz vor­ne mit dabei oder »von hin­ten füh­rend«, ver­läss­lich anzu­neh­men. Gemäß Auf­trä­gen, von denen Deutsch­land – was für »ich« und »du« ste­hen soll – sich etwas ver­spricht, will es wirk­sam agie­ren (sie­he Ukrai­ne-Krieg). Um es ohne Polit­spre­ch­eu­phe­mis­men aus­zu­drücken: Die Mili­tär­macht Deutsch­land hat die Chan­cen und will sie bei – nicht von »mir« und »dir« defi­nier­tem – Bedarf auch wahr­neh­men, die Herr­schafts­ba­sis von Fein­den mit dem Umbrin­gen von deren mensch­li­cher Ver­fü­gungs­mas­se zu rui­nie­ren und einen Dik­tat­frie­den (welch häss­lich undeut­sches Wort) zu erzwingen.

Dage­gen mag ein »advo­ca­tus ange­li« ein­wen­den, ande­re wür­den das wol­len und auch tun – aber Deutsch­land doch nicht! Die gute Mei­nung bedarf jedoch einer selek­ti­ven Wahr­neh­mung, die sich zu so etwas wie Deutsch­lands Rol­le in und nach dem Krieg in Jugo­sla­wi­en nicht groß »einen Kopf macht«. Da gewach­se­ne Macht das Recht auf mehr Macht ergibt, ste­hen Deutsch­land nun selbst­re­dend die Auf-Füh­rung als mora­li­scher Welt­schieds­rich­ter und die ver­ant­wor­tungs­vol­le Selbst­ver­pflich­tung zu, der Exi­stenz aus­wär­ti­ger Herr­schaf­ten prak­ti­schen Nach­druck zu verleihen.

Ist die­se Dar­stel­lung ver­nünf­tig? Übli­cher­wei­se hängt die Ant­wort davon ab, was schon von vorn­her­ein fest­ste­hend für (un-)vernünftig gehal­ten wird. Ist man der zir­kel­schluss­mä­ßi­gen Mei­nung, der Staat sei dann unver­nünf­tig, wenn er kein guter Hir­te sei­ner Her­de sei, so wird man zu einem Ja nei­gen; mit »mora­lisch auf­ge­la­de­ner« Prä­po­tenz mute er sich = den Bür­gern rea­li­stisch nicht Bewäl­tig­ba­res zu (Ame­ri­ka, du hast es bes­ser!). Wes­halb die­ses »Fehl­ver­hal­ten«? Nun, weil sich wie­der ein­mal und wie immer die Regie­rungs­gärt­ner aus Böcken zusam­men­set­zen. Staats­han­deln wird nicht auf es her­vor­brin­gen­de ihm eige­ne Grün­de, Zwecke und Mit­tel befragt, son­dern ethisch als Samm­lung lau­ter »-Losig­kei­ten« gebrand­markt als Abwei­chung von nach Gusto vor­ge­fass­ten Merk­ma­len einer idea­len Staats­kunst. Sieht man die­se hin­ge­gen gege­ben, drückt man dem Staat die Dau­men beim Beschrei­ten des für im Prin­zip ver­nünf­tig gehal­te­nen Wegs und rekla­miert das Unter­ta­nen­recht auf grö­ße­re Ent­schlos­sen­heit dabei (zu der sich der Staat nicht lan­ge bit­ten lässt), so wird man den vori­gen Abschnitt als Blöd­sinn zurück­wei­sen. Beim Für und Wider dar­um, wie viel an »prak­ti­scher Ver­nunft« fest­stell­bar sei, wer­den nicht etwa Sach­ver­hal­te, Gegen­stän­de oder Ereig­nis­se für eine Erkennt­nis ihrer Beschaf­fen­heit aus ihnen selbst her­aus aus­ein­an­der­ge­setzt. Statt­des­sen soll sich durch sie nach einer von ihnen getrenn­ten mora­li­schen Scha­blo­ne oder idée fixe apo­dik­tisch (»isso«) rei­ne (Un-)Vernunft äußern. Nach die­ser Logik könn­te man z. B. auch das Coro­na­vi­rus der Unver­nunft zeihen.

Mit der Ver­nunft scheint es sich so zu ver­hal­ten wie mit der Intel­li­genz, die nie unge­recht ver­teilt ist; von letz­te­rer ver­meint nie­mand, zu wenig von ihr mit­be­kom­men zu haben; und eben­falls nie­mand braucht sich sei­ne jewei­li­ge Defi­ni­ti­on des Ver­nünf­ti­gen bestrei­ten zu las­sen, da die­se bloß, aber immer­hin und vor allem auf jeden, sogar staat­lich garan­tier­ten Fall, nun ein­mal Ansichts­sa­che ist. Die für fol­gen­lo­sen Aus­tausch bestimm­te Mei­nungs­be­lie­big­keit wird oft als Tat­sa­chen­be­weis dafür genom­men: Gesell­schaft kön­ne es, wenn über­haupt, nur als blo­ße Addi­ti­on ein­zel­ner (Mei­nen­der) geben, deren Schick­sal sich aus Ver­nunft ver­sus Unver­nunft sal­die­re. In sum­ma ergibt sich dar­aus die bekann­te Regie­rungs­auf­ga­be, von die­sem Dis­pa­ra­ten – Sam­mel­be­griff Volk – Scha­den abzu­wen­den und des­sen Wohl zu meh­ren. Das ist maß­geb­li­che, mit Defi­ni­ti­ons­ho­heit über Wohl und Wehe aus­ge­stat­te­te Vernunft.

Der Rede von ver­nunft­ge­lei­te­tem Han­deln bzw. des­sen Aus­blei­ben kommt die Fra­ge, woher gesell­schaft­li­ches »Hobeln« mit sei­nen unver­meid­lich anfal­len­den »Spä­nen« denn kom­me, als so töricht vor wie die, ob es denn die Schwer­kraft hier geben müs­se. Ohne Kol­la­te­ral­schä­den kön­ne der Kampf aller gegen alle nun ein­mal nicht abge­hen, wes­halb es dem staat­li­chen Domp­teur zufal­le, die Ant­ago­nis­men in Zaum zu hal­ten; dies mit­tels einer Len­kung durch die Besten = Ver­nünf­ti­gen, die qua Funk­ti­on ja wis­sen (könn­ten oder müss­ten), was wohl­tut oder am wenig­sten schmerzt.

Der Staat hilft nicht nur bei der Suche nach dem Ver­nünf­ti­gen; er ver­steht auch die Sor­gen kon­struk­tiv kri­ti­scher Bür­ger. Deren alles über­wöl­ben­de The­ma ist vor allem die ban­ge Fra­ge: Wer­den wir rich­tig geführt? Genau­er: Wer­den wir geführt, wie wir es ver­die­nen? Und sind wir dann einer sol­chen Füh­rung auch wür­dig? Nun ja, viel­leicht müs­sen wir dafür dann auch schon ein bis­sel an uns arbei­ten; gelobt sei, was hart macht …

Dass die Mei­nungs­uni­for­mie­rung für das Volk fort­schrei­tet, braucht der Staat nicht wesent­lich für Kriegs­vor­be­rei­tung und -füh­rung. Zum einen finan­ziert und unter­nimmt er das waf­fen­tech­nisch und auf­marsch­be­för­dern­de Nöti­ge, inklu­si­ve der Erwä­gung, den »Bür­ger in Uni­form« wie­der­zu­be­le­ben. Das schafft er aus eige­ner Macht­voll­kom­men­heit, mit der er dann auch zum Krieg abkom­man­diert. Zum ande­ren heißt das aber nicht, dass er das lässt, was er nicht unbe­dingt braucht; wes­halb soll­te er sich bei der Gestal­tung sei­ner Zwecke beschrän­ken? Gera­de weil sein Zugriff auf die Mit­glie­der der Nati­on unbe­dingt und grund­sätz­lich ist, küm­mert er sich defi­ni­to­risch, juri­stisch und auch prak­tisch um miss­lie­bi­ge Mei­nun­gen und Akti­vi­sten bis hin zu Gefähr­dern und inva­si­ven Fremd­lin­gen, eta­bliert Gedenk­ta­ge und Zere­mo­nien für schon ehren­voll Gefal­le­ne und »in die Mit­te der Gesell­schaft zurück­ho­len­de« Respekt­be­zeu­gun­gen für sol­che, die das noch wer­den sol­len. Inter­es­sier­ten Bür­gern bie­tet der Staat Per­spek­ti­ven, nach sei­ner Fas­son ver­nünf­tig zu handeln.

So unter­brei­ten denn auch die amt­li­chen Schick­sals­ma­cher von Pla­kat­wän­den der Bus­hal­te­stel­len her­ab das attrak­ti­ve Ange­bot: »Füh­rungs­stär­ke ler­nen!« Eine fei­ne Sache. Die Schu­le der Nati­on (im Sin­ne Kurt Georg Kie­sin­gers) macht‘s mög­lich, mit töd­li­cher Sicher­heit für alle.