Ein schreckliches Geheimnis ist gelüftet. Erinnern wir uns: Kubanische Kommunisten haben US-amerikanische Diplomaten und deren Familienangehörige in Havanna mit Schall angegriffen. Das zumindest behaupteten die Edelaußenpolitiker im State Department, ihre Kollegen in den zahlreichen Nachrichten- und Geheimdiensten. Selbst Präsident Donald Trump konstatierte, es habe ein »großes Problem« in Kuba gegeben, und »sie haben sehr schlimme Dinge getan«.
Ja, mysteriös ging es zu in Havanna und in Washington. Rätselhafte akustische Anschläge mit bisher nicht identifizierten wundersamen Geräten auf US-amerikanische Diplomaten in der kubanischen Hauptstadt führten über einen längeren Zeitraum zu Schwindelgefühlen, Kopfschmerzen und in Einzelfällen zu dauerhaftem Gehörverlust. Um die Gesundheit ihrer Bürger besorgt, zog das Außenministerium die Betroffenen und Gefährdeten aus Havanna ab. Ein hochrangiger Mitarbeiter des State Department erklärte, bis die kubanische Regierung »die Sicherheit der US-Regierungsbeschäftigten sicherstellen kann«, werde es in der Botschaft nur noch eine Notmannschaft geben. Ein Untersuchungsausschuss hatte zuvor festgestellt, die diplomatischen Vertreter der USA seien mit einer hochentwickelten akustischen Apparatur attackiert worden. Mit dieser Anschuldigung wurden mehrere kubanische Diplomaten aus Washington ausgewiesen. Es war eine handfeste diplomatische Krise.
Die kubanische Regierung zeigte sich großzügig und ließ FBI-Agenten einreisen, die an Ort und Stelle die Wohnhäuser betroffener Diplomaten gründlich durchsuchten und keinerlei Schall-Apparaturen fanden. Dessen ungeachtet wiederholte die Washingtoner Administration mit unverminderter Lautstärke ihre Anschuldigungen. Kubanische Wissenschaftler bekräftigten dagegen, dass es keinerlei Beweise für die Unterstellung der Washingtoner Regierung gebe. Kubanischerseits wurde darauf hingewiesen, dass kubanischen Experten ein Kontakt zu den Hörgeschädigten und deren Ärzten verwehrt wurde. Auch seien sie nicht zu den Orten vorgelassen wurden, an denen nach Angaben der USA die Gesundheitsbeeinträchtigungen eingetreten sein sollten. Doch der Lärm ebbte nicht ab und diente zur nachträglichen Begründung dafür, dass Trump die unter seinem Vorgänger Obama vorgenommenen Maßnahmen zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen revidiert hatte. Fortan blieben die kubanischen Akustik-Krieger auf der Anklagebank. Die Welt sollte glauben, die kubanischen Finsterlinge hätten geheimnisvolle Schallwaffen gegen diplomatisches Personal eingesetzt. Mehr noch, US-Medien verbreiteten die Mär, dass »Russland wahrscheinlich« hinter den Angriffen stecke. NBC behauptete gar, dass US-Geheimdienste dies mit abgefangenen Kommunikationsbelegen nachweisen könnten (s. Ossietzky 22/2017).
Doch nun ist die Wahrheit dank einer Studie der Berkeley-Universität, die auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Society for Integrative and Comparative Biology (SICB) vorgestellt wurde, ans Licht gekommen. Die Finsterlinge sind weder Kubaner noch Russen, es sind paarungswillige Grillenmännchen. Ihr scharfer Ruf richtete sich nicht an US-Diplomaten, sondern an heiß begehrte Grillenweibchen. In der Studie wird nachgewiesen, dass die »Schallangriffe« auf US-Diplomaten »spektral dem widerhallenden Ruf einer karibischen Grille« entsprechen. Es handle sich eigentlich um indische Kurzschwanzgrillen (Anurogryllus celerinictus), deren Rufe bis ins Detail mit der Tonaufzeichnung der »Schallangriffe« auf US-Diplomaten in Kuba übereinstimme, »und zwar in Dauer, Pulsfolgefrequenz, Leistungsspektrum, Pulsfrequenzstabilität und Schwingungen pro Puls«.
Die Studie der Berkeley-Universität machte die enormen Anstrengungen der Washingtoner Geheimdienste zur Identifizierung der kubanischen oder der russischen akustischen Wunderwaffe zunichte. Umsonst hatte sich das State Department auch an die Air Force und ihr Energieforschungsprogramm auf der Kirtland Air Force Base in New Mexico gewandt, wo das Militär riesige Labors hat, um elektromagnetische Hochleistungswaffen zu testen. Alles war vergebliche Müh, allerdings auch ein Beweis dafür, dass man den eigenen Lügen häufig am meisten traut.
International rief die Studie, die die schweren, wenn auch letztlich lächerlichen Beschuldigungen an die Adressen Havannas und Moskaus in das Märchenland der US-Geheimdienste verwies, ein recht breites Echo hervor. Selbst die New York Times musste eingestehen, dass weitere Experten die Studie der Berkeley-Universität für richtig befunden haben. Anders dagegen die bundesdeutschen Medien. Blätter wie die Welt und Bild, die so laut in die US-amerikanischen Alarmgesänge eingestimmt hatten, hüllten sich weitgehend in Schweigen. Auch der Deutschlandfunk berichtete recht schmallippig über den kompletten Zusammenbruch der Washingtoner Anklagen und fügte sicherheitshalber hinzu: »Trotzdem bleiben noch Fragen offen: Zum einen gibt es noch keine unabhängige Überprüfung der Analyse. Zum anderen ist bis heute nicht klar, ob es wirklich der Ton war, der die Botschaftsmitarbeiter krank gemacht hat.«
Gut formuliert. Zurückhaltung ist bitter nötig. Wer sagt denn, dass die Russen die Kurzschwanz-Grillen nicht in Abstimmung mit kubanischen Geheimdiensten nach Havanna gebracht haben. Oder, denn ihnen ist bekanntlich alles zuzutrauen, sie haben sie mit ihren weltbekannten hervorragenden Tierpsychologen so dressiert, dass sie zielgenau nur US-Diplomaten attackierten. Dem Deutschlandfunk kann man nur zustimmen. Es bleiben noch Fragen offen. Allerdings: Große Trottel können zuweilen mehr fragen, als kluge Leute beantworten können.