Schön, wenn man das ist, wie man heißt. Weniger schön, wenn man zu den vermutlich letzten seiner Zunft zählt, obwohl man zu deren jüngsten Vertretern gehört.
Das Konterfei von Erik Fischer aus Karlshagen auf Usedom steht quadratmetergroß an der Promenade von Ahlbeck, eines von knapp dreißig Fotos, immer drei im Dreieck entlang des Uferwegs gestellt. Gesichter wie Landschaften, geformt von schwerer Arbeit, gezeichnet vom Wetter, kaum einer ohne Bart, die Furchen mitunter so tief wie Schnittwunden. Die Männer – nur eine Frau ist darunter – blicken ausnahmslos ernst in die Kamera, nicht einer täuscht, wie gemeinhin auf inszenierten Porträts üblich, mit entblößten Zähnen vermeintliches Wohlbefinden vor. Fischen auf der Ostsee ist kein leichtes Gewerbe, die Sorgen lassen sich nicht weglächeln.
Kaum dreihundert Fischkutter sind noch in den küstennahen Gewässern zwischen Flensburg und Ahlbeck unterwegs, die meisten in Mecklenburg-Vorpommern. Knapp tausend Küstenfischer waren es im einstigen Bezirk Rostock, inzwischen lebt nur noch jeder Fünfte vom Fischfang. Und die Zahl wird immer kleiner. Die Zunft hat keine Zukunft: zu hoch die Umweltauflagen, zu niedrig die erlaubten Fangquoten. Beim Hering, dem »Brotfisch« der Ostseefischer, wurde die Fangmenge besonders dramatisch reduziert. 1995 zog man noch 100.000 Tonnen aus dem Wasser, heute sind den Küsten- und Kutterfischern nur noch 1.000 Tonnen im Jahr erlaubt. Überfischung und auch der Klimawandel haben den Heringsbestand stark reduziert. Einer der wesentlichen Gründe: Durch die frühere Erwärmung des Wassers laichen die Fische früher ab, doch die Hauptnahrung des Heringsnachwuchses ist dann noch nicht da: kleine Krebse. Sie folgen einem anderen biologischen Kalender. Nur die späten Heringslaiche überleben. Um deren Art zu erhalten, müssen sich die Heringsfischer bescheiden. Auch hier wird um Kompromisse gerungen, die – wie wohl meist bei ausgleichenden Lösungsversuchen – keine Seite ausreichend befriedigen. Der Fischbestand reicht allenfalls für die heutige halbe Flotte. Doch die traditionelle Küstenfischerei ist kaum den Übeltätern zuzurechnen. Zudem sorgt sie für kurze Lieferwege: Das, was diese wenigen hundert Menschen aus dem Wasser ziehen, landet in Pfannen und Tiegeln an der Küste. Frisch, nicht tiefgefroren und über den Atlantik geflogen.
Hinzugekommen ist das Problem mit den Kegelrobben, die sich in der Ostsee ausbreiten. Sie fressen die in den Stellnetzen gefangenen Heringe. Nicht nur, dass dadurch den Fischern Fisch verloren geht: Sie müssen auch die Gräten mühsam aus den Netzen pulen – was übermäßig viel Zeit in Anspruch nimmt, in der nichts verdient wird. Im Greifswalder Bodden, fünfhundert Quadratkilometer groß, jagen inzwischen fast hundert Kegelrobben. Die Naturschützer freut’s, die Touristen nicht minder. Unterm Strich jedoch heißt das Fazit des in Kopenhagen ansässigen International Council for the Exploration of the Sea (ICES): »Die Ostsee-Fischerei steht vor dem größten Umbruch seit der Wende.«
Die Porträts der Küstenfischer, die über den Sommer in Ahlbeck studiert werden können, haben Franz Bischof und Jan Kuchenbecker geschaffen. Gezeigt werden sie im Rahmen des Umweltfestivals »horizonte zingst«, das ohne Unterstützung honoriger Sponsoren nicht zustande gekommen wäre. Dennoch gebühren Beifall und Anerkennung den beiden Lichtbildnern. Kuchenbecker, Hamburger vom Jahrgang 1989, und der gebürtige Berliner Bischof haben zwischen Oktober 2018 und Februar 2019 Ostseefischer fotografiert – »fast lückenlos an der gesamten deutschen Ostseeküste von Ost nach West«. Die insgesamt 228 Porträts sind zwar gestellt, anderenfalls wären sie technisch nicht derart exzellent, und sie erscheinen auch nicht wie aus einem Guss. Aber man spürt kaum, dass sie inszeniert wurden: Die Menschen tragen ihr Arbeitszeug, sind abgespannt, müde und melancholisch, erkennbar kommen sie von Arbeit auf See, das Ölzeug trägt oft die Spuren der vergangenen Schicht.
Die beiden Fotografen haben ein bedeutendes kulturgeschichtliches Zeugnis geschaffen. Zum einen, weil damit eine Zunft dokumentiert wurde, die es vermutlich bald nicht mehr geben wird. Zum anderen machen sie Werktätige sichtbar, was heutzutage selten genug geschieht. In der medialen Massenflut von Bildern kommen »einfache Menschen« kaum vor, keine Proletarier (wie wir sie etwa von August Sander kennen), weil es diese doch angeblich nicht mehr gibt. Die Bilder sind darum optische Denkmale in mehrfacher Bedeutung. Auch wenn dieser Begriff seit dreißig Jahren denunziert ist, benutze ich ihn dennoch, weil er alle Aspekte trefflich zusammenfasst: Es ist Agitation im besten Sinne. Und Aufklärung ist nun mal die vordringlichste Aufgabe von Kunst.