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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Oskar Schlemmer in Gotha

Die Visi­on des neu­en Men­schen wur­de von Oskar Schlem­mer (1888-1943) im Reli­ef »Homo mit der Rücken­fi­gur auf der Hand« in Krei­sen, Kreis­bö­gen wie in ova­len und para­bel- und hyper­bel­för­mi­gen Kur­ven und in Bir­nen­form mit Stahl­draht und Nickel­ele­men­ten geo­me­trisch wie ste­reo­me­trisch zum Ide­al aus­ge­legt. Der ver­schie­den dicke Draht hebt die Figur aus der Ebe­ne kör­per­lich in den Raum. Nicht nur der »Gelenk­ap­pa­rat von wun­der­vol­ler Exakt­heit der Funk­tio­nen« ist erkenn­bar, son­dern selbst in den Kör­per­for­men ein männ­li­ches »Wesen aus Fleisch und Blut« (O. Sch.) mit Lip­pen, zier­li­chen Füßen und dem Geni­tal aus Klee­blatt­for­men. Auf der Hand trägt der Mensch aus ver­kup­fer­tem und ver­nickel­tem Zink­guss eine klei­ne Rücken­fi­gur, die sein Erzeug­nis ist. Mit der Ent­ma­te­ria­li­sie­rung und Abstrak­ti­on ent­spricht Schlem­mers For­men­leh­re ganz jener Grund­ten­denz zur Ele­men­ta­ri­sie­rung wie bei Kan­din­sky, Klee oder Jaw­len­sky. Das kost­ba­re Mate­ri­al und die schö­nen schwung­vol­len For­men heben die Men­schen­dar­stel­lung in einen vor­neh­men Modus. Den Ent­wurf zum »Homo« von 1920/​21 ent­wickel­te Schlem­mer zehn Jah­re spä­ter zur Wand­pla­stik. Ein bild­mä­ßi­ger Ver­gleich zur Ori­gi­nal­ver­si­on, die immer noch im pri­vat genutz­ten Haus Dr. Rabe in Zwenkau bei Leip­zig zu erle­ben ist, wäre für die Aus­stel­lung gut gewe­sen, denn das Kunst­mu­se­um Gotha zeigt eine 1968 fer­tig­ge­stell­te Edi­ti­on von Anton Stein­lech­ner und Sieg­fried Cremer. Mit dem über drei Meter gro­ßen Werk wird der Aus­stel­lung als »Schlem­mers Visi­on einer idea­len Kunst­fi­gur« (Unter­ti­tel) ein monu­men­ta­ler Auf­takt ver­lie­hen und als Ziel die künst­le­ri­sche Schöp­fung des Men­schen gezeigt. Zu beach­ten ist, dass Mat­thi­as Eber­le 1989 die­se Sym­bo­li­sie­rung als »Wand­lung Adams zu Pro­me­theus durch Geo­me­trie« defi­niert hat (Lite­ra­tur­ver­zeich­nis des Kata­lo­ges). Der Antik­e­be­zug Schlem­mers wird zwar erwähnt, doch nicht die Rezep­ti­on anti­ker Mythen. Dazu wären bei »Zwei Mäd­chen mit rotem Faden«, 1935/​36, aus der Zeit der Aus­weg­su­che der Ari­ad­ne­fa­den oder die an Janus erin­nern­den ent­ge­gen­ge­setz­ten Kopf­for­men bei Tisch­ge­sell­schaf­ten oder Grup­pen im Raum unter den etwa 80 Bil­dern und Objek­ten zu ent­decken. Dank der Koope­ra­ti­on mit der Staats­ga­le­rie Stutt­gart, die 2017 den Gotha­er Tafel­al­tar zei­gen konn­te, kamen 32 Aqua­rel­le nach Gotha sowie fach­li­che Unter­stüt­zung. Auch ande­re Leih­ge­ber, wie das Von der Heydt-Muse­um in Wup­per­tal und das Folk­wang Muse­um in Essen, steu­er­ten exzel­len­te Leih­ga­ben bei.

Die retro­spek­ti­ve Werk­schau stell­te der Gotha­er Kura­tor Timo Trüm­per zusam­men und glie­der­te sie motiv­lich nach »Tisch­ge­sell­schaf­ten«, »Gelän­der- und Trep­pen­sze­nen«, oft auf Karos von Flie­sen­bö­den gestellt wie bei einem Brett­spiel, »Büh­nen­bil­der und Maschi­nen« mit Aqua­rell­bil­dern von Kan­din­sky, auf ihnen das Gro­ße Tor von Kiew und Figu­ri­nen. Im Teil »Men­schen­bild der Moder­ne« kann die Zeich­nung »Weib­li­cher Pro­fil­kopf und Gesicht«, 1925, vor­füh­ren, wie Schlem­mer sei­ne Urform zwi­schen den Polen Abstrak­ti­on sowie Natur gegen das Por­trät in Men­schen-Typen ermisst. Die ägyp­tisch streng aus­ge­rich­te­ten ver­ti­ka­len und hori­zon­ta­len Ach­sen wer­den die jugend­li­chen Figu­ren dif­fe­ren­ziert durch Kopf­nei­gun­gen, die Gefüh­le, Kon­zen­tra­ti­on und Gen­der­spe­zi­fi­sches (»Mäd­chen­rei­gen«) aus­drücken. Hin­zu kom­men per­spek­ti­vi­sche Tisch- bezie­hungs­wei­se Stuhl­leh­nen-Dar­stel­lun­gen, die vom Farb­auf­trag betont einen Schwung auf­wei­sen, den Schlem­mer selbst als »barock« emp­fand. Dazu die Abschnit­te »Wand­ge­stal­tung« und »Rück­blicke und Reflek­tio­nen« mit Fen­ster-Bil­dern und Still­le­ben (»Apa­thie«) voll Melan­cho­lie als die Faschi­sten Schlem­mers Kunst als ent­ar­tet gei­ßel­ten und Wer­ke zerstörten.

Oskar Schlem­mer war ein Maler, der neben Paul Klee und vor Was­si­ly Kan­din­sky ans Bau­haus beru­fen wur­de. Das Ange­bot von Wal­ter Gro­pi­us traf Schlem­mer, als er bei den Büh­nen­bild- und Kostüm­ent­wür­fen für die Urauf­füh­rung der Oper von Paul Hin­de­mith und Oskar Kokosch­kas »Mör­der, Hoff­nung der Frau­en« am Stutt­gar­ter Lan­des­thea­ter war. Eine Film­se­quenz zeigt Oskar Schlem­mer als Drit­ten, neben dem Tän­zer­paar Albert Bur­ger mit Elsa Höt­zel, im Tria­di­schen Bal­lett, eine Drei­heit von Tanz, Bil­den­der Kunst und Musik, zu dem Schlem­mer zehn Figu­ri­nen schuf. Nach Eber­hard Rot­ers war »Schlem­mers thea­tra­li­sche Sen­dung sei­ne bedeu­tend­ste Lei­stung für das Bau­haus«; er wur­de »Mei­ster der Form«, erst für Stein­bild­haue­rei, und dann über­nahm er die Büh­nen­werk­statt. Damit trug er zu Gro­pi­us‘ Vor­stel­lung bei, am Bau­haus sich dem Ide­al vom Gesamt­kunst­werk zu stel­len. Obwohl Gro­pi­us dar­un­ter einen Bau der Zukunft ver­stan­den hat, geht die Idee auch auf die mit­tel­al­ter­li­che Bau­hüt­te und die roman­ti­sche Vor­stel­lung von ihr und dem Meta­phy­si­schen zurück. Schlem­mer, der zwi­schen Kunst und Tech­nik kei­nen grund­sätz­li­chen Bruch sah, ent­sprach voll der Bau­haus-Idee, die er 1922 im end­gül­ti­gen Bau­haus-Signet fass­te. Schlem­mer schuf auf einer ande­ren künst­le­ri­schen Ebe­ne schöp­fe­ri­scher Voll­kom­men­heit Mario­net­ten­fi­gu­ren und ent­wickel­te im erha­be­nen Modus das gra­ziö­se Bild vom Men­schen, der im Zen­trum eines ima­gi­nä­ren Rau­mes steht, wel­cher durch die Bewe­gung und Aus­strah­lung des Men­schen, der sich im Gleich­ge­wicht har­mo­ni­scher Bewe­gung befin­det, geschaf­fen wird, wie es bei ihm in »Mensch und Kunst­fi­gur« heißt.

Die auf Grund­for­men redu­zier­ten Kör­per besit­zen Stren­ge und wer­den in enge Raum­zel­len und wei­te­re Raum­per­spek­ti­ven gestellt, dabei spie­len Gelän­der- und Trep­pen­sze­nen auf zwei Ebe­nen eine Rolle.

Der Medi­en­künst­ler Alex­an­der Klu­ge (87) beschenk­te die Aus­stel­lung mit einer mul­ti­me­dia­len Bau­haus-Hom­mage. Sie erfährt im eige­nen Raum eine Wei­ter­füh­rung von Schü­lern Gothas, die der Bild­hau­er und Maler Kar­sten Kun­ert anlei­tet und deren Kunst­ob­jek­te dort zu sehen sind und mitt­wochs mit neu­en prä­sen­tiert wer­den. Der Erfur­ter Künst­ler lehrt an der Wei­ma­rer Bau­haus-Uni­ver­si­tät die Grund­mo­du­le des klas­si­schen Bau­hau­ses; die begei­ster­ten Stu­den­ten ser­vie­ren ihm ihre neu­ge­won­ne­nen Ein­sich­ten, auf die er wie beim Ping-Pong-Spiel zu reagie­ren hat. Das zeigt Kun­ert in einem Bild in der Aus­stel­lung »Anlass Bau­haus 100«, wo er mit 41 Kol­le­gen vom Ver­band Bil­den­der Künst­ler Thü­rin­gens die krea­ti­ve Bezie­hung zum Bau­haus Ereig­nis wer­den lässt.

»Oskar Schlem­mer. Das Bau­haus und der Weg in die Moder­ne«, bis 28. Juli, Her­zog­li­ches Muse­um Gotha, Schloss­platz 2, täg­lich von 10 bis 17 Uhr. »Anlass Bau­haus«, bis 11. August, Kunst­Fo­rum Gotha, Quer­stra­ße, diens­tags bis sonn­tags von 10 bis 17 Uhr.