Vom Baron Pierre de Coubertin bis zum Gegenwarts-IOC-Präsidenten Thomas Bach erklärten die Komitees der Olympischen Spiele der Neuzeit, Beiträge zum friedlichen Wettbewerb der Völker leisten zu wollen. Das kann man nur ehrlichen Herzens unterstützen. Dass Wunsch und Wirklichkeit oftmals auseinanderklaffen und sich der Leistungssport nicht immer mit den Establishments der Staaten im Einvernehmen befindet, zeigte sich im Vorfeld der Spiele und in der medialen Berichterstattung darüber schon immer deutlich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Die erneute Zuspitzung der Gegensätze zwischen den beiden Hauptlagern der Welt schlägt um den Leistungssport keinen Bogen.
Olympia blieb von den politischen Ereignissen und Rückschlägen in keiner Zeit unberührt. Sie führten im Extremfall zum Ausfall der Spiele in Kriegszeiten. Auf den Missbrauch der Spiele für die politische Nazi-Propaganda zielte Hitlers demagogisches Berliner Olympia-Schauspiel von 1936. Von der blutigen Entgleisung der vorgeblich »heiteren« Münchener Spiele von 1972 über den Doppel-Boykott Olympias in den 1980er Jahren führten die Umwege bis zu den gegenwärtigen Eskapaden um die Pekinger Spiele, noch dazu flankiert von der weltweiten Pandemie und den damit verbundenen unkalkulierbaren Ausfällen von Wettkämpfern und Leistungssportvergleichen.
Die Süddeutsche Zeitung am Wochenende vom 5./6. Februar (Nr. 29) brachte die Sache auf den Punkt, stellte unter der Beitragsüberschrift »Chinas Spiele« die Frage: »Kann der Olympische Gedanke Peking 22 überleben?« und forderte von Bundeskanzler Scholz, »endlich Klarheit und Entschlossenheit im Umgang mit Moskau« an den Tag zu legen. Man erwartete offensichtlich von ihm, die Konfrontation gegen das Olympia austragende Land China und seinen nicht nur sportlichen Bündnispartner Russland zu verstärken. Auf der folgenden Seite wurde unter dem literarischen Titel »Das Wintermärchen« erläutert, »wie der chinesische Machtapparat sichert, dass die hermetisch abgetrennte olympische Blase auch nicht die kleinste Leckstelle bekommt«. Jaja, die Menschenrechte …
Das nd – lt. Aufdruck eine sozialistische Tageszeitung – schien sich in der Ausgabe Nr. 30 vom 5./6. Februar noch nicht so recht schlüssig über die Standpunkte zur Verschlungenheit des olympischen Winterstarts in China mit dem Russland-Ukraine-Konflikt zu sein. Die Drohungen der USA und der EU mit Wirtschaftssanktionen, die Folgerungen für den russischen Gaslieferstopp, die Erklärungen Russlands und Chinas über den »Geist der strategischen Partnerschaft«, das Gerangel um gegenseitige Sendeverbote Russlands und der BRD und daraus folgende Akkreditierungsentzüge sowie behauptete oder vermutete russische Truppenbewegungen in Grenznähe bleiben durch eine verschwommene Berichterstattung schwer überschaubar.
Auch die Berliner Zeitung vom 7. Februar unterschied sich kaum von anderen undifferenzierten Aussagen. »Aufrüstung auf beiden Seiten – Russland und der Westen verstärken militärische Kräfte« titelte die Tageszeitung auf S. 4. Unentschlossenheit und Unsicherheit charakterisierten die Mehrzahl der diesbezüglichen Pressebeiträge. Sie fragten auch nach den Positionen des neuen Bundeskanzlers, der zum ersten Mal nach seiner Vereidigung seine Zurückhaltung überwinden musste. Da bleibt nur zu hoffen, dass Putin und Macron zu ganzheitlichen und gangbaren Lösungswegen finden.
Schon am Vortag zog sich der Berliner Kurier aus der Debatte zurück, indem er offensichtlich schmackhaftere oder spannendere Themen aufgriff. »Pikant, süß und als Auflauf: Rezepte mit köstlichen Kartoffeln« (Titelseite) oder »Die fünf denkwürdigsten Momente des Dschungelcamps« (S. 10) oder »Ist Fingerknacken eigentlich schädlich?« (S. 37) kamen offensichtlich dem Informationsdrang der Leser mehr entgegen als die Frage, ob und wie einem drohenden Kriegsausbruch erneut die Stirn geboten werden kann. Die Mitteilung vom 08. Februar »Annalena Baerbock geht Krieg gucken« vermittelte dabei eher den Eindruck von Naivität als von Sachkunde. Daran konnte auch ihre attraktive ministerielle Ausrüstung mit Helm und Schutzweste wenig ändern.
Die Berliner Morgenpost überschrieb ihren Leitartikel vom 7. Februar mit der Feststellung »Etappensieg für Putin« und betonte: »Konfus und gespalten – der Westen gibt in der Ukraine-Krise kein gutes Bild ab«. Der ukrainische Präsident ist genervt, hieß es auf S. 2 weiter, weil die Amerikaner »einen Krieg herbeireden«. Dazu passte gut, dass die Nachrichtenagentur Bloomberg bereits die Falschmeldung verkündet hatte, Russland sei in die Ukraine einmarschiert. Die entsprechende Schlagzeile war eine halbe Stunde lang auf der Homepage zu sehen. Es wäre ja nicht neu, dass die USA einen Krieg auch durch abenteuerliche Erfindungen vorbereiten.
»Der Frieden in Europa steht auf dem Spiel«, erklärte die grüne BRD-Außenministerin Baerbock lt. Morgenpost vom 8. Februar in Kiew, sicherte der Ukraine Solidarität zu und versprach, alles zu tun, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommt. Ich bin mir nicht sicher, ob damit auch ein realisierbares Programm verbunden sein wird. »Tut Deutschland zu wenig gegen Russlands Aggression?«, fragte dieselbe Ausgabe der Berliner Morgenpost ihre Leser und ihren Kanzler. Da würde mich allerdings erst einmal interessieren, welche aktuellen russischen Aggressionen wann und wo im olympischen Umfeld stattgefunden haben und in welchen Presseverlautbarungen ich und weitere Normalbürger darüber weiterführende konkrete Informationen nachlesen können.
Ich stimme der Einschätzung zu, die Chefredakteur Stefan Kobus im Editorial Nr. 7 der SUPERillu vom 10. Februar trifft: »Bei den Spielen in Peking tritt der Sport mal wieder in den Hintergrund. Die vielen ablehnenden Reaktionen auf Olympia im Reich der Mitte und den politischen Boykott der Eröffnungszeremonie finde ich verlogen. (…) Wenn ich mit den Zuständen im Gastgeberland nicht einverstanden bin, dann bleibe ich konsequenterweise zu Hause. (…) Wenn es um das große Geschäft geht, dann sieht die Politik gerne darüber hinweg. Für 206 Milliarden (!) Euro haben wir 2019 mit den Chinesen Handel betrieben. Da spielen dann Menschenrechtsverfehlungen offenbar keine so große Rolle mehr.«