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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Nur noch Utopien sind realistisch

»Uto­pien sind die Kraft­quel­len jeder Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung. Sie ent­sprin­gen der Empö­rung über uner­träg­li­che Zustän­de und öff­nen den Blick auf ein gerech­tes Gemein­we­sen. In ihnen ist die Hoff­nung auf Ver­än­de­rung ange­legt. Doch die kann nur gelin­gen, wenn auf­ge­klär­tes Den­ken, wenn poli­ti­sche Urteils­kraft zum Zuge kommt.« (Oskar Negt)

1516 ent­warf der Eng­län­der Tho­mas Morus in sei­nem Buch »Uto­pia« das Bild eines idea­len Staats­we­sens. Morus glie­der­te sein »Uto­pia« – vom alt­grie­chi­schen »Nicht­ort« oder »Nir­gend­wo« – in zwei Tei­le. Im ersten Teil schil­dert er die Begeg­nung mit einem por­tu­gie­si­schen Welt­rei­sen­den, der ihm von frem­den Län­dern erzählt, aber zuvor schar­fe Kri­tik an den Ver­hält­nis­sen in Eng­land übt. Für unge­recht und unsin­nig hält die­ser es bei­spiels­wei­se, dass allent­hal­ben Die­be zum Tode ver­ur­teilt und gehängt wer­den. Sie wür­den doch nur aus bit­te­rer Not steh­len, ver­tei­digt sie der Por­tu­gie­se, wäh­rend die Adli­gen »müßig wie die Droh­nen von ande­rer Leu­te Arbeit leben« und ihre Päch­ter »bis aufs Blut schin­den«. Die hef­ti­ge Sozi­al­kri­tik, die Morus sei­nem Gast in den Mund legt, gip­felt in den Wor­ten: »Wo es noch Pri­vat­be­sitz gibt, wo alle Men­schen alle Wer­te am Maß­stab des Gel­des mes­sen, da wird es kaum jemals mög­lich sein, eine gerech­te und glück­li­che Poli­tik zu treiben.«

Wie aber muss ein gerech­tes Staats­we­sen beschaf­fen sein? Wel­che Sit­ten und Geset­ze zeich­nen eine fried­li­che, mensch­li­che Gesell­schaft aus? Wie lässt es sich ohne Geld und Pri­vat­be­sitz wirt­schaf­ten? Der Gast ant­wor­tet dar­auf mit einem Bericht über den fik­ti­ven Insel-Staat Uto­pia. Auf Uto­pia fin­den sich 54 Städ­te, »alle geräu­mig und präch­tig, in Spra­che, Sit­ten, Ein­rich­tun­gen, Geset­zen genau über­ein­stim­mend«. Die Gesell­schaft Uto­pi­as ist ega­li­tär. Geges­sen wird zusam­men in Gemein­schafts­häu­sern. Das Geld ist prak­tisch abge­schafft, die Güter wer­den nach Bedarf ver­teilt. Streit gibt es nicht, da mehr pro­du­ziert wird, als ver­braucht wer­den kann. Die Ursa­che für den Über­schuss: In Uto­pia gibt es kei­ne unpro­duk­ti­ve, para­si­tä­re Klas­se von Adli­gen, oder hohen Geistlichen.

Tho­mas Morus, im Haupt­be­ruf Diplo­mat, hat ohne Fra­ge Ideen ent­wickelt, die für sei­ne Zeit revo­lu­tio­när waren: die Abschaf­fung des Pri­vat­ei­gen­tums, glei­cher Wohl­stand für alle, reli­giö­se Tole­ranz, all­ge­mei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung, Kul­tur von Kin­des­bei­nen an. Doch sein Uto­pia ist auch die Höl­le, es herrscht rigi­der Zwang. Wer rei­sen will, braucht bei­spiels­wei­se eine Geneh­mi­gung. Wer ohne eine sol­che unter­wegs ist, wird aus­ge­peitscht. Ehe­bruch wird mit Skla­ve­rei bestraft, im Wie­der­ho­lungs­fal­le mit dem Tode. Der Staat regu­liert auch den indi­vi­du­el­len Tages­ab­lauf, das Kul­tur­pro­gramm ist vor­ge­schrie­ben, die Frei­heit des Ein­zel­nen stark eingeschränkt.

Kei­ne Gleich­heit also ohne Kon­trol­le und Unter­drückung? Und umge­kehrt: Kei­ne »Frei­heit« ohne Peitschen?

Die Geschich­te hat uns gelehrt, dass vie­le Uto­pien, aus wel­chem Stoff sie auch geschnei­dert waren, im Gei­ste­ster­ror ende­ten, auf dem Scha­fott oder unter der Guil­lo­ti­ne – im Gulag oder in Baut­zen.. Das ursprüng­lich Gute oder gut Gemein­te ver­kehr­te sich in sein Gegen­teil. Der Idea­lis­mus trägt immer ein Stück Ter­ror in sich. Wer das Gute nicht will, muss dazu gezwun­gen wer­den – und koste es sein Leben. Der Uto­pist wird für die Ver­tei­di­gung der idea­len Gesell­schaft zum Dik­ta­tor, des­sen Ideen schließ­lich mit Gewalt durch­ge­setzt wer­den – wider die Natur des schwa­chen oder eigen­sin­ni­gen oder von einer ande­ren Uto­pie träu­men­den Unter­ta­nen. All­ge­mei­ne Tugend lässt sich nur durch eine Ver­bots­kul­tur errei­chen, durch die bra­chia­le Erzie­hung zum Guten, Wah­ren und Schönen.

Oder gibt es einen ande­ren Weg? Wer eine bes­se­re Zukunft ent­wirft, eine Welt ohne Gewalt und sozia­le Unge­rech­tig­keit, ohne Aus­beu­tung und Natur­zer­stö­rung. ohne Gier und Gleich­gül­tig­keit, ist nicht ein­fach ein Träu­mer. Indem wir uns ein bes­se­res Mor­gen aus­ma­len, erken­nen wir die Feh­ler, die Sün­den der Gegen­wart. Wir brau­chen Uto­pien, wir brau­chen Träu­me, wir brau­chen die Empö­rung über die Dis­kre­panz zwi­schen dem Wirk­li­chen und dem Möglichen.

Doch die uto­pi­schen Ideen schei­nen uns aus­zu­ge­hen. Viel­leicht weil wir umringt sind von Gegen­wart, unent­wegt kon­fron­tiert mit schlech­ten Nach­rich­ten, die wir, schon wegen ihrer Fül­le, nicht mehr ver­ar­bei­ten und beur­tei­len kön­nen. Tief­schür­fen­de Fra­gen nach Hin­ter­grün­den und die syste­ma­ti­sche Erklä­rung von Zusam­men­hän­gen feh­len – in den sozia­len Medi­en sowie­so, aber auch in den öffent­lich-recht­li­chen Radio- oder Fern­seh­sen­dern. Statt einer klu­gen System­kri­tik und der Dar­stel­lung von Macht- und Inter­es­sens­ver­hält­nis­sen muss sofort wie­der eine neue Schlag­zei­le her, muss immer schon die näch­ste Sen­sa­ti­ons-Sau durchs Dorf getrie­ben wer­den: Schlag­zei­len statt Erzäh­lun­gen, Quo­te statt Inhalt. Spie­le statt Brot. Dazu die hyste­ri­sche Pro­pa­gan­da der herr­schen­den Mit­te. Jour­na­li­sten als Erfül­lungs­ge­hil­fen und media­le Scharf­rich­tet der Regie­rung und des Zeitgeistes.

Für das Nach­den­ken gibt es kei­ne Vor­bil­der und kei­ne Zeit. Übri­gens auch nicht unter den Jun­gen. Für Ana­ly­se und Wider­stand, für neue Kon­zep­te und Lösun­gen, für das Erträu­men von Uto­pien, die uns in Bewe­gung brin­gen, brau­chen wir Ruhe und Klar­heit, Kon­zen­tra­ti­on und gelas­se­nen Mut.

Doch über unse­ren Sehn­süch­ten liegt der graue Schlei­er der dif­fu­sen Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft; unse­re Hoff­nun­gen wer­den zer­fres­sen von der Angst vor irgend­wel­chen Schrecken, die man uns ein­ge­re­det hat, damit wir auch das näch­ste Sicher­heits- und Über­wa­chungs­pa­ket für unum­gäng­lich hal­ten; unse­re Gedan­ken wer­den über­tönt vom Getö­se und Geflim­mer der moder­nen Ver­gnü­gun­gen, in die wir vor der Kom­ple­xi­tät der drän­gen­den Fra­gen und vor dem anstren­gen­den Nach­den­ken flüchten.

Heu­te, ein hal­bes Jahr­tau­send nach Tho­mas Morus, kreist der Zukunfts­dis­kurs vor allem um tech­no­lo­gi­sche Pro­jek­te, um künst­li­che Intel­li­genz oder um syn­the­ti­sche Bio­lo­gie. Der Code des Lebens soll sich ein­mal redi­gie­ren las­sen, als wäre er ein Word-Dokument.

Die ein­zi­ge mäch­ti­ge Uto­pie ist die Digi­ta­li­sie­rung, mit deren Hil­fe angeb­lich alle Pro­ble­me gelöst wer­den kön­nen. Eine voll­au­to­ma­ti­sche Zukunft mit intel­li­gen­ten Zahn­bür­sten, lächeln­den Pfle­ge­ro­bo­ter oder selbst­fah­ren­den Autos, mit Droh­nen zu Was­ser und in der Luft, die nach immer neu­en Res­sour­cen suchen und Fein­den suchen, mit smar­ter Land­wirt­schaft, mit smar­ten Häu­sern und ihrer Ver­net­zung von Haus­tech­nik und Haus­halts­ge­rä­ten, mit der stän­di­gen Über­wa­chung von öffent­li­chen Plät­zen und unse­rem all­täg­li­chen Verhalten.

Ist Zukunft heu­te noch ein uto­pi­scher Ort oder nur noch eine Hoch­rech­nung der Gegen­wart durch künst­li­che Intelligenz?

Viel­leicht ist die Men­ge an mög­li­chen uto­pi­schen Ideen end­lich. Ideen für eine bes­se­re Welt müs­sen zwangs­läu­fig um das­sel­be The­ma krei­sen: Um die Begren­zung oder gar Abschaf­fung des Eigen­tums. Die Art und Wei­se, wie das Recht auf Eigen­tum gere­gelt und aus­ge­übt wird, war und ist für die schlimm­sten Übel der Zivi­li­sa­ti­on ver­ant­wort­lich. Wer einen uto­pi­schen Ent­wurf wagt, kommt an die­ser Fra­ge nicht vor­bei. Ent­eig­nung! Umver­tei­lung! Aber wie? Wie vie­le Unter­schie­de dür­fen blei­ben, wie vie­le Unter­schie­de müs­sen blei­ben? Der real prak­ti­zier­te Sozia­lis­mus, der übrig geblie­be­ne Kapi­ta­lis­mus, die einst so kusche­lig ver­spro­che­ne sozia­le Markt­wirt­schaft – bei der Beur­tei­lung von Frei­heit, Soli­da­ri­tät und Gerech­tig­keit: alle­samt geschei­tert. Schon, weil es kei­ne Eini­gung dar­über gibt, was genau Frei­heit, was genau Soli­da­ri­tät, was genau Gerech­tig­keit ist. Ist die ein­zig mög­li­che Uto­pie viel­leicht eine lan­ge Liste von Min­dest­for­de­run­gen? Zum Bei­spiel: Der Wert einer Arbeit muss neu gewür­digt und anders bezahlt wer­den: mehr Geld und gute Woh­nun­gen für die pfle­gen­den, sor­gen­den Beru­fe – und ein Ver­bot der Mil­lio­nen­ab­fin­dun­gen für Ban­ker oder der Zig-Mil­lio­nen-Ablö­se­sum­men für Fuß­bal­ler. Das Geld ist im kaputt gespar­ten Gesund­heits­we­sen, in der Alten­pfle­ge oder in Schu­len sinn­vol­ler ange­legt. Oder: kei­ne Waf­fen­lie­fe­run­gen mehr; das Recht auf ein ana­lo­ges Leben; Respekt für Querdenker.

In Chi­na wird – als sozia­le Uto­pie bewor­ben – ein digi­ta­les Punk­te­sy­stem ange­wandt. Das Werk­zeug der Regie­ren­den soll zur Bekämp­fung von Vet­tern­wirt­schaft, ille­ga­len Geschäf­ten und Betrü­gern die­nen. Und zur Erzie­hung der Bür­ger. Zwangs­über­wacht von ihrem Smart­phone erhal­ten sie Punk­te für anstän­di­ges Ver­hal­ten: Brem­sen am Zebra­strei­fen, Besuch bei den alten Eltern, Kauf von gesun­der Nah­rung, kor­rek­te Müll­ent­sor­gung, regel­mä­ßig ein net­tes Wort für die Regie­ren­den in den sozia­len Medi­en… Punkt­ab­zü­ge gibt es für das ver­spä­te­te Zah­len von Rech­nun­gen, für Ver­kehrs­de­lik­te, ver­pass­te Besu­che bei den alten Eltern, unlieb­sa­me poli­ti­sche Äuße­run­gen. Unter dem Schlag­wort »Sozia­les Boni­täts­sy­stem« wer­den die pri­va­te­sten Daten der Bür­ger aus­ge­forscht und gesam­melt. Wer sich gut ver­hält, gilt als »Ver­trau­ens­wür­di­ger«, wer sich nach Mei­nung des Staa­tes nicht gut ver­hält, ist ein »Ver­trau­ens­bre­cher« und wird bestraft. »Ver­trau­ens­ver­bre­cher« dür­fen zum Bei­spiel nicht flie­gen oder bekom­men kein Ticket für einen Zug. Der Zugang zu Uni­ver­si­tä­ten oder staat­li­chen Arbeits­plät­zen kann abge­lehnt wer­den, die Gewäh­rung von Kre­di­ten oder der Abschluss von Ver­si­che­run­gen wird erschwert. Ein sat­tes Punk­te­kon­to dage­gen erleich­tert das Leben – beim Aus­bil­dungs­platz für die Kin­der, bei der Woh­nungs­su­che, bei den Kre­dit­zin­sen. So soll der bes­se­re Mensch für eine bes­se­re Gesell­schaft geschaf­fen wer­den. Wovon doch schließ­lich alle profitieren.

Sie glau­ben, dass es bei uns nicht so weit kom­men wird?

Schon jetzt ist es All­tag, die eige­nen Gesund­heits­da­ten über eine Han­dy-App zu ver­wal­ten; mit einem Fit­ness Tracker Lauf­strecken, Ener­gie­um­satz oder Schlaf­qua­li­tät auf­zu­zeich­nen und gegen Bei­trags­nach­läs­se an die Kran­ken­ver­si­che­rung zu sen­den; unse­re Arzt­ter­mi­ne mit Doc­to­lib zu buchen; uns von den Kame­ras in Fern­se­hern und Com­pu­tern beob­ach­ten zu las­sen; unse­re Auf­ent­halts­or­te über Goog­le jeder­zeit öffent­lich zu machen; Online-Ban­king zu betrei­ben oder mit dem Han­dy kon­takt­los zu bezah­len; mit Hil­fe von Fin­ger­ab­druck, Gesichts­er­ken­nung oder Iris-Scan­ner unser Smart­phone zu ent­si­chern; Payback-Punk­te zu sam­meln zur Erfas­sung unse­res Kauf­ver­hal­tens; für die Nut­zung einer App unser Alter, unse­re Mail­adres­se und unse­ren Wohn­ort anzu­ge­ben. Oder online zu shop­pen und dabei für jeden Inter­es­sier­ten unse­re per­sön­li­che Ein­kaufs­li­ste zu erstel­len. Wir geben das Pri­va­te frei­wil­lig preis. Ein Traum für Staats­schüt­zer, ein Traum für die Kon­zer­ne, die mit unse­ren Daten Mil­lio­nen ver­die­nen. Und wir stim­men stän­dig für mehr: Noch mehr Kame­ras im öffent­li­chen Raum, noch mehr Droh­nen, noch mehr digi­ta­le Ver­net­zung mit den Behör­den. Damit nie­mand mehr aus der Rei­he tanzt.

Wir füh­len uns nicht über­wacht, nicht in unse­rer Frei­heit beschränkt. Die »schö­ne neue Netz- und Kon­sum­welt« scheint uns nicht bedroh­lich, son­dern attrak­tiv und praktisch.

Wisch-Han­dy, Goog­le-Suche, One-Click-Shop­ping – das Ein­fa­che gewinnt. Das Bewusst­sein für die zuneh­men­de Über­wa­chung und die Ein­schrän­kung unse­rer per­sön­li­chen Frei­heit ist äußerst gering. Wir haben doch nichts zu ver­ber­gen. Und die Über­wa­chungs­ka­me­ras schüt­zen uns doch vor Kri­mi­nel­len! Bis wir selbst erwischt wer­den. Bei klei­nen All­tags­sün­den oder bei der fal­schen Mei­nung. Ich jeden­falls habe grund­sätz­lich viel zu ver­ber­gen. Vor dem Staat, vor mei­nen Chefs, vor den Kon­zer­nen, vor mei­ner nach­bar­li­chen Umge­bung. Denn Pri­vat­sphä­re, die Mög­lich­keit, unge­se­hen und unge­hört zu blei­ben, ist ein Wesens­kern von Demo­kra­tie und Freiheit.

Ich befürch­te, dass die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie – eh schwer beschä­digt durch sozia­le Ungleich­heit, Mili­ta­ri­sie­rung und Krie­ge, die grün-links gewoll­te Ablö­sung der Klas­sen­fra­ge durch Iden­ti­täts­po­li­tik – kei­ne »Brand­mau­er« gegen die her­auf­däm­mern­de digi­ta­le Dik­ta­tur auf­bau­en kann und will. Denn wer die Digi­ta­li­sie­rung nicht für ein Heils­ver­spre­chen hält, gilt nicht mehr als zurech­nungs­fä­hi­ger Gesprächs­part­ner. Ich bin mir auch nicht sicher, wie hier bei uns ein Volks­ent­scheid über ein Punk­te­sy­stem nach chi­ne­si­schem Vor­bild aus­ge­hen wür­de. Schon jetzt wer­den von SPD und Grü­nen mit viel Geld Denun­zia­ti­ons­por­ta­le finanziert.

Und die lin­ke Rosa-Luxem­burg-Stif­tung hat das chi­ne­si­sche Punk­te­sy­stem vor zwei Jah­ren als durch­aus inno­va­tiv beurteilt.

Trotz aller noch nicht ver­heil­ten Wun­den durch die tota­li­tä­ren Syste­me des 20. Jahr­hun­derts – wir las­sen uns in das näch­ste tota­li­tä­re System ver­füh­ren. Es sieht ja auch ganz anders aus als die unter­ge­gan­ge­nen Dik­ta­tu­ren, es flim­mert betö­rend blau und ist vol­ler Kon­sum- und Ablen­kungs­ver­spre­chen, es behaup­tet die indi­vi­du­el­le Frei­heit durch jeden Klick, obwohl wir an mani­pu­la­ti­ven Nasen­rin­gen im Kreis durch die digi­ta­le Mane­ge geführt wer­den, es lullt uns ein mit Spie­len, Seri­en und App-gesteu­er­tem Spaß. Dahin­ter ver­birgt sich unsicht­bar die moder­ne, KI-gesteu­er­te Staats­si­cher­heit. So erfüllt sich (allein) die Uto­pie der gut ver­netz­ten Macht- und Pro­fit­gie­ri­gen in Kon­zer­nen und Regie­run­gen. Doch wir, Sie und ich, sind kei­ne Opfer. Wir sind Täter. Ohne Kol­la­bo­ra­teu­re und Mit­läu­fer gäbe es kei­nen Tota­li­ta­ris­mus. Und immer und über­all schei­nen genü­gend Kol­la­bo­ra­teu­re und Mit­läu­fer vor­han­den zu sein, um den Tota­li­ta­ris­mus mög­lich zu machen.

Wenn man sie fragt, behaup­ten die Men­schen, dass sie frei sein möch­ten. Frei­heit ist etwas Schö­nes, etwas Erstre­bens­wer­tes, solan­ge man sie nicht hat und sie nur haben will. Doch sind wir frei, suchen wir schon nach der näch­sten Unfrei­heit. Not­falls behaup­ten wir ein­fach, nicht frei zu sein. Unter irgend­wel­chen Zwän­gen zu ste­hen. Denn frei zu sein, bedeu­tet mora­li­sche Ver­ant­wor­tung, Vor der wir uns ger­ne drücken, Die wir ger­ne denen da oben zuschie­ben, den Poli­ti­kern, den Chefs, der Par­tei, den Akti­en­kon­zer­nen. Zuge­ge­ben, das ist nicht falsch. Die Poli­ti­ker, die Par­tei, die Vor­stän­de der DAX-Unter­neh­men haben eben­falls eine mora­li­sche Ver­ant­wor­tung. Sie kön­nen ent­schei­den, ob sie für die Gemein­schaft oder nur für den eige­nen Nut­zen arbei­ten – und sie haben mehr Macht. Eine Macht­fül­le, die aber wir ihnen gege­ben haben. Wir kön­nen ent­schei­den, sie ihnen wie­der zu neh­men. Sie nicht mehr wäh­len, auf die Stra­ße gehen, eige­ne Par­tei­en grün­den, den Kon­sum ver­wei­gern, den Fern­se­her erst wie­der ein­schal­ten, wenn sich die Jour­na­li­sten dar­an erin­nern, was ihre Auf­ga­be für die Demo­kra­tie ist: Auf­klä­ren, auch dar­über, wer von was wie pro­fi­tiert, das System mit Fra­gen kon­fron­tie­ren, nicht lau­fend den Mäch­ti­gen eine Büh­ne geben, son­dern den Schwa­chen; Geschich­ten erzäh­len, die uns ein­an­der näher brin­gen. Aber dann müs­sen wir auch zuhö­ren und hin­schau­en – und nicht nur eine Serie nach der ande­ren konsumieren.

Wir ent­schei­den, ob wir die Demo­kra­tie wie­der leben­dig machen. Und der Markt­wirt­schaft das Sozia­le hin­zu­fü­gen: Die gemein­sa­me Blocka­de von sinn­lo­sen Bau­stel­len, in denen Mil­lio­nen von Steu­er­gel­dern ver­senkt wer­den; kol­lek­ti­ves Schwarz­fah­ren in der Bun­des­bahn; kol­lek­ti­ves Ver­wei­gern von Miet­zah­lun­gen in jenen frü­he­ren Sozi­al­woh­nun­gen, die der Staat an Immo­bi­li­en­kon­zer­ne ver­scher­belt hat; kol­lek­tiv die schi­ka­nö­sen Sank­ti­ons­brie­fe der Arbeits­agen­tur zer­rei­ßen; solan­ge gene­ral­strei­ken bis die Mil­li­ar­den für sinn­lo­se Pre­sti­ge­ob­jek­te in die Kul­tur und in Sozia­les gesteckt wer­den; gemein­sam die Gren­zen öff­nen für die Schutz­su­chen­den und gemein­sam mit ihnen Häu­ser bau­en in den vie­len schwach besie­del­ten Land­schaf­ten. Und, ja, gemein­sam ins Gefäng­nis gehen für all die­se Rechts­ver­stö­ße. Mil­lio­nen Ver­haf­tun­gen, Mil­lio­nen Gerichts­ver­fah­ren. Was für ein Spaß. Uto­pi­sche Krea­ti­vi­tät. Das Zau­ber­wort ist »kol­lek­tiv«. Denn »ver­ein­te Kraft ist zur Her­bei­füh­rung des Erfol­ges wirk­sa­mer als zer­split­ter­te oder geteil­te«, sag­te einst Mar­tin Luther King.

Wir dür­fen und wir müs­sen wäh­len. Kämp­fen wir gegen­ein­an­der oder miteinander?

Wir brau­chen ein siche­res Zuhau­se für alle Men­schen. Die siche­re Aus­sicht auf Arbeit und Teil­ha­be, auf Nah­rung und Was­ser, auf ein Dach über dem Kopf, auf funk­tio­nie­ren­de Sozi­al­sy­ste­me – und auf Stra­ßen oder Wege, auf denen man spa­zie­ren kann, ohne bedroht zu sein.

Doch die­ses Zuhau­se müss­te noch mehr bie­ten: Kul­tur, Begeg­nun­gen statt Kon­sum; einen gei­sti­gen Raum, in dem wir ler­nen und Wis­sen erwer­ben, nicht nur ori­en­tiert an öko­no­mi­schen Inter­es­sen, son­dern an den heu­te oft so belä­chel­ten huma­ni­sti­schen Idea­len, denen es um die Bil­dung von Wer­ten geht, um die Befä­hi­gung zum Den­ken und die Erzie­hung zu Mit­ge­fühl und poli­ti­schem Enga­ge­ment; einen Raum, in dem wir unse­re Hoff­nun­gen und Sehn­süch­te aus­spre­chen, in dem wir die Begrün­dun­gen und die Ideen für unser gemein­sa­mes Leben auf die­sem Pla­ne­ten fin­den kön­nen – in klei­nen Gemein­schaf­ten, die wir noch über­blicken. Kei­ne Welt­re­gie­rung, kei­ne Super­macht, son­dern Regio­nen. Die Glo­ba­li­sie­rung ist für die Mehr­heit der Men­schen kein Raum, der ihnen Gebor­gen­heit ver­mit­telt, son­dern der ihnen die Mög­lich­keit nimmt, sich als Teil einer (selbst­ge­wähl­ten) Fami­lie zu fühlen.

Aus unse­ren Vor­stel­lun­gen für ein irdi­sches Uto­pia soll­ten wir Erzäh­lun­gen für den All­tag machen. Das, wonach wir uns seh­nen, was wir uns wün­schen, die wich­ti­gen Din­ge, wün­schen sich auch die Ande­ren: Wür­de, ein Aus­kom­men, eine sinn­vol­le Tätig­keit, Freund­schaft… Soli­da­ri­tät ist Mit­ge­fühl mit den Schmer­zen und Nöten der Ande­ren – und die Wei­ter­ga­be des­sen, was wir uns selbst erhof­fen: Respekt. Für unse­re Nach­barn, für Alte, Kran­ke, Flücht­lin­ge. Das kön­nen wir ler­nen, das ist nicht schwer, weil es uns sofort leich­ter macht, glück­li­cher. Was wir geben, bekom­men wir zurück. Wis­sen­schaft und Tech­no­lo­gie haben uns ernüch­tert, machen uns frö­steln. Die digi­ta­le Moder­ni­sie­rung hält unse­re Lebens­welt in kal­ter Abhän­gig­keit. Wir müs­sen sie wie­der ver­zau­bern, mit Erzäh­lun­gen über eine huma­ne­re für­sorg­li­che­re Gesell­schaft. Mit Erzäh­lun­gen, die wir in die Wirk­lich­keit umset­zen wol­len. Erzäh­lun­gen von Nach­bar­schaft, Freund­schaft, Berüh­run­gen. Nähe ist Heimat.

Immer mehr Men­schen suchen nach einer neu­en Heimat.

Hei­mat ist eine der Beschwö­rungs­for­meln im Zeit­al­ter der Glo­ba­li­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung, in dem Mobi­li­tät und rasan­te tech­ni­sche Ver­än­de­run­gen den All­tag von Mil­lio­nen bestim­men. Hei­mat bedeu­tet Zuge­hö­rig­keit, Gemein­schaft und Iden­ti­tät in einer neo­li­be­ra­len unüber­sicht­li­chen Welt. Wer von Hei­mat spricht, lei­det meist unter Heim­weh. Hei­mat wird zum Sehn­suchts­wort, weil sie vie­len bedroht oder ver­lo­ren scheint. Die Erfah­rung von Hei­mat­lo­sig­keit und Hei­mat­ver­lust nimmt zu. Wenn in den länd­li­chen Regio­nen auf ein­mal kei­ne Land­ärz­te mehr zu fin­den sind, wenn Bahn­ver­bin­dun­gen ein­ge­stellt wer­den, Tan­te-Emma-Läden und Wirts­häu­ser schlie­ßen und die Men­schen in die Städ­te abwan­dern, wenn Dorf- und Klein­stadt­ker­ne ver­öden. Die Sehn­sucht gilt einer Zeit, in der die Gemein­schaf­ten noch intakt schie­nen, die sozia­len Bezie­hun­gen leben­dig – Hei­mat als ver­lo­re­ne Uto­pie in einer durch­ra­tio­na­li­sier­ten Welt, die Hand­ar­beit ver­nich­tet und einen Struk­tur­wan­del bedingt, der die Men­schen aus ihren gewach­se­nen Lebens­wel­ten ver­treibt und zu einer Mobi­li­tät und Fle­xi­bi­li­tät zwingt, für die sie sich nicht frei­wil­lig ent­schie­den hätten.

Hei­mat­ver­lust kön­nen aber auch Groß­stadt­be­woh­ner erfah­ren, die zuse­hen müs­sen, wie gewach­se­ne Vier­tel gen­tri­fi­ziert wer­den, die Mie­ten ins Uner­schwing­li­che stei­gen, Betrie­be zuma­chen, ver­trau­te Nach­bar­schaf­ten sich auflösen.

So vie­le Men­schen haben Angst. Sie suchen nach Reso­nanz, Gemein­schaft, Zuge­hö­rig­keit, Bestä­ti­gung, fin­den sie aber immer weni­ger in der moder­nen Welt, wenn wirt­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen, kul­tu­rel­le Umbrü­che und ein schnel­ler Wer­te­wan­del ver­trau­te Lebens­for­men ver­nich­ten und außer Kurs set­zen. Wenn die letz­te Zeche im Ruhr­ge­biet schließt oder eine bestimm­te Form der Indu­strie­ar­beit nicht mehr gebraucht wird, weil sie in ande­ren Län­dern bil­li­ger gemacht oder durch Robo­ter ersetzt wird. Wenn Fischer vom Fisch­fang nicht mehr leben kön­nen, weil ihre Fang­quo­ten es nicht erlau­ben oder die Mee­re über­fischt sind. Wenn Bau­ern mit der Land­wirt­schaft nicht mehr genug ver­die­nen, weil sie auf dem Welt­markt nicht kon­kur­rie­ren kön­nen. Wenn klei­ne Geschäf­te dem gro­ßen Online-Han­del zum Opfer fal­len. Wenn um die Ecke Kul­tur­ein­rich­tun­gen schlie­ßen, weil das Geld in teu­re Pre­sti­ge­ob­jek­te fließt.

Hei­mat­los füh­len sich viel­leicht auch die Zuge­zo­ge­nen, die ihrem Geburts­ort, ihrer ange­stamm­ten Kul­tur, ihrem Her­kunfts­land den Rücken kehr­ten, um in einem ande­ren Land ein bes­se­res Leben zu fin­den. Die Arbeits­su­chen­den aus Ost­eu­ro­pa, die Flücht­lin­ge vor Armut, Krieg oder Unfrei­heit. Ihre Hei­mat ist zer­stört, oder ihr Her­kunfts­land war ihnen nie Hei­mat, weil sie dort Not und Elend, Ver­fol­gung oder Lebens­ge­fahr erleb­ten. Hei­mat kön­nen sie nur als zwei­te Hei­mat fin­den, im Sinn des Fil­me­ma­chers Edgar Reitz: als Hei­mat, der man nicht natur­wüch­sig ange­hört, son­dern die man sich selbst schaf­fen muss. Eine sol­che zwei­te Hei­mat im Ankunfts­land bedeu­tet für die Migran­ten vor allem eine Exi­stenz in recht­li­cher Sicher­heit, Frie­den und wirt­schaft­li­chem Über­le­ben. Doch an den Gren­zen in die erhoff­te neue Hei­mat tref­fen sie immer häu­fi­ger auf Abwehr­re­fle­xe und Res­sen­ti­ments der ande­ren, die sich von den Neu­an­kömm­lin­gen bedroht sehen und glau­ben, ihre Hei­mat gegen die Frem­den ver­tei­di­gen zu müs­sen. Weil sie fürch­ten, dass die­se ihnen etwas weg­neh­men, mate­ri­el­le Res­sour­cen, aber auch exi­sten­ti­el­le Gewiss­hei­ten. Hei­mat wird für sie zum poli­ti­schen Kampf­be­griff, die Sehn­sucht nach Hei­mat wird in rechts­na­tio­na­ler, popu­li­sti­scher Wei­se miss­braucht und der Hei­mat­be­griff dient als Keu­le und Deck­wort für Aus­län­der­hass, Frem­den­feind­lich­keit und die »Angst vor den Ande­ren«, wie es der Sozio­lo­ge Zyg­munt Bau­man nann­te. Der Sozio­lo­ge Heinz Bude spricht von einer »Gesell­schaft der Angst«, in der sich das »Miss­trau­en gegen die Halt­lo­sig­keit der Welt« aus­drücke. Der Rück­zug ins Natio­na­le gilt vie­len Men­schen plötz­lich als All­heil­mit­tel gegen die Zumu­tun­gen der moder­nen Welt; sie ima­gi­nie­ren Schlag­bäu­me und Grenz­mau­ern als Schutz gegen das Gefühl der Bedro­hung. Hei­mat als Aus­druck von Frem­den­feind­lich­keit und Nationalismus.

In einer so immer wei­ter auf­ge­la­de­nen Welt wer­den am Ende Men­schen zurück ins Mit­tel­meer gewor­fen oder an Grenz­zäu­nen erschos­sen. In die­ser Welt gibt es kei­ne Hoff­nung. Hier gilt nur das Gesetz vom Recht und Über­le­ben des Stär­ke­ren. In die­ser Welt lohnt es sich nicht, ver­nünf­tig und selbst­los zu han­deln. Man ver­drängt sein Gewis­sen lie­ber. Weil man kein Ver­trau­en in die ande­ren Han­deln­den hat, erklärt man das Prin­zip, dem­nach der Mensch dem Men­schen ein Wolf ist, zum Natur­ge­setz. Und glaubt schließ­lich selbst an die­ses Naturgesetz.

Auf die Ver­un­si­che­rung der Lebens­ver­hält­nis­se und den Zorn der Bür­ger reagiert die Poli­tik, indem sie zum Bei­spiel ein Hei­mat­mi­ni­ste­ri­um ein­rich­tet, das voll­mun­dig ver­spricht, Hei­mat zu schaf­fen, aber nur Glas­fa­ser­ka­bel in die Flä­che legt. Poli­tik kann Hei­mat natür­lich nicht anord­nen oder erzwin­gen, aber für eine Infra­struk­tur sor­gen, die Men­schen befä­higt, sich ein Leben ein­zu­rich­ten, in dem sie sich zuhau­se und nicht zu kurz gekom­men füh­len. Wer Häu­ser für Flücht­lin­ge baut, muss auch Häu­ser für die Alt­ein­ge­ses­se­nen bau­en. Denn wer »Frem­de« emp­fan­gen soll, muss sich sicher füh­len. Auch die, die den Zuge­zo­ge­nen Respekt ent­ge­gen­brin­gen sol­len, müs­sen sich respek­tiert füh­len. Wer sich stän­dig von der rot­grü­nen Eli­te ver­ach­tet fühlt, hat kei­ne Kraft mehr für Offenheit.

Wir wer­den ihn nicht schaf­fen kön­nen, DEN gerech­ten Staat, in dem für alle alles gleich ist. Weil das am Ende wie­der nur Dik­ta­tur und Ter­ror bedeu­ten kann. Es gibt nicht DAS uto­pi­sche Lebens- und Orga­ni­sa­ti­ons­mo­dell, in das wir alle Men­schen hin­ein­zwin­gen kön­nen. Wir müs­sen unter­schied­li­che Bedürf­nis­se, Lebens­for­men, Kul­tu­ren, Reli­gio­nen akzep­tie­ren. Frei­heit ist immer die Frei­heit des Anders­den­ken­den. Aber wir müs­sen Macht begren­zen und Wider­stand gegen Unrecht leisten.

Wir könn­ten, statt zu pöbeln und Men­schen zu über­wa­chen, statt zum Putsch auf­zu­ru­fen, statt Angst zu ver­brei­ten und uns bedroh­li­che Nach­rich­ten aus­zu­den­ken, ein­fach ein wenig im Gar­ten arbei­ten. Oder den Nach­barn zum Kaf­fee ein­la­den und viel­leicht sogar zu selbst­ge­backe­nem Kuchen. Wir könn­ten ein­fach mal dar­über nach­den­ken, dass das, was uns gut tut, auch für ande­re Men­schen wich­tig ist. Wir könn­ten den Com­pu­ter aus­schal­ten und Zei­tun­gen kau­fen, auch damit sie nicht alle Plei­te gehen. Wir könn­ten unser Ama­zon-Kon­to löschen und in der Nach­bar­schaft ein­kau­fen. Viel­leicht mit weni­ger Aus­wahl, aber wer braucht schon immer mehr und mehr? Wir könn­ten in den Wald fah­ren und die drei Vögel beob­ach­ten, die wir noch nicht aus­ge­rot­tet haben. Wir könn­ten ein­fach freund­lich zuein­an­der sein. Wir könn­ten vie­le klei­ne Uto­pien wagen, das ist unbe­quem, aber dafür so viel lebendiger.

In Dan­tes Gött­li­cher Komö­die gibt es am ober­sten Rand des Höl­len­trich­ters die weit­läu­fi­ge Vor­höl­le. Hier drän­gen sich die lau­en See­len, die Jam­mern­den ohne wirk­li­che Sor­gen, die Gleich­gül­ti­gen, die Weg­schau­en­den, die Beque­men, die weder der Him­mel noch die Höl­le haben will. Sie vege­tie­ren nur.

Wir soll­ten auf­hö­ren, nur zu vegetieren.

 

Ausgabe 15.16/2024