Demonstration kommt von lateinisch demonstrare: zeigen, hinweisen, nachweisen. Logisch gesehen ist das Verb mysteriös. Wie kann ein Zeichen das, was es zeigt, zugleich nachweisen, sprich beweisen? Wir fragen die Demonstration selbst: Wie machen Sie das? Was ist Ihr Trick?
Du kannst du sagen. Ich bin nichts anderes, als was du bist. Ich bestehe aus Menschen, du auch. Ich bin viele, du auch. Menschen, die mich machen, merken, dass sie nicht allein sind. Menschen, die mich nicht machen, merken das nicht. Sie denken, sie wären Einzelwesen, anders als alle anderen, was in gewisser Hinsicht stimmt, aber in der Hauptsache nicht: Menschen sind gleich. Je weniger die Menschen gleich sind, desto weniger sind sie Menschen. Diese Behauptung muss nicht eingeschränkt werden, da die grundlegende Gleichheit der Menschen das ist, wovor sie einheitlich weglaufen. Die Welt entwickelt sich immer weiter weg von der menschlichen Gleichheit. Und da komme ich ins Spiel.
Die Menschen entwickeln sich immer weiter weg von dem, was sie grundlegend sind. Das macht sie unzufrieden, und Unzufriedenheit will gezeigt werden. Also machen die Menschen mich. Im Kern bin ich immer das Zeichen für Unzufriedenheit. Weil diese aber aus der verfehlten Richtung der Menschheitsentwicklung resultiert, bin ich immer auch ein Zeichen der Umkehr. Halt, Stopp, Leute. Wir gehen in die falsche Richtung. Das kann ich zeigen, indem ich beherzt in die Gegenrichtung gehe und dahin so viele wie möglich mitnehme. So entsteht der Eindruck einer sich besser orientierenden und gleichzeitig zusammenwachsenden Menschheit. So entsteht Freude und Angstlosigkeit, weil sich alle grundlegend respektieren und merken, dass endlich eine bessere Richtung eingeschlagen wurde. Vor Freude schlägt die eine oder der andere dann mal ein Schaufenster ein. Auch Freude will sich ja zeigen.
Hier ist mein Geheimnis: Ich bin, was ich zeige. Ich bin unzufrieden und zeige Unzufriedenheit. Ich bin Mensch unter Menschen und zeige, dass ich das bin. Es ist wie bei der Monstranz, meiner kürzeren Schwester. Sie zeigt das Allerheiligste. Sie ist das Allerheiligste. Wie bei Salomos Tempel: Er war heilig. Er beinhaltete das Heilige. Sein Allerheiligstes beinhaltete einen Schrein. Dieser beinhaltete das Allerheiligste: Gottes Worte.
Kommen wir auf das Richtungsthema zurück. Da herrscht einige Verwirrung. Für die Menschen, die nach Jerusalem zogen, war das Allerheiligste das Ziel. Sie wussten, dass das Leben Bewegung ist und dass die Bewegungen von Menschen eine Richtung haben. Wenn die Menschheit sich nun in die falsche Richtung bewegt, nennen diejenigen, die die falsche Richtung beibehalten wollen, sich konservativ. Es soll bleiben, wie es ist, sagen sie, was nichts anderes heißt als: Es soll in die falsche Richtung weitergehen. Dagegen setzen die Unzufriedenen ihr Zeichen: Nein. Die Richtung und die Welt müssen sich ändern.
Wenn du mich fragst, sollten diejenigen, die mich machen, sich durch ihre Bewegungsform ausdrücken. Wer für das Privateigentum an der Erde und deren rücksichtslose Zerstörung demonstriert, sollte das im Stehen tun. Das haben wir nämlich gerade. Wer für Nationalstolz, rassische Überlegenheit, Führertum oder die Diskriminierung von Frauen, Fremden und Andersdenkenden demonstriert, sollte rückwärtsgehen. Die Dinge hatten wir schon und haben sie glücklich hinter uns. Das Rückwärtsgehen ist übrigens gesund für Menschen, die sich in den immergleichen Bewegungen festgelaufen haben. Professor Gerd Schnack, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivmedizin, empfiehlt, ein Stück des täglichen Wegs rückwärts zu gehen, um den Bewegungsapparat zu lockern. Wer zusammen mit Faschisten und Antisemiten gegen Gesundheitsmaßnahmen demonstriert, sollte einmal in die Luft springen und dabei ein Selfie machen. Unterzeile: »Ich bin der einzige Mensch auf der Welt. Die Fake-Menschen um mich rum wurden in einem virtuellen Fick von Angela Merkel und Bill Gates gezeugt.« Die Demo ist damit schon zu Ende. Mehr Bedeutung ist nicht.
Wer hingegen für die Gleichheit der Menschen in einer prosperierenden, friedlichen und freigiebigen Welt demonstriert, sollte rennen, als ginge es um das eigene Leben. Um das geht es nämlich auch. Für diese Art Unzufriedenheit, für dieses Ziel ist es die allerhöchste Eisenbahn. Polizisten, die solche Demonstrationen »begleiten«, sollten vorneweg oder hintennach mitrennen müssen. Sonst begleiten sie ein Zeichen, das sie mit ihrer Langsamkeit, mit ihren Kesseln, Greiftrupps, Ingewahrsamnahmen nebst Strafanzeigen wegen Abwehr von Polizeigewalt (in den neuen Polizeigesetzen: »Angriff auf Vollzugsbeamte«) zu einem Zeichen ihrer eigenen Starre umgelogen haben.