Die Jahresend-Bilanzen nach dem stürmischen 2022 gehen sicher in die Hunderte … Sollte man hier noch eins draufsetzen? Oder ist ein Rück-Ausblick nur wie Prophetie »aus der Glaskugel«? Andererseits belebt jede Wortmeldung einen Diskurs, beleuchtet Dinge aus anderen Blickwinkeln. Deshalb sei auch dieser Beitrag erlaubt.
Auch vor dem Krieg in Osteuropa gab es ideologische Gräben, politisches Wunschdenken und Arroganz, unterfüttert durch die »passenden« Medien-Auslassungen. Dies ging bis hin zu prognostizierten Angriffsterminen Russlands seitens des »Werte-Westens«. Dann wirkte der 24. Februar wie ein Brandbeschleuniger: Staaten warfen ihre jahrzehntealten Prinzipien des Miteinander über Bord, Kommentatoren überschlugen sich in Kriegsreporter-Manier, sparsame Politiker warfen urplötzlich mit Kriegs-Milliarden um sich. Kam das alles aus dem Nichts – oder hatten viele nur darauf gewartet, waren instruiert und hatten in Hinterzimmern oder offiziösen Treffen schon »vorgearbeitet«? Es war sichtbar: Russlands Drängen auf eine europäische Sicherheits-Struktur ab Ende 2021 wurde ignoriert – nicht nur von geografisch entfernten Mächten wie den USA, sondern auch von den europäischen Regierungen selbst! Haben sie kein Interesse an europäischer Sicherheit? Die Fakten lassen auch den Schluss zu: Man wollte den Konflikt! Betrachtet man die Zeit nach dem russischen Einmarsch bis heute, zeigt der »Werte-Westen« ein nahezu einheitliches Bild der Verteufelung Russlands. Der Ton ist dermaßen eskaliert, dass keine Verständigung mehr möglich scheint. Sind damit auch alle Chancen für künftige Vereinbarungen zur militärischen Deeskalation obsolet? Solche Verträge wie SALT I und II, der Atomwaffensperrvertrag haben das Wettrüsten im Kalten Krieg zumindest eingeschränkt. Sind alle bisherigen Verträge vom Tisch gefegt, gibt es irgendwo noch einen Willen für die Entspannung? Und ist die aktuelle Politiker-Riege für solche Verhandlungen noch glaubwürdig – bei ihrem momentanen Kriegs-Getöse? Für mich besonders enttäuschend: Viele derjenigen, die zu DDR-Zeiten »Schwerter zu Pflugscharen« umschmieden wollten, sind heute ganz vorn bei der medialen Kriegshysterie. Hier sei an Immanuel Kant erinnert: »Krieg aller gegen alle (…) führt zum ewigen Frieden der Friedhöfe.«
Seit Februar 2022 zeigt sich aber auch: Die Deutungshoheit des »Werte-Westens« verringert sich. Merkmale dafür sind u. a. die relativ geringe globale Resonanz der Anti-Russland-Sanktionen, der ansteigende Handel auf Basis lokaler Währungen (anstelle des Dollars) und mehrere Beitritte zum BRICS-Handelsbündnis. Dies läuft generell auf eine schwindende Rolle des US-Dollars hinaus, der jedoch als »Schwungmasse« für die Finanzpolitik der USA erforderlich ist. Vielleicht haben viele Staaten registriert, dass die Politik des »Werte-Westens« selten ihren eigenen Gunsten, jedoch häufig den Interessen der G7-Mitglieder (siehe aktuell die Drangsalierung von Venezuela) dient. Auch das Beugen völkerrechtlicher Abkommen, z. B. die de-facto-Beschlagnahme russischen Eigentums, wird international beobachtet. Damit wird auch der »Werte-Westen« sehr durchschaubar – als ideologisches Dogma für selbstsüchtige Interessen. Ein Beispiel: Mit Frau von der Leyen sollte das Hauptziel der EU ein »Green Deal« sein – und bei erstbester Gelegenheit schwenkte man um auf Kriegspolitik (die ja von der Waffenproduktion bis zum -einsatz jeder grünen Politik Hohn spricht).
Die daraus resultierende stärkere Eigenständigkeit vieler Staaten kommt einer multipolaren und damit unabhängigeren Welt sicher zugute – obwohl dies auch die Gefahr der Konfrontation mit starken, aggressiven Staatenblöcken nach sich zieht. Dies war beginnend mit 1999 (Krieg gegen Serbien) mehrfach zu beobachten (Irak, Syrien, Afghanistan usw.).
Als künftiger Staatenblock könnte sich das Bündnis zwischen China und Russland entwickeln. Dabei scheint China die klügeren, weil weitsichtigeren Politik-Ansätze zu verfolgen. Russland ist aktuell durch den Ukraine-Krieg etwas gebremst und scheint überhaupt einem gewissen Erkenntnis-Phlegma zu unterliegen. Zumindest würden sich hierbei zwei Staaten auf Augenhöhe verbünden, was im Binnen-Verbund des »Werte-Westens« nicht der Fall ist. Betrachtet man die Beziehungen der europäischen Staaten zu den USA, scheinen sie sich irgendwo zwischen Servilität und Unterwürfigkeit einzuordnen. Wie sonst ließe sich erklären, dass der Bundeskanzler nach monatelangem Widerstand plötzlich doch Panzer schicken will – nach nur einem Anruf des US-Präsidenten. Und diese »Bündnistreue« hält an, ob deutsche Milliardeninvestitionen in der Ostsee gesprengt werden, oder wenn die USA mit dem Inflation Regulation Act eine Art Handelsblockade u. a. gegenüber der EU praktiziert … Auf diese Weise wird die globale Position der EU in Zukunft weiter geschwächt – möglicherweise geschuldet dem momentan leitenden Politik-Personal. Auf dieser Basis sind vielleicht keine künftigen politischen Verhandlungen mit anderen Staatenbündnissen mehr möglich – die Aggressivität und Fehlsichten sind von Politikern außerhalb des »Werte-Westens« nicht hinnehmbar. Ob und wie sich klügere politische Kräfte etablieren und durchsetzen können, ist aktuell nicht erkennbar.
Die innenpolitischen Aspekte sind gravierend: Momentan steigt die Inflation rasant; die Eindämmung durch Zinserhöhungen zeigt auch negative Tendenzen wie den rückläufigen Wohnungsbau; die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt rapide. Nein, daran ist nicht Russland schuld – die EU hat mittels ihrer Sanktionen sich selbst den Gas- und aktuell den Öl-Hahn zugedreht! Dass dies die Energie-Verteuerung nach sich ziehen wird, damit die Bevölkerung geschröpft wird, die Produkte des Exportweltmeisters teurer (und damit weniger lukrativ) werden – war das nicht vorhersehbar? Ganz zu schweigen davon, dass etliche Großverbraucher ihre Produktionsanlagen teuer und mit langen Ausfallzeiten umbauen müssen (hoffentlich nicht auf Schweröl). Eine einzige Konferenz mit den Geschäftsführern großer Unternehmen hätte diese Folgen offenbart - wollte dies niemand rechtzeitig hören? Oder ist es eine Frage der Kompetenz der Regierenden? In der Tendenz lässt sich vermuten, dass das deutsche BIP (mit Inflations-Korrektur) merklich sinken wird, weitere »Sondervermögen« zu erwarten und per Staatskredit zu finanzieren sind inclusive Schuldendienst. Werden dann die Mehrwertsteuer weiter steigen oder die Staatsausgaben für Wohnungsbau, Straßen, Kultur usw. weiter sinken? Denn auch die USA verkaufen uns die Energie nicht so günstig wie bisher Russland – schon der »Inflation Act« zeigt, dass Europa von dort nichts Positives zu erwarten hat.
Generell scheint deutlich zu werden – beginnend mit der Corona-Krise – dass die Globalisierung nicht mehr »der letzte Schrei« ist: Sie kann günstige Herstellkosten bringen, birgt aber große Lieferrisiken. Sollte die Aggressivität der Staaten untereinander zunehmen, wird kein Land seine Rohstoffe außer Landes lassen, man denke an seltene Erden, Aluminium usw. Damit ist ein Rückbesinnen auf dezentrale bis regionale Versorgung zu erwarten – keine Schweinetransporte über Tausende Kilometer, kein Liegestuhl aus Südostasien …
Auch dies wäre ein positiver Aspekt bzgl. Umweltschutz: Jeder gesparte Transport-Kilometer verringert den CO2-Ausstoß. Auch hier scheint sich eine künftig verhärtende Front herauszubilden: zwischen dem »Weiter so!« der kapitalistischen Wachstums-Wirtschaft (aktuell beschleunigt durch die Waffenproduktion) und solchen Bewegungen wie »letzte Generation«, »Fridays for future« und anderen. Von den Führungspersonen der hiesigen »Grünen« kommt fast nichts pro Klima: Überall, wo sie Regierungsmacht haben, tragen sie umweltzerstörende Projekte mit. Diese Tendenz hat in den letzten Jahren zugenommen; propagierte globale Klima-Ziele werden durch ideologiegetriebene politische Entscheidungen torpediert; die Schaffung alternativer Energiequellen scheint unter anderen Politik-Themen fast nebensächlich. Das Missachten der echten Klima-Probleme kann bei den Klima-Bewegungen durchaus auch zu einer Radikalisierung führen, wäre aber nicht zu wünschen.
Aber es gibt bereits eine Radikalisierung, nämlich »im Sinne« starker Politik-Einflüsse: Die Intensität, wie seit dem 24. Februar die Medienlandschaft auf eine Art »Kriegsfreude« eingeschwenkt ist, war bemerkenswert. Dies war nicht nur bei Print- und Bildredaktionen des Großkapitals zu beobachten, sondern auch bei den ÖR-Medien. Die ausgewogene Betrachtung fehlt seitdem; viele Fakten wurden weggelassen; das Eigene war immer richtig, die Gegenseite nur bösartig. Kann so die Weltpolitik objektiv dargestellt werden?
Bewertet man die genannten Zusammenhänge in ihrer Gesamtheit, erscheint die EU als der große Verlierer der Zukunft – politisch bereits jetzt, wirtschaftlich und sozial schon merklich, kriegsseitig mit hohem Risiko, medial fehlgeleitet. Und die Bundesrepublik mittendrin …