Fünfundachtzig und kein bisschen »leise«. Als wären so viele Lebensjahre »auf dem Buckel« nicht schon anerkennenswerte Lebensleistung genug. Nicht bei Norman Paech, der ein Arbeitsleben lang viel bewältigt und bewegt hat und der gerade in schwierigen Krisen- und Kriegszeiten wie diesen besonders gefordert ist. Angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine, den Norman Paech zweifelfrei als völkerrechtswidrig qualifiziert, ist seine Expertise besonders wichtig: weil sie eine deeskalierende, verhandlungsorientierte friedenspolitische Gegenposition zu den allermeisten meinungsbildenden Medien und Parteien bezieht und weil sie deren »auf Sieg programmierter Kriegslogik« widerspricht.
Gerade für solche begründeten, im öffentlichen Diskurs so häufig missachteten Gegenpositionen würdigen wir Norman Paech anlässlich seines 85. Geburtstags, den er in diesem Monat feiert. Der emeritierte Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) war und ist nicht nur Theoretiker des Völkerrechts mit interessanten Forschungen und wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen – nein, er ist auch couragierter »Praktiker« des Völkerrechts, der das Völkerverbindende sucht und völker- und menschenrechtswidrige Zustände und Entwicklungen in aller Welt erfahrbar macht und anprangert. Dazu verließ er immer wieder Schreibtisch und Lehrstuhl und damit den legendären akademischen Elfenbeinturm. Oder anders ausgedrückt: Er steigt hinab vom Menschenrechtshimmel in die Niederungen der Völkerrechts- und Menschenrechtsrealität, er taucht mit seinen rechtspolitischen Interventionen voll hinein in völkerrechtliche Konflikte, hinein in Gefahren und Widernisse vor Ort, die ansonsten immer wieder aus dem öffentlichen Fokus verschwinden – ob in Afrika, Asien, Lateinamerika, Europa, im Nahen und Mittleren Osten. So etwa im Palästina-Israelkonflikt – jenseits der regierungsamtlichen »Staatsräson«, oder in der Türkei – in Opposition zur westlichen Nato-Doppelmoral, oder in Syrien, Irak und Kurdistan.
Eine solche Würdigung des vielfältigen Wirkens von Norman Paech findet sich bereits in einer Laudatio, die ich Ende 2019 anlässlich einer Preisverleihung im Kölner Museum Ludwig vorgetragen habe. Das Netzwerk kurdischer Akademiker:innen ehrte ihn mit diesem Preis für sein Engagement zugunsten der kurdischen Befreiungsbewegung – mit den Zielen einer friedlichen und gerechten Lösung der kurdischen Frage in der Türkei sowie einer Entkriminalisierung kurdischer Aktivist:innen, Organisationen und Medien hierzulande und in der Europäischen Union. Auch als Abgeordneter und außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag von 2005 bis 2009 hat er dafür gestritten.
Norman Paech hat immer wieder an Menschenrechtsdelegationen u.a. in hierzulande mehr oder weniger verdrängten Krisen- und auch Kriegsgebieten teilgenommen und sich dabei nicht unerheblichen Gefahren ausgesetzt. Einmal, es war 2005, waren wir auch gemeinsam mit einer internationalen Juristendelegation in Istanbul und Ankara unterwegs, um die Menschenrechtsentwicklung im Zusammenhang mit einem möglichen EU-Beitritt der Türkei zu eruieren. Damals ist mir Normans natürliche Autorität und sein souveränes Verhalten angenehm aufgefallen, auch in schwierigen Situationen und Begegnungen. Paech initiierte und beteiligte sich auch an Strafanzeigen nach dem Völkerstrafrecht, wie 2016 gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und gegen weitere Verantwortliche der türkischen Regierung, der Sicherheitsorgane und des Militärs wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch als Sachverständiger und Gutachter in diversen Gerichtsverfahren versuchte er, seine »abweichende« Sicht einzubringen; und schließlich war er auch noch einer jener Richter des Internationalen – nicht-staatlichen – Tribunals der Völker (»Permanent peoples tribunal on the Turkey and the Kurds«) in Paris, das 2018 über die türkischen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gegenüber der kurdischen Bevölkerung richten sollte. Das Tribunal hat die Türkei und ihren Präsidenten Erdoğan schließlich im Mai 2018 für solche Kriegs- und Staatsverbrechen verantwortlich gemacht. Das Urteil ist ein aufschlussreiches und erschütterndes Dokument über türkische Verbrechen, Massaker an Zivilisten, Massenvertreibungen und Zerstörungen von Städten.
Das wissenschaftlich-theoretische Fundament der politischen Aktivitäten und Interventionen Norman Paechs liefern seine zahlreichen Bücher, so u. a. »Menschenrechte. Geschichte und Gegenwart – Anspruch und Realität« (2019) sowie, zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen Bremer Kollegen und Freund Gerhard Stuby, das Standardwerk »Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen« (akt. Ausgabe 2013). Der Politikwissenschaftler Ludwig Watzal hat die Bedeutung des Werks und seiner Verfasser so auf den Punkt gebracht: »Beide Autoren gehören zu einer aussterbenden Spezies, die Fachwissen mit kritisch-gesellschaftlichem Engagement verbinden und dies auch noch verständlich vermitteln können. Ein Standardwerk, das den eurozentrischen Blickwinkel der herrschenden Völkerrechtslehre zugunsten einer Perspektive überwunden hat, die die gesellschaftlichen Kräfte der Dekolonisierung mitreflektiert. Besonders hervorzuheben ist der Abschnitt zum legitimen Recht auf Widerstand gegenüber Kolonialismus, Neo-Kolonialismus und Unterdrückung. Dieser Widerstand wird zunehmend als Terror diffamiert« (Das Parlament).
Diese Buchkritik fasst gut zusammen, was Norman Paechs ungewöhnlicher Dreiklang aus wissenschaftlicher Forschung, rechtlicher Expertise und politischer Praxis kennzeichnet. Tatsächlich interessiert ihn in erster Linie die internationale Perspektive des Rechts, der Minderheitenschutz und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, Frieden und Entwicklung. Initialzündung dafür waren für ihn und seine Positionierung der Vietnamkrieg, der Palästina-Israel-Konflikt und die antikolonialen Kriege der 1960er Jahre in Afrika. In den letzten Jahrzehnten übte er – gegen alle Kriegspropaganda hierzulande – u. a. scharfe Kritik am Nato-Krieg gegen Jugoslawien (1999) als klaren Bruch des Völkerrechts, und später am US- und Nato-Krieg in Afghanistan (2001-2021) sowie am völkerrechtswidrigen US-Krieg gegen den Irak (2003-2011) mit Hunderttausenden von Todesopfern und langfristig desaströsen Folgen im Mittleren Osten. Bis heute sind diese Völkerrechts- und Kriegsverbrechen der westlichen Welt, des »Verteidigungsbündnisses« Nato und seiner Mitgliedsstaaten, der USA und ihrer »Koalition der Willigen« bekanntlich nicht gesühnt: keiner der politisch und militärisch Verantwortlichen ist je zur Rechenschaft gezogen worden.
Das Schwergewicht seiner völker- und menschenrechtlichen Argumentation und Intentionen hat Norman Paech konsequent auf Verständigungs- und Friedenspolitik, Deeskalation und aktive Verhandlungsdiplomatie gelegt; und er hat sich klar gegen Militarisierung, staatliche Aufrüstung und riskante Eskalationspolitik positioniert, wie wir sie derzeit rund um den Krieg Russlands gegen die Ukraine als quasi »alternativlos« erleben müssen. Für seine völkerrechtlichen Gegenpositionen zur Regierungspolitik und zum herrschenden Diskurs hat Norman Paech nicht nur Anerkennung und Lob geerntet, sondern vielfach auch heftige Kritik bis hin zu Diffamierungen wie Putin- oder Terrorversteher, aber auch Antisemitismus-Vorwürfe ertragen müssen. Dies hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, auch weiterhin harte öffentliche Auseinandersetzungen zu führen und auszuhalten – trotz nicht selten kolossaler Zumutungen und bösartiger Attacken.
Umso mehr: Herzlichen Glückwunsch, lieber Norman Paech, und alle erdenklich guten Wünsche zum 85. Geburtstag. Und auf weitere erkenntnisreiche Artikel – unter anderem in Ossietzky.
Hier sind Norman Paechs aktuelle und auch ältere Schriften zu finden: http://www.norman-paech.de/