Nun, seid ihr noch nicht kriegsmüde? Ich muss euch das fragen, wie man kleine Kinder fragt, die sich noch nicht genug ausgetobt haben, weil genauso treibt ihr es in meinen Augen.
Jetzt habt ihr das große Abenteuer »Krieg« für euch entdeckt und wollt und wollt nicht aufhören. Ihr habt die Anleitung allzu eifrig von oben übernommen. Taktiert herum wie mit Zinnsoldaten; als wäre das ein Spiel, bei dem es vor allem ums Gewinnen geht und um ein vermeintlich »Böses«, das ihr natürlich als die reine Antithese zu euch selbst erachtet – nur, dass an der feuerumkränzten Front Menschen aus Fleisch und Blut sterben müssen, während ihr euch ereifert.
Also ehrlich, ich bin’s: Kriegsmüde.
Immer schon gewesen und heute müder denn je. Ist im Grunde nicht schlimm. Ist ja doch die beste Müdigkeit ever.
Was wäre auch das peinliche Gegenteil? Kriegsmunter? Energiegeladen und aufgeweckt hin zu den Waffen; die Waffen hoch, bis Blut und Blut ineinanderfließen?
Der Schriftsteller und Kriegsgegner Karl Kraus wusste schon vor mehr als hundert Jahren, im heiklen Jahr 1918 zu sagen:
»Kriegsmüde – das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein, das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? So wäre Kriegsmüdigkeit wahrlich ein Zustand, der keine Rettung verdient. Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt, nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat. Aus Kriegsmüdigkeit werde der Krieg nicht beendet, sondern unterlassen.«
Indes die deutsche grüne Außenministerin hat schon im letzten Jahr von einer Kriegsmüdigkeit gesprochen, als wäre das nun etwas gänzlich Unbrauchbares: »Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht«, sagte Baerbock im Mai 2022.
Wieder ein Jahr später, Mai 2023, bin ich nochmal ein bisschen müder geworden. Ich lese kaum noch Nachrichten zum Thema Krieg und verpasse ja doch nichts. Weder in die eine noch in die andere Richtung geht was weiter, die Zeitungen schreiben wie gehabt ihre Hurra-Meldungen, wenn die Ukraine mal ein paar Meter macht und verdammen einmal mehr die »russischen Barbaren«, sofern es in die andere Richtung geht. So geht das hin und her, die Mensch-Soldaten stehen sich pattmäßig gegenüber, nur die Grausamkeiten schreiten voran.
Diplomatie und Vermittlung werden von vornherein totgesagt und abgesagt und nun schon gar nicht mehr in Betracht gezogen. Maximalforderungen statt Kompromisse und: Durchhalteparolen. Kein Erkenntnisgewinn und keine Hoffnung aus den Nachrichten zu schöpfen, so habe ich aufgehört, sie zu konsumieren.
Allerdings: So sehr ich dem Thema auch aus dem Weg gehen möchte, es findet mich doch immer wieder.
Sportmeldungen sind etwa auch nicht mehr frei vom Krieg: »Handschlag verweigert: Ukrainerin Kostjuk ausgebuht«, lese ich im Sportteil. Die Ukrainerin, die schon im Vorjahr auffällig wurde mit einem »scharfen Forderungskatalog, der die Tennis-Szene aufforderte, russische und belarussische Athletinnen und Athleten von allen Wettbewerben auszuschließen«, hat schließlich längst mit allen »russischen Freundinnen und Freunden in der Szene gebrochen«.
Es sind dies die hasserfüllten Auswüchse unserer Zeit, welche schon sehr schlechte Früchte tragen.
Hatte Kostjuk im Jahr 2021 ihre russische Kontrahentin bei den French Open noch herzlich umarmt, soll jetzt alles anders sein. Das ist nicht nur unsportlich, das ist mehr.
Der Krieg, die kriegerische Denkart durchdringt schon nahezu alles. Statt sich dem Wahnsinn mit Menschlichkeit entgegenzustemmen, lassen sich viele, sehr viele mitreißen, das ist so traurig.
Statt zu sagen: »Wir Menschen dürfen uns nicht mit der Kriegssache gemein machen!«, hört man fast nur noch: Symbolische Anti-Haltung und trotzig-tapfere Pose, grimmiger Habitus, Sippenhaft, Diskriminierung, Mobbing, Ausschluss und schließlich purer Rassismus gegen Personen, deren einziges Verbrechen ein anderer Pass ist.
Es ist so falsch. Wir sollten uns nicht trennen lassen durch Grenzziehungen, Machtkalküle und Kriegserklärungen einer Obrigkeit!
Wir sollten sagen: Kämpft eure Kriege selbst! Wir spielen Tennis miteinander.
Müde für Krieg, Spaltung, Hass sollten wir sein – und aufgeweckt und offen für alles, was uns verbindet und einander näherbringt.
Wir sollten Menschen bleiben und Menschen sein in erster Linie, wo immer wir aufeinandertreffen: DAS ist die Haltung und Symbolik, die es dringend braucht. Jetzt. Im Sport und überall sonst.