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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Noch nicht müde?

Nun, seid ihr noch nicht kriegs­mü­de? Ich muss euch das fra­gen, wie man klei­ne Kin­der fragt, die sich noch nicht genug aus­ge­tobt haben, weil genau­so treibt ihr es in mei­nen Augen.

Jetzt habt ihr das gro­ße Aben­teu­er »Krieg« für euch ent­deckt und wollt und wollt nicht auf­hö­ren. Ihr habt die Anlei­tung all­zu eif­rig von oben über­nom­men. Tak­tiert her­um wie mit Zinn­sol­da­ten; als wäre das ein Spiel, bei dem es vor allem ums Gewin­nen geht und um ein ver­meint­lich »Böses«, das ihr natür­lich als die rei­ne Anti­the­se zu euch selbst erach­tet – nur, dass an der feu­er­um­kränz­ten Front Men­schen aus Fleisch und Blut ster­ben müs­sen, wäh­rend ihr euch ereifert.

Also ehr­lich, ich bin’s: Kriegsmüde.

Immer schon gewe­sen und heu­te müder denn je. Ist im Grun­de nicht schlimm. Ist ja doch die beste Müdig­keit ever.

Was wäre auch das pein­li­che Gegen­teil? Kriegs­mun­ter? Ener­gie­ge­la­den und auf­ge­weckt hin zu den Waf­fen; die Waf­fen hoch, bis Blut und Blut ineinanderfließen?

Der Schrift­stel­ler und Kriegs­geg­ner Karl Kraus wuss­te schon vor mehr als hun­dert Jah­ren, im heik­len Jahr 1918 zu sagen:

»Kriegs­mü­de – das ist das dümm­ste von allen Wor­ten, die die Zeit hat. Kriegs­mü­de sein, das heißt müde sein des Mor­des, müde des Rau­bes, müde der Lüge, müde der Dumm­heit, müde des Hun­gers, müde der Krank­heit, müde des Schmut­zes, müde des Cha­os. War man je zu all dem frisch und mun­ter? So wäre Kriegs­mü­dig­keit wahr­lich ein Zustand, der kei­ne Ret­tung ver­dient. Kriegs­mü­de hat man immer zu sein, das heißt, nicht nach­dem, son­dern ehe man den Krieg begon­nen hat. Aus Kriegs­mü­dig­keit wer­de der Krieg nicht been­det, son­dern unterlassen.«

Indes die deut­sche grü­ne Außen­mi­ni­ste­rin hat schon im letz­ten Jahr von einer Kriegs­mü­dig­keit gespro­chen, als wäre das nun etwas gänz­lich Unbrauch­ba­res: »Wir haben einen Moment der Fati­gue erreicht«, sag­te Baer­bock im Mai 2022.

Wie­der ein Jahr spä­ter, Mai 2023, bin ich noch­mal ein biss­chen müder gewor­den. Ich lese kaum noch Nach­rich­ten zum The­ma Krieg und ver­pas­se ja doch nichts. Weder in die eine noch in die ande­re Rich­tung geht was wei­ter, die Zei­tun­gen schrei­ben wie gehabt ihre Hur­ra-Mel­dun­gen, wenn die Ukrai­ne mal ein paar Meter macht und ver­dam­men ein­mal mehr die »rus­si­schen Bar­ba­ren«, sofern es in die ande­re Rich­tung geht. So geht das hin und her, die Mensch-Sol­da­ten ste­hen sich patt­mä­ßig gegen­über, nur die Grau­sam­kei­ten schrei­ten voran.

Diplo­ma­tie und Ver­mitt­lung wer­den von vorn­her­ein tot­ge­sagt und abge­sagt und nun schon gar nicht mehr in Betracht gezo­gen. Maxi­mal­for­de­run­gen statt Kom­pro­mis­se und: Durch­hal­te­pa­ro­len. Kein Erkennt­nis­ge­winn und kei­ne Hoff­nung aus den Nach­rich­ten zu schöp­fen, so habe ich auf­ge­hört, sie zu konsumieren.

Aller­dings: So sehr ich dem The­ma auch aus dem Weg gehen möch­te, es fin­det mich doch immer wieder.

Sport­mel­dun­gen sind etwa auch nicht mehr frei vom Krieg: »Hand­schlag ver­wei­gert: Ukrai­ne­rin Kost­juk aus­ge­buht«, lese ich im Sport­teil. Die Ukrai­ne­rin, die schon im Vor­jahr auf­fäl­lig wur­de mit einem »schar­fen For­de­rungs­ka­ta­log, der die Ten­nis-Sze­ne auf­for­der­te, rus­si­sche und bela­rus­si­sche Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten von allen Wett­be­wer­ben aus­zu­schlie­ßen«, hat schließ­lich längst mit allen »rus­si­schen Freun­din­nen und Freun­den in der Sze­ne gebrochen«.

Es sind dies die hass­erfüll­ten Aus­wüch­se unse­rer Zeit, wel­che schon sehr schlech­te Früch­te tragen.

Hat­te Kost­juk im Jahr 2021 ihre rus­si­sche Kon­tra­hen­tin bei den French Open noch herz­lich umarmt, soll jetzt alles anders sein. Das ist nicht nur unsport­lich, das ist mehr.

Der Krieg, die krie­ge­ri­sche Denk­art durch­dringt schon nahe­zu alles. Statt sich dem Wahn­sinn mit Mensch­lich­keit ent­ge­gen­zu­stem­men, las­sen sich vie­le, sehr vie­le mit­rei­ßen, das ist so traurig.

Statt zu sagen: »Wir Men­schen dür­fen uns nicht mit der Kriegs­sa­che gemein machen!«, hört man fast nur noch: Sym­bo­li­sche Anti-Hal­tung und trot­zig-tap­fe­re Pose, grim­mi­ger Habi­tus, Sip­pen­haft, Dis­kri­mi­nie­rung, Mob­bing, Aus­schluss und schließ­lich purer Ras­sis­mus gegen Per­so­nen, deren ein­zi­ges Ver­bre­chen ein ande­rer Pass ist.

Es ist so falsch. Wir soll­ten uns nicht tren­nen las­sen durch Grenz­zie­hun­gen, Macht­kal­kü­le und Kriegs­er­klä­run­gen einer Obrigkeit!

Wir soll­ten sagen: Kämpft eure Krie­ge selbst! Wir spie­len Ten­nis miteinander.

Müde für Krieg, Spal­tung, Hass soll­ten wir sein – und auf­ge­weckt und offen für alles, was uns ver­bin­det und ein­an­der näherbringt.

Wir soll­ten Men­schen blei­ben und Men­schen sein in erster Linie, wo immer wir auf­ein­an­der­tref­fen: DAS ist die Hal­tung und Sym­bo­lik, die es drin­gend braucht. Jetzt. Im Sport und über­all sonst.