Dem Leipziger Literaturverlag gelingen Überraschungen und Wiederbegegnungen – und Besseres kann Literaturinteressierten kaum geschehen. So jüngst mit Franz Hodjak, geboren 1944 im siebenbürgischen Hermannstadt (Sibiu), seit 1992 in Deutschland lebend. Wiederbegegnung deshalb, weil Texte von Franz Hodjak zu den nie vergessenen Eindrücken von rumäniendeutscher Literatur gehörten, die ich in den siebziger Jahren bei Rumänienaufenthalten gewann. Veröffentlicht wurden sie in der Zeitschrift Neue Literatur, einem interessanten wie seltsamen Blatt, das manchmal Texte enthielt, die in der DDR gewiss nicht gedruckt worden wären, manchmal aber auch betonhafte Elaborate, ganz der Sozialistischen Republik Rumänien gemäß.
Bei Franz Hodjak hingegen fand man jene hintergründige Widerborstigkeit, die man damals als herrlich erlebte: »das leben als aktenbündel, das du nie / zu gesicht bekommst (aus dem Gedicht »mittagspause«). Und man sah seine Wortbesessenheit, die den Dichter in eine Reihe stellte mit den beachteten lyrischen Stimmen jener Jahre.
Die Wortbesessenheit ist bis heute geblieben, auch die Verweigerung einer Einvernahme in Kollektive und in Gemeinschaften, Hodjak wollte und will kein Wir sein. Das ist und bleibt sympathisch. Widerborstigkeit und Schärfe sind heute indes einer gewissen Nachgiebigkeit gewichen, auch aus den Einsichten des Älterwerdens gespeist. Das Gedicht »Haushaltsauflösung« wird von dieser Stimmung durchweht: »Ich muss mich nicht erinnern. / Ich muss nichts erwarten. / Ich bin wieder schwindelfrei. // Ich habe das Glück entlassen. / Ich habe die Schutzengel entlassen. / Ich habe die Tränen entlassen. // Langsam bereite ich mich vor, Massenentlassungen / vorzunehmen auch im Gebrauch der Sprache.«
Manchmal, und das ist sehr erfrischend für den Leser, flammt es dann doch trotzig aus einem Gedicht, etwa aus dem »Sonett mit Tritten«. Es endet so: »Wir wollten zeigen, wie Liebe geht. / Wir haben bloß Tritte in den Arsch kassiert.« Was resignierend klingt, es ist kein Fazit. Hodjak weiß, wie es den Sprachnarren ergeht. Ein Fazit ist eher der Titel seines Buches »Gedenkminute für verschollene Sprachen«. Sprache und Wörter umkreist er, auf sie wird er immer wieder zurückgeworfen, sie liebt er abgöttisch. Den Dichter auf seinen sprachlichen Liebesgängen zu begleiten, das ist eine Freude. Zumal in diesen unseren Zeiten, da die Sprache immer häufiger verbogen, zerschrammt und zum Vehikel grober oder alberner Wortspiele wird. Das tut es gut zu erleben, dass die Sprache noch ihre Liebhaber und Behüter hat.
Ein wenig schade ist daher, dass in einigen Texten, besonders im letzten Teil, auch mal eine Phrase durchrutscht »Reiten war nicht so mein Ding« (in »Sommerrock«), ein leicht didaktischer Ton sich bemerkbar macht oder manchmal, um des Reimes oder der Wirkung willen, gereimt wird, etwa: »Nur Tina Turner mit ihrem lauten Rocken / könnte Gott noch in die Kirche locken.« Doch selbst hier entstehen lyrische Haken, die so schnell nicht loslassen und nach einem Weiterreimen verlangen, ähnlich einem ohrwurmhaften Schlager. Denn auch das will erst einmal mit Worten geschafft und bewirkt werden. Für das Meisterwerk des Bandes halte ich »Engführung 1«. Da mag Nostalgie im Spiel sein, weil dieser Text sehr an den Franz Hodjak erinnert, den man aus der Zeit der Neuen Literatur kannte und kennt.
Aber es ist mit der Lyrik wohl so wie mit unseren anderen Lieben und Vorlieben: Sie bleiben immer jung. »Es war eine Zeit«, hebt das Gedicht an – da man nicht Schatten sagen durfte, wenn man das Licht erwähnte. Es fuhr die Hoffnung im Lift öfter nach unten als nach oben. Der durch die Zimmerritzen pfeifende Wind hörte sich im Frühjahr an wie Musik von Roy Orbison und winters wie Stiefeltritte gegen die Tür. »… und jedes Jahr fiel einem / ein neuer Stein aufs Herz.«
Es gehört zur großen und bewundernswerten Sprachkunst Franz Hodjaks, dass nicht einmal solche Reminiszenzen und Befunde Schwermut verbreiten, sondern aufrichtend wirken, weil begreifbar wird, was, auch dank der Literatur, anders werden kann. Für das Anderswerden ist Hodjak ein feiner Seismograf. Vielleicht rührt von dort die Anmutung des Prophetischen in seiner Bilderwelt.
Im Gedicht »Flussgeschichte« taucht die titelgebende »Gedenkminute für verschollene Sprachen« auf. Ja, Hodjak zu lesen, bedeutet zu begreifen, dass die Sprache einer Vernichtung unterworfen ist, etwa durch das Beamtendeutsch. Er selbst freilich ist das beste Beispiel dafür, dass Verheerung, wie ein Waldbrand, neues Leben gebiert. Denn seine Gedichte sind von entschiedener Vitalität: scharf, präzise, verwundend und heilsam zugleich. Virtuos handhabt Hodjak terzinenartige Strophen, von so verfassten Gedichten geht besonders starke Wirkung aus, die Verse werden zu Begleitern. Mir ging es so mit »Efeu«, auch wenn dort ein Fehler (»Kirchblüten«?) ein wenig Verwirrung stiftet. »Ein Schiff, das nicht die Schleuse / passt, muss umkehren.« Seltsam: Die Versschiffe Hodjaks passen durch keine Schleuse und fahren doch elegant auf den Flüssen der Literatur. Er muss nicht umkehren.
Franz Hodjak, Gedenkminute für verschollene Sprachen. Gedichte, Leipziger Literaturverlag 2022, 126 S., 19,95 €.