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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Nichts dazugelernt?

In die­sen Tagen las ich in der jun­gen Welt, dass Mit­te Mai ein jun­ger Mann als Ange­klag­ter vor dem Amts­ge­richt Dan­nen­berg sit­zen muss­te, weil er ein Wahl­pla­kat von Bünd­nis 90/​Die Grü­nen mit einem Spruch gegen den Krieg bemalt hat­te. Wäh­rend des Wahl­kamp­fes zum Nie­der­säch­si­schen Land­tag hat­te er die anti­mi­li­ta­ri­sti­sche Aus­sa­ge »Wir zah­len nicht für eure Krie­ge – can›t – won›t pay!« auf einem Wahl­pla­kat die­ser Par­tei ange­bracht. Dar­auf­hin erging gegen ihn ein Straf­be­fehl, gegen den er Ein­spruch ein­leg­te, weil er die Kri­mi­na­li­sie­rung die­ser Hand­lung für unbe­grün­det hielt. So kam es zu einer Haupt­ver­hand­lung, in deren Fol­ge er dann letzt­lich doch ver­ur­teilt wur­de. In die­ser hat­te er ver­geb­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Gefahr der Eska­la­ti­on des Krie­ges zu einem Welt­krieg besteht und kri­mi­nell doch eher die­je­ni­gen sei­en, die die Krie­ge füh­ren, mit ihnen Men­schen­le­ben gefähr­den und dar­an verdienen.

Mich erin­ner­te das an einen ande­ren Pro­zess, der 63 Jah­re frü­her im dama­li­gen West­ber­lin statt­ge­fun­den hat. Dort stand im Janu­ar 1960 eben­falls ein jun­ger Mann vor Gericht. Ihm wur­de Belei­di­gung des amtie­ren­den Bun­des­kanz­lers Ade­nau­er vor­ge­wor­fen. Der jun­ge Mann stamm­te aus einem anti­fa­schi­sti­schen Eltern­haus und nahm an einer Demon­stra­ti­on der FDJ in Ber­lin-Neu­kölln teil. »Da hat­ten sie Pla­ka­te mit einer Kari­ka­tur des bri­ti­schen Dai­ly Express hoch­ge­hal­ten: Dar­auf trock­ne­te sich Kanz­ler Ade­nau­er mit einem Haken­kreuz­tuch die Kro­ko­dils­trä­nen, wäh­rend aus sei­nen Rock­schö­ßen sein Kanz­ler­amts­chef Glob­ke und sein Mini­ster Ober­län­der purzelten.«

Glob­ke hat­te einst die Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­ze der Nazis in einem juri­sti­schen Kom­men­tar inhalt­lich aus­ge­legt. Seit 1953 war er die rech­te Hand Ade­nau­ers. Ober­län­der konn­te eben­so auf eine nazi­sti­sche Ver­gan­gen­heit zurück­blicken und war inzwi­schen Ver­trie­be­nen­mi­ni­ster in Bonn. Letz­te­rer war dann der Mei­nung, er müs­se den jun­gen Mann anzei­gen, was sich am Ende als Bume­rang erwies. Die damit zugleich ange­sto­ße­ne öffent­li­che Dis­kus­si­on über sei­ne frü­he­re Tätig­keit im faschi­sti­schen Staat führ­te dazu, dass er als Mini­ster Anfang Mai 1960 zurück­tre­ten musste.

Glob­ke war klü­ger und äußer­te sich nicht. Trotz der Tat­sa­che, dass auch über sei­ne Ver­gan­gen­heit längst eine öffent­li­che Aus­ein­an­der­set­zung im Gan­ge war, konn­te er sich bis zur Been­di­gung von Ade­nau­ers Amts­zeit hal­ten und ging dann zusam­men mit sei­nem Chef in Pension.

Der Ange­klag­te jun­ge Demon­strant Klaus Wal­ter – sein Name wur­de damals sowohl in west­deut­schen als auch DDR-Zei­tun­gen genannt – erhielt zwei Mona­te Haft wegen Belei­di­gung. Da er sich in der Sache in Unter­su­chungs­haft befun­den hat­te, waren die­se bei Urteils­ver­kün­dung bereits verbüßt.

Bei­de Pro­zes­se zei­gen deut­li­che Par­al­le­len trotz der mehr als sechs Jahr­zehn­te zeit­li­chem Unter­schied. Der Volks­mund sagt: Wer die Wahr­heit äußert, braucht ein ver­dammt schnel­les Pferd. Wird er trotz­dem gefasst, ist eine Kri­mi­na­li­sie­rung lei­der noch immer nicht ausgeschlossen.