Es gab in Deutschland nur wenige Pfarrer, die von ihrem Dienstherrn Kirche (evang.) unter Verlust aller Pensionsansprüche aus dem Dienst entfernt wurden. Dabei handelte es sich wohlgemerkt nicht um irgendwelche braunen oder feldgrauen Übeltäter, das heißt nicht um völkische »Deutsche Christen« oder kriegsfreudige Feldprediger. Vielmehr waren es solche, die zum protestantisch-deutschnationalen Konsens nicht passen wollten.
Als frühester Fall gilt der Mannheimer Pfarrer Erwin Eckert (1893-1972), in der Weimarer Zeit Vorsitzender des Bundes Religiöser Sozialisten. Er erhielt seine erste Kirchenstrafe schon 1925 wegen eines Artikels gegen die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten. 1931 wurde er aus der SPD ausgeschlossen, sodann fristlos aus dem badischen Kirchendienst entlassen, nachdem er sich öffentlich zur Kommunistischen Partei bekannt hatte. Als einer der konsequenten kirchlichen Streiter gegen Kriegsgefahr und Faschismus verdient er Beachtung, auch wenn ihm beim Versuch, die amtliche Kirche gegen die Barbarei zu mobilisieren, wenig Erfolg beschieden war. Sein Biograf und Nachlassverwalter Martin Balzer würdigte ihn kürzlich mit einem instruktiven Referat. Dies war verbunden mit einer Referenz an die Bielefelder religiös-soziale Ortsgruppe, die sich nach Eckerts KPD-Eintritt mit ihm solidarisch erklärt hatte.
Unter der Überschrift Christen im Widerstand gegen Krieg – gestern und heute – am Beispiel Erwin Eckert hatte die Marx-Engels-Stiftung nach Bielefeld eingeladen. Im Text zur Einladung hieß es: Krieg als ein barbarischer Ausfluss mächtiger Interessen lasse sich nur durch eine widerständige Mehrheit wacher und entschlossener Menschen bekämpfen. (Wenn diese Mehrheit heute doch nur wacher und entschlossener wäre!) Und es sei zu fragen und zu erörtern, ob Eckert gleich anderen religiösen Sozialisten uns Wegweisung geben könnte. Balzer bejahte die Frage.
Dazu schilderte er mehrere Lebensstationen und markante Wortmeldungen seines Rocher de bronze. Dessen Schlüsselerlebnis um 1916 war, wie bei vielen seiner Generation, das grauenhafte Blutvergießen von Verdun. Bei Eckert wuchs damals die Erkenntnis – wie er 1919 formulierte –, dass es letztlich »um die brutale Erreichung der Weltmacht Deutschlands, um die materielle Ausdehnung und Machtgier kapitalistisch orientierter Kreise unseres Volkes ging«. Bei Eckert verband sich der Antimilitarismus von Anfang an mit der Kritik des Profitsystems. So predigte er schon 1920 als Vikar in Pforzheim. So sprach er als Mannheimer Pfarrer, der 1930 vor dem Faschismus warnte, welcher »die ganze Welt auf bestialische Weise in eine zivilisatorische Katastrophe (…) treiben« wird. Hintergrund dafür sei diejenige Wirtschaftsordnung, »die immer wieder nach neuen Absatzgebieten, Rohstoffquellen, Kolonien ausgeht«. Und folgerichtig ging er nach 20 Jahren SPD-Mitgliedschaft auf die Partei zu, die das Privateigentum an den großen Produktionsmitteln überwinden wollte. Balzer über das kirchliche Dienstgericht: »Die Mitgliedschaft in der KPD (…) war lediglich Vorwand, um die Gesinnung zu bestrafen.«
Die badische Kirche verweigerte nach 1945, unbußfertig wie stets, dem geschassten Antifaschisten die Rehabilitierung. Nächste Station: Eckert im März 1949, als Abgeordneter im badischen Parlament sprechend: gegen die massenhafte Weißwaschung von Naziaktivisten, gegen die Legende von der russischen Bedrohung. Der entstehende nordatlantische Militärpakt bereite ihm große Sorge, weil er ein »Kriegspakt des Weltkapitalismus« werde. Heute, Jahrzehnte später ist diese Feststellung aktuell wie zuvor.
Der Widerstand gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung durchzog Eckerts Wirken durch die 50er Jahre. Als Mitglied im Weltfriedensrat und Vorsitzender des Friedenskomitees der BRD wurde er 1959 vor Gericht gestellt. Nach fünf Monaten erging das Urteil (Freiheitsstrafe auf Bewährung) wegen Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung, wie die typische Formulierung der Gesinnungsrichter damals lautete. Immerhin erklärte der badische Landesbischof 1999 sein Bedauern, dass die Kirche den »Bruder Eckert« unehrenhaft entlassen und eine »prophetische Stimme unterdrückt« habe. Eine kirchenrechtliche Korrektur fehlt bis heute.
So traurig es ist, meist hat Eckert vergeblich gekämpft. Gegen eine tumbe gegnerische Mehrheit verlor er in puncto kirchliche Buße und Neubesinnung, Wiederbewaffnung, EVG-Vertrag, Nato-Mitgliedschaft. Aber Balzer legt ihm den Satz in den Mund: »Wir, so gut es gelang, haben das Unsre getan
F.-M. Balzer: Berufsverbot in der Kirche. Der unerledigte Fall Erwin Eckert, PapyRossa, Köln 2023, 292 S., 20 €.