Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Neues aus der Kirchengeschichte II

Der reichs­wei­te anti­jü­di­sche Ter­ror erreich­te vor 90 Jah­ren, am 1. April 1933, einen vor­läu­fi­gen Höhe­punkt. Wie vie­le Chri­sten sich damals anstän­dig ver­hiel­ten ange­sichts des schi­ka­nö­sen Boy­kotts gegen tau­sen­de Geschäf­te, Anwäl­te, Ärz­te und Apo­the­ker, lässt sich schwer sagen. Weni­ge Bei­spie­le sind doku­men­tiert, dar­un­ter das Ver­hal­ten des Ber­li­ner Pfar­rers Mähl vom Prenz­lau­er Berg. Als er an bewuss­tem Tag an der Miner­va-Apo­the­ke in der Schön­hau­ser Allee vor­bei­kommt, sieht er davor drei bedroh­li­che SA-Uni­for­mier­te ste­hen. Er geht, so erin­nert er sich, spon­tan auf sie zu. »›Wehe rüh­ren Sie mich an!‹ Dr. Koby­lin­ski stand zufäl­lig an der Tür, ich ging zu ihm hin und sag­te zu ihm: Ich kom­me heu­te nicht zu Ihnen, um etwas zu kau­fen, son­dern um Ihnen mei­ne Sym­pa­thie aus­zu­spre­chen. Ich schä­me mich heu­te, evan­ge­li­scher Geist­li­cher zu sein.«

Er schäm­te sich mit vol­lem Grund. Denn ein kir­chen­amt­li­ches Wort des Pro­te­stes war nicht zu hören, im Gegen­teil. Der rang­höch­ste Geist­li­che der Kur­mark und beken­nen­de Anti­se­mit, Gene­ral­su­per­in­ten­dent Dibe­l­i­us, recht­fer­tig­te die Regie­rungs­maß­nah­me in meh­re­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen, wie der Ber­li­ner Histo­ri­ker Man­fred Gai­lus in sei­nem jüngst erschie­ne­nen Buch über Pro­te­stan­ten im Drit­ten Reich fest­stellt (vgl. dazu »Neu­es aus der Kir­chen­ge­schich­te« in: Ossietzky Nr. 22/​2022, S.770 f.).

Schon in der ersten Woche der Hit­ler-Papen-Regie­rung gab es, so Gai­lus, im gro­ßen Ber­li­ner Dom eine Art Staats­akt, der die gei­sti­ge und poli­ti­sche Posi­ti­on kirch­li­cher Gre­mi­en beleuch­te­te. Geehrt wur­de der erschos­se­ne NS-Stra­ßen­kämp­fer Mai­kow­ski. In der vor­der­sten Rei­he der Kir­che saßen Hit­ler, Göring, Kron­prinz Wil­helm aus dem Haus Hohen­zol­lern und zahl­rei­che deutsch-christ­li­che Pfar­rer in Amts­tracht. Einer die­ser Pfar­rer tön­te von der Kan­zel mit Blick auf den vorm Altar auf­ge­bahr­ten Anfüh­rer des SA-Sturms vul­go Mord­sturm 33: »Du warst einer der besten unter uns, gleich Horst Wes­sel. Du hast mit uns den Acker bear­bei­tet (…). Ein Sämann durf­test du sein, dem Gott in die klei­ne Men­schen­hand köst­li­che Saat gelegt (…).« Mög­lich gewor­den war die Zere­mo­nie, weil Ober­dom­pre­di­ger Burg­hart dem Wunsch der seit kur­zem regie­ren­den NSDAP trotz Beden­ken statt­ge­ge­ben hatte.

»Die pro­te­stan­ti­sche Per­for­mance der Hit­ler­zeit war und bleibt eine schwe­re Hypo­thek«, resü­miert Man­fred Gai­lus (wobei die Per­for­mance wohl dem schö­nen Stab­reim mit pro­te­stan­tisch geschul­det ist). Sein Buch ent­hält die Zusam­men­fas­sung von über 30jährigen For­schun­gen zum evan­ge­li­schen Chri­sten­tum in faschi­sti­scher Zeit mit dem Schwer­punkt Reichs­haupt­stadt. Eine Skan­dal-chro­nik mit weni­gen Licht­blicken. Ein sol­cher Licht­blick war die evan­ge­li­sche Leh­re­rin Eli­sa­beth Schmitz, gewür­digt in einem eige­nen Kapi­tel. Ihre 1935 ver­fass­te muti­ge Denk­schrift Zur Lage der Nicht­ari­er, die sie mit einem Nach­trag Fol­gen der Nürn­ber­ger Geset­ze selbst ver­viel­fäl­tig­te und ver­teil­te, um die zur Juden­ver­fol­gung schwei­gen­de Beken­nen­de Kir­che auf­zu­rüt­teln, blieb wir­kungs­los. Bereits 1939 ließ sich die Stu­di­en­rä­tin früh­pen­sio­nie­ren, aus Grün­den des Gewissens.

Der Bogen der Dar­stel­lung spannt sich von der Gar­ni­son­kir­che und dem TAG VON POTSDAM über das völ­ki­sche Deutsch­chri­sten­tum bis zum letz­ten Kapi­tel über die lan­gen Schat­ten der Hit­ler­zeit in der Nach­kriegs­kir­che. Apro­pos Nach­kriegs­zeit: Berühmt gewor­den und nach der Befrei­ung viel­fach belo­bigt ist der Kampf der Beken­nen­den Kir­che (BK), mit dem sich kle­ri­ka­le Kir­chen­füh­rer in der Restau­ra­ti­ons­zeit nach 1945 ger­ne schmück­ten, dabei nicht sel­ten ihre Wider­stän­dig­keit maß­los über­trei­bend. Gai­lus ver­tritt die ein­leuch­ten­de, von ihm beleg­te The­se, dass der Kir­chen­kampf im Wesent­li­chen ein »Bru­der­kampf im eige­nen Haus« war, näm­lich der Wider­stand gegen die Gleich­schal­tung und Ger­ma­ni­sie­rung der Kir­che durch die Bewe­gung der Deut­schen Chri­sten. Die­se ver­such­ten mit­tels Wäh­ler­mehr­hei­ten und staat­li­cher Hil­fe, teil­wei­se auch mit Bra­chi­al­ge­walt, die Domi­nanz in Fra­gen der kirch­li­chen Posten, der Finan­zen und der Leh­re zu erlan­gen. Am Anfang des Kon­flik­tes stand die Grün­dung des Pfar­rer-Not­bun­des gegen die Ver­su­che, den »Ari­er-Para­gra­phen« in der Kir­che ein­zu­füh­ren. Der Kampf war grund­sätz­lich nicht poli­tisch gemeint, eine Geg­ner­schaft gegen das NS-Regime war das nicht. Die mei­sten BK-Pfar­rer begrüß­ten Hit­lers aggres­si­ve Außenpolitik.

Kein Buch ist per­fekt, so gibt es auch hier Desi­de­ra­te. Ber­lin galt einst als eine Hoch­burg des reli­giö­sen Sozia­lis­mus. Im Abschnitt »Ber­lin vor 1933« wür­digt Gai­lus zwei der im Bund reli­giö­ser Sozia­li­sten akti­ven Pfar­rer, die er »im Kampf mit dem moder­nen Unglau­ben« sieht (dies ver­kennt aber Kern und Motiv ihrer Arbeit). Ab 1933 fehlt im Buch jeder Hin­weis auf sie. Was die­se Pfar­rer von der Men­ge der deutsch­na­tio­na­len Amts­brü­der unter­schied, war das Immun­sein gegen Natio­na­lis­mus, Ras­sen­wahn und Kriegs­be­ja­hung, weil das ihrem Wesen und Cre­do ent­sprach. Sie bil­de­ten nach 1933 ein wider­stän­di­ges Netz­werk. Einer der ihren, der Jurist Ernst von Har­nack, ver­dient als Mär­ty­rer erwähnt zu wer­den. Er lei­te­te einen kon­spi­ra­ti­ven Kreis in Zehlen­dorf und ende­te als Ver­schwö­rer gegen Hit­ler am Gal­gen. Sein Freund war der füh­ren­de reli­giö­se Sozia­list Arthur Rack­witz, Pfar­rer in Neu­kölln, ein Fels, ein rocher de bron­ze, des­sen Haus zur Zuflucht Ver­folg­ter wur­de. Er schloss sich (zöger­lich) der BK an und kam 1944 ins KZ. Von ihm hör­te sei­ne Gemein­de nie­mals ein Gebet für den Füh­rer oder den Sieg Deutsch­lands. Wenn beklagt wird, dass recht wenig Pre­dig­ten aus der NS-Zeit zur Ver­fü­gung ste­hen (Gai­lus, S. 20), so sei der Hin­weis erlaubt, dass Frau Ruth Los­in­sky – reli­gi­ös-sozia­les Gemein­de­glied in Neu­kölln – die Pre­dig­ten von Rack­witz seit 1937 mit­ste­no­gra­phier­te, eine noch wenig erschlos­se­ne Quel­le, ver­öf­fent­licht 1982 vom Amts­nach­fol­ger Olaf Meyer.

Man­fred Gai­lus: Im Bann des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Das pro­te­stan­ti­sche Ber­lin im Drit­ten Reich, Frei­burg im Breis­gau (Her­der) 2023, 320 S., 30 €.