Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Neuer Gedenkort in Potsdam

Die Wahr­heit lässt sich nicht ver­bren­nen. Man kann sie nicht ver­bie­ten oder unter­drücken. Sie ist durch nichts zu ver­nich­ten. Die Wahr­heit ist die Wahr­heit. Sie ist ein­fach da. Sie ist immer gera­de da, wo Unwahr­heit sich aus­brei­tet. Sie lässt sich leicht erken­nen. Jeder kann sie gewin­nen. Für sich und ande­re. Wer die Wahr­heit ein­mal erkannt hat, auf den wird sie ihren unwi­der­steh­li­chen Zau­ber aus­üben. Die Kraft der Über­zeu­gung. Jeder kann sie ver­tre­ten und ihr sei­ne Stim­me geben. Dazu ist unter Umstän­den Mut nötig.

Immer gibt es Mäch­ti­ge, denen die Wahr­heit unbe­quem ist und die ande­re dar­an hin­dern wol­len, sie aus­zu­spre­chen. Manch­mal sind es nur Nar­ren und Kin­der, die sich das trau­en, wäh­rend alle ande­ren die Wahr­heit fei­ge ver­leug­nen. Seht ihr denn nicht, der Kai­ser da, der so groß­tut und allen etwas vor­schwin­delt, ist nackt! Am Lachen kann man die Wahr­heit erken­nen. Am Lächeln, das sich auf den befrei­ten Gesich­tern aus­brei­tet, wenn einer die Wahr­heit ausspricht.

Es kann sein, dass Ter­ror die Men­schen hin­dert, öffent­lich zu beken­nen, was sie erkannt haben. Angst und Schrecken schüch­tern sie ein, machen sie mund­tot. Dann wer­den sie die Wahr­heit im Her­zen tra­gen und sie flü­sternd wei­ter­sa­gen. Auch wo alle ängst­lich oder vor­sich­tig schwei­gen, ist die Wahr­heit zu hören. Es kann sein, dass Men­schen ihre Macht miss­brau­chen, um ande­re zu hin­dern, die Wahr­heit aus­zu­spre­chen. Es kann sein, dass die Wahr­heit Angst macht, weil sie uner­bitt­lich Kon­se­quen­zen for­dert, Bestehen­des zu ändern. Es kann sein, dass es manch­mal klü­ger ist, eine Wahr­heit für sich zu behal­ten. Aber es ist das Größ­te und Schön­ste, was ein Mensch errei­chen kann, die Wahr­heit zu erken­nen und sie auszusprechen.

Mil­lio­nen­fach wur­den die Bücher von Ber­tha von Sutt­ner und Erich Maria Remar­que gele­sen. Und plötz­lich insze­niert eine mili­tä­risch orga­ni­sier­te Ter­ror­ban­de in aller Öffent­lich­keit einen Auf­marsch und ver­brennt die­se Bücher vor aller Augen. Wo waren da die­se Mil­lio­nen Lese­rIn­nen? Wag­ten sie kei­nen Ein­spruch? Erin­ner­ten sich nicht wenig­stens eini­ge an Hein­rich Hei­ne, der gewarnt hat­te, wo man Bücher ver­brennt, wer­de man am Ende auch Men­schen ver­bren­nen? Das berühm­te Zitat fin­det sich in der Tra­gö­die Alman­sor. Xime­nes, der Erz­bi­schof von Tole­do, hat­te den Koran in Gra­na­da demon­stra­tiv ver­brannt. Und wenn die ein­ge­schüch­ter­ten Mil­lio­nen Leser unter den Beob­ach­tern der Bücher­ver­bren­nung von 1933 dar­an dach­ten, glaub­ten sie, es wür­de sie schon nicht betref­fen? Schließ­lich waren sie kei­ne Mos­lems oder Juden, gehör­ten nicht zu denen, gegen die die Recon­qui­sta sich rich­te­te? Dabei kennt die Wahr­heit kei­nen Unter­schied zwi­schen Ras­sen, Klas­sen, poli­ti­schen Par­tei­en, Bekennt­nis­sen und Glaubensrichtungen.

Moment mal, was soll das? Fabi­an von Erich Käst­ner? Was soll die­ses Buch auf dem Schei­ter­hau­fen? Wer hat sich denn die­sen Blöd­sinn aus­ge­dacht? Was steht da noch auf der Liste? Hein­rich Manns Der Unter­tan? Lion Feucht­wan­gers Roman Erfolg. Sogar Jaros­lav Hašeks Die Aben­teu­er des bra­ven Sol­da­ten Schwe­jk wäh­rend des Welt­krie­ges und Freuds Buch über die Traum­deu­tung wur­den damals ver­brannt. Auch Maxi­mi­li­an Har­dens Samm­lung lite­ra­ri­scher Por­träts Köp­fe lan­de­te 1933 auf dem Schei­ter­hau­fen. Als Har­den 1927 an den Fol­gen des Mord­an­schlags von 1922 starb, bedau­er­ten die Natio­nal­so­zia­li­sten, dass ihnen dadurch die Mög­lich­keit genom­men war, auf ihre Wei­se mit dem Autor abzu­rech­nen. Was sie damit mein­ten, haben sie durch die bru­ta­le Fol­ter und den Mord von Carl von Ossietzky und ande­ren kri­ti­schen Autoren gezeigt. Die Weltbühne gehört auch zu dem Schrift­tum, das sie in die Flam­men warfen.

Wo war 1933 das stol­ze Volk der Dich­te­rIn­nen und Den­ke­rIn­nen geblie­ben? War­um ließ es sich die­se Schmach gefal­len, die der Auf­takt war zu den größ­ten Ver­bre­chen der Mensch­heit. So tief geriet es durch sein schwei­gen­des Dul­den in den brau­nen Sumpf, dass es sich aus eige­ner Kraft nicht dar­aus befrei­en konnte.

In Pots­dam wur­de am 22. Mai die­ses Jah­res, dem Jah­res­tag der Bücher­ver­bren­nung, ein Gedenk­ort ein­ge­rich­tet: Eine klei­ne, in einer roten Tele­fon­zel­le unter­ge­brach­te Schau­bi­blio­thek von Büchern, die damals ver­brannt wur­den. Etwa 20 Teil­neh­me­rIn­nen waren dazu in der Mit­tags­pau­se auf dem Bas­sinplatz zusam­men­ge­kom­men, berich­te­ten die PNN. »So wenig?«, frag­te mich eine Kol­le­gin, die den Zei­tungs­be­richt gele­sen hat­te. »War­um wenig?«, frag­te ich zurück. »Das ist doch viel! Jeder ein­zel­ne zählt.« Vie­le davon kann­te ich per­sön­lich. Wäre die Akti­on etwas bes­ser orga­ni­siert und vor­be­rei­tet wor­den, wären sicher mehr gekom­men. Aber es war eine Akti­on von Bür­ge­rIn­nen, die han­del­ten, weil die Poli­tik zögert, einen Gedenk­ort zu schaf­fen. Und nun steht in Pots­dam eine rot leuch­ten­de Tele­fon­zel­le auf dem Bas­sinplatz zur Erin­ne­rung an die Schan­de von 1933. Auch ich habe ein paar Bän­de ein­ge­stellt, Wer­ke von Döb­lin, Feucht­wan­ger und Arnold Zweig. Natür­lich habe ich nur Dublet­ten aus­ge­wählt. Auch den zwei­ten Band von Hašeks Schwe­jk hat­te ich dop­pelt. Die mei­sten Bücher blie­ben zu Hau­se im Regal, weil sie ein­fach nicht dau­er­haft zu ent­beh­ren sind. Was damals ver­brannt wur­de, gehört zu dem Besten, was wir über­haupt haben. Käst­ners Fabi­an konn­te ich unmög­lich her­ge­ben. Nicht mal die gekürz­te und etwas ent­schärf­te Fas­sung von 1931, und schon gar nicht die ursprüng­li­che Ver­si­on, die erst 2013 im Atri­um-Ver­lag Zürich erschien.