»Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.« Als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer am 5. Februar 1964 den versammelten Studenten im Großen Hörsaal der Frankfurter Universität diesen denkwürdigen Satz zurief, herrschte tiefe Stille im Raum.
Ich saß hoch oben in den hinteren Rängen und bekam eine Gänsehaut. Ein paar Tagen zuvor war mir der grauhaarige alte Herr im Römer begegnet, wo seit wenigen Wochen der Prozess gegen rund zwanzig Mitverantwortliche für die Massenmorde im Vernichtungslager Auschwitz stattfand. Lange hatte Fritz Bauer darum gekämpft, der Frankfurter Justiz die Verantwortung für die Ahndung des beispiellosen Verbrechens zu übertragen. Nun zog er zum ersten Mal öffentlich Bilanz. »Nach Auffassung der hessischen Staatsanwälte«, so der Redner, »können und sollen die Prozesse auch der politischen Aufklärung dienen. Daran ist kein Zweifel. Wenn Sie, meine Damen und Herrn, mich nun fragen, ob sie diese Zweckbestimmung auch erfüllen werden, stocke ich schon.«
Fritz Bauers wusste, wovon er sprach. In den Wochen und Monaten der Prozessvorbereitung wurde immer wieder einer seiner Sätze kolportiert, mit dem er, halb im Scherz, das Problem beschrieb, dem er sich gegenübersah: »Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland.« Er spielte damit auf die Unterwanderung der Justiz durch ehemalige Nazirichter und Staatsanwälte an.
Mehr als 60 Jahre danach macht der Satz wieder die Runde, und zwar als Motto einer Ausstellung, mit der in Bochum eine kulturelle Forschungs- und Begegnungsstätte der Öffentlichkeit vorgestellte wurde, die der Erinnerung an den legendären hessischen Generalstaatsanwalt gewidmet ist.
Der offizielle Name lautet »Fritz Bauer Forum – Zentrum für Menschenrechte«. Initiatorin ist die Geschäftsführerin der gemeinnützigen BUXUS STIFTUNG, Dr. Irmtrud Wojak, die sich als Historikerin und Verfasserin der fulminanten Biografie Fritz Bauers international einen Namen gemacht hat. Eingehend schildert sie nicht nur das Engagement Bauers für Demokratie und Menschenrechte, sondern auch dessen Vertreibung als jüngster Amtsrichter Deutschlands durch die Nazis ins dänische Exil.
Wer nach den Ursachen für Bauers Bemühen um die Wahrung der Menschenrechte auch im Strafvollzug sucht, findet dort eine von dem Vertriebenen beschriebene Schlüsselszene. »Als die Gestapo mich in Dänemark suchte und auf meiner Odyssee durch das Land in dem kleinen Gasthaus einer Provinzstadt fand, brachte mich die dänische Polizei auf die Wache. Ich wurde nach dem Namen gefragt, sonst nichts; ich kam in die Zelle, sonst nichts. Kein Satz, kein Blick des stillen Einverständnisses. Ich war in der Zelle, ich war des Treibens müde. Es wird wohl gegen Mitternacht gewesen sein, als ein junger dänischer Hilfspolizist die Tür öffnete. ›Wollen Sie etwas essen?‹ – ›Nein.‹ – ›Wollen Sie etwas lesen?‹ – ›Nein, danke.‹ Eine lange, lange Pause trat ein. Er schloss die Zellentür, er kam zu mir, legte wie ein Freund den Arm um mich und sagte: ›Ich werde an Sie denken.‹ Er ging, es war mir zumute wie es in Goethes Faust in der Szene, die ›Nacht‹ heißt: ›Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!‹«
Zur Eröffnung der Ausstellung und des Fritz Bauer Forum in Bochum war im überfüllten großen Schwurgerichtssaal neben viel juristischer Prominenz auch der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach erschienen. Er würdigte Fritz Bauers Rolle in der deutschen Nachkriegsgeschichte und verlangte auch heute von den Juristen die Fähigkeit zur kritischen Reflexion, wann immer Recht zum Unrecht werde. Die NRW-Stiftung förderte die Errichtung des neuen Gedenkortes durch die BUXUS STIFTUNG mit einem Zuschuss von bis zu 450 000 Euro.