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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Neue Begriffe – alte Ziele

Erleich­tern neue Begrif­fe in der Arbeits­welt den Arbeits­all­tag? In der »Daten­wol­ke« oder mit der »Men­ge« Men­schen über Inter­net­platt­for­men zusam­men­zu­ar­bei­ten – Cloud-Working und Crowd-Working wer­de von immer mehr Beschäf­tig­ten gefor­dert, heißt es. Klingt auch bes­ser, als ein Arbei­ten in der Frei­zeit anzu­wei­sen und per­ma­nent erreich­bar sein zu müs­sen. Die Wir­kung bleibt die­sel­be – es gefähr­det die Work-Life-Balan­ce. Selbst beim fran­zö­si­schen Kon­zern Saint-Gobain wird ein Agi­le Coach gesucht – es scheint also ein euro­päi­scher Trend zu sein. Immer mehr eng­lisch­spra­chi­ge Begrif­fe domi­nie­ren den Arbeitsalltag.

Viel­leicht ver­langt das Unter­neh­men zukünf­tig eine trans­pa­ren­te Arbeit der Beleg­schaft durch Working Out Loud (WOL). Der WOL-Bera­ter Jon Step­per for­dert dazu auf: »Mach dei­ne Arbeit sicht­bar« und »Bie­te Hil­fe an, anstatt dich groß­spu­rig selbst dar­zu­stel­len«. Dafür wer­den Cir­cles genutzt, das sind Grup­pen von bis zu fünf Beschäf­tig­ten, die sich zwölf Mal für eine Stun­de pro Woche tref­fen, wobei einer als Mode­ra­tor ein­ge­setzt wird.

Man­chen reicht das nicht. »Die Arbeit wird in und durch regel­mä­ßi­ge Tref­fen syn­chro­ni­siert: Tac­ti­cals fin­den »am Anfang jeder Woche in Krei­sen [im Kreis sit­zend] statt«, for­dert Car­sten Scher­mu­ly eine radi­kal neue Gesprächs­kul­tur. Bei Issue-spe­ci­fic Mee­tings wer­den »spe­zi­fi­sche Pro­ble­me behan­delt, die nicht in den Tac­ti­cals gelöst wer­den konn­ten«. Gestei­gert wird dies durch Gover­nan­ce Mee­tings: »Falls sich viel in der Orga­ni­sa­ti­on ändert, dann fin­den sie monat­lich statt. Hier wer­den der gene­rel­le Zweck und die Zie­le eines Krei­ses hin­ter­fragt«, so der Exper­te für Wirtschaftspsychologie.

Aus Sicht der Beschäf­tig­ten gilt jedoch: »Don’t belie­ve the hype«, nicht jeder neue Begriff ver­heißt auch Neu­es. Denn ver­kün­det der Team­lei­ter des Call­cen­ters im Sin­ne der Digi­tal Lea­der­ship, zukünf­tig die Beschäf­tig­ten – auch Agents genannt – per Coa­ching zu unter­stüt­zen, bedeu­tet dies in der Pra­xis meist: erwei­ter­te Kon­trol­le durch Mit­hö­ren von Tele­fon­ge­sprä­chen und Schi­ka­ne durch ver­stärk­te Feh­ler­su­che. Offen­sicht­lich reicht dem Vor­ge­setz­ten das Moni­to­ring nicht mehr aus – was wie ein unver­bind­li­cher Blick auf den Bild­schirm klingt, ist die per­ma­nen­te Über­wa­chung der Dau­er von Tele­fon­ge­sprä­chen, mit Ver­gleich der Lohn­ab­hän­gi­gen unter­ein­an­der per Bench­mar­king.

»Ein ganz wesent­li­cher Bestand­teil agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­ver­ständ­nis­ses ist die Ermäch­ti­gung der Mit­ar­bei­ter, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men«, mel­det der Bun­des­ver­band der Per­so­nal­ma­na­ger. »Die­ses Phä­no­men lässt sich unter dem Schlag­wort Empower­ment zusam­men­fas­sen«. Shop­f­lo­or-Manage­ment dient in der Pra­xis vor allem dazu, die Arbeit trans­pa­rent zu machen – ein­ge­setzt wird oft ein Shop­f­lo­or-Board, auf dem Zah­len­vor­ga­ben visua­li­siert wer­den. Team­mit­glie­der tref­fen sich regel­mä­ßig in soge­nann­ten Ste­hun­gen oder Stand-ups und wer­den so kontrolliert.

Über Glo­bal Talent Trends berich­tet eine Stu­die der inter­na­tio­nal täti­gen Unter­neh­mens­be­ra­tung Mer­cer. Für Beschäf­tig­te wer­de der »Sinn einer Tätig­keit inklu­si­ve des nöti­gen Frei­raums für Ler­nen und Expe­ri­men­tie­ren« immer wich­ti­ger. Auch ein Sach­zwan­g­ar­gu­ment darf nicht feh­len: Die Digi­ta­li­sie­rung im Betrieb habe gro­ße Bedeu­tung, denn es gehe dar­um, »den Abstand zwi­schen der digi­ta­len All­tags­welt der Mit­ar­bei­ter im pri­va­ten Bereich und ihrem Arbeits­um­feld bzw. der digi­ta­len Orga­ni­sa­ti­on zu ver­rin­gern«. »Per­ma­nen­te Fle­xi­bi­li­tät« sei bei heu­ti­ger Arbeit gefor­dert, beto­nen die Bera­ter von Mercer.

Die Digi­ta­li­sie­rung erleich­tert dem Manage­ment das Vor­ge­hen, Tech­nik dient der Kon­trol­le: Track­ing ist die Ver­fol­gung anhand von Auf­zeich­nun­gen, etwa wenn Arbeits­zeit­be­ginn, das Ein­log­gen im Rech­ner und die Kan­ti­nen­ab­rech­nun­gen kom­bi­niert wer­den. Auch die Ver­fol­gung des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­tens gehört dazu: An wen wer­den Mails geschrie­ben, mit wem erfol­gen Video­kon­fe­ren­zen, wie häu­fig wer­den Betriebs­rats­mit­glie­der kon­tak­tiert? Scoring wie­der­um ist eine Metho­de, um die Wahr­schein­lich­keit für ein bestimm­tes Ver­hal­ten vor­her­zu­sa­gen. Das Pro­gramm »Work­day« wirbt mit einem Algo­rith­mus, der Beschäf­tig­te erkennt, die dem­nächst kün­di­gen wer­den – indem Mail-Ver­hal­ten, Arbeits­zeit­kon­to­stand, Stel­len­pro­fil und vie­les mehr aus dem Intra­net und dem Inter­net ver­knüpft werden.

Ein wich­ti­ges Ele­ment sol­len Digi­tal Labs sein, soge­nann­te digi­ta­le Labo­re. »Ori­en­tiert an Erfah­run­gen der Start­up-Sze­ne wer­den damit ›unter­neh­mens­in­ter­ne Denk­fa­bri­ken‹ bezeich­net, in denen krea­ti­ve Frei­räu­me für unter­neh­mens­in­ter­ne Mit­ar­bei­ter­teams geschaf­fen wer­den«, erläu­tert der Manage­ment-Bera­ter Ernst Tie­mey­er. Wich­tig sei, »das rich­ti­ge Bewusst­sein im Unter­neh­men zu schaf­fen«. Neu zusam­men­ge­setz­te Grup­pen mit krea­ti­ven Beschäf­tig­ten, die aus unter­schied­li­chen Unter­neh­mens­be­rei­chen kom­men – etwa Anwen­dungs­ent­wick­ler und Pro­dukt­de­si­gner – sol­len »unbe­la­stet von zen­tra­len Unter­neh­mens­zwän­gen Ideen« ent­wickeln. Ein häu­fi­ges Argu­ment: Wir leben in einer V.U.C.A. – Welt. Die­se sei geprägt von Vola­ti­li­tät, also Unbe­stän­dig­keit durch erhöh­te Ver­än­de­rungs­ge­schwin­dig­keit, Unsi­cher­heit und Comple­xi­ty, auf Deutsch »Kom­ple­xi­tät«. Dazu gehört auch Ambi­gui­tät, die Mehr­deu­tig­keit von Infor­ma­tio­nen, die durch »Big Data« nicht ein­fach zu inter­pre­tie­ren sind.

Dass Unter­neh­men die­se Ver­än­de­run­gen mas­siv vor­an­trei­ben und Tech­nik gezielt ein­set­zen, wird weni­ger the­ma­ti­siert, wenn Beschäf­tig­te mit dem täg­li­chen Chan­ge im Betrieb kon­fron­tiert wer­den. Es soll nach Sach­zwän­gen klin­gen, die aus der Digi­ta­li­sie­rung resul­tie­ren. Hier­zu­lan­de sei man »Ver­än­de­run­gen gegen­über sehr skep­tisch. Din­ge brau­chen län­ger, um dis­rupt­ed, grund­le­gend neu orga­ni­siert zu wer­den«, kri­ti­siert Rah­myn Kress von der Geschäfts­füh­rung des Henkel-Konzerns.

Tele­kom-Ex-Vor­stand Tho­mas Sat­tel­ber­ger – heu­te Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter für die FDP – benennt offen, dass es trotz neu­er Begrif­fe um Alt­be­kann­tes geht: Zugun­sten der Unter­neh­men sei­en »Anpas­sun­gen in der Gesetz­ge­bung: im Sozi­al­ver­si­che­rungs­recht, im Arbeits­recht, im Arbeits­schutz« erfor­der­lich. Digi­ta­li­sie­rung zur Dere­gu­lie­rung nut­zen – so lau­tet die Stra­te­gie. »Wir soll­ten unse­re Arbeit an der Qua­li­tät des Out­puts, nicht an der Büro­prä­senz mes­sen«, for­dert Mar­tin Kaelb­le vom Capi­tal-Maga­zin.

Auch vor den Gewerk­schaf­ten machen die neu­en Begrif­fe nicht Halt. In einem Working Paper unter­sucht die Hans-Böck­ler-Stif­tung die Arbeits­be­din­gun­gen bei Lie­fer­dien­sten wie Foodo­ra and Deli­veroo. Unter dem Mot­to »Riders Unite! Fair Deli­very!« haben sich Anfang Febru­ar zum zwei­ten Mal schein­selb­stän­di­ge Lie­fer­dienst­fah­rer aus der gesam­ten Repu­blik getrof­fen. Ein­ge­la­den hat­te die Gewerk­schaft Nah­rung-Genuss-Gast­stät­ten (NGG), die auch die Kam­pa­gne »Lie­fern am Limit« unter­stützt. »Wir haben einen Nerv getrof­fen«, sagt Sarah Joch­mann. Die Spre­che­rin der Kam­pa­gne hält die Ver­net­zung über Face­book für wich­tig. Die Beschäf­tig­ten for­dern höhe­re Löh­ne und Ent­schä­di­gun­gen für ein­ge­brach­te Arbeits­mit­tel, etwa ihre Fahr­rä­der. Frei nach dem Mot­to »Gemein­sam sind wir stark!«