»Am Ausgangspunkt steht da der Wunsch, über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft die alte, konservative soziale Struktur endgültig zu überwinden. Diese überkommene Hierarchie ist (war) auf der einen Seite durch eine dünne Oberschicht, welche sich jeden Konsum leisten (kann) konnte, wie andererseits durch eine quantitativ sehr breite Unterschicht mit unzureichender Kaufkraft gekennzeichnet. Die Neugestaltung unserer Wirtschaftsordnung muss(te) also die Voraussetzung dafür schaffen, dass dieser einer fortschrittlichen Entwicklung entgegenstehende Zustand und damit zugleich auch endlich das Ressentiment zwischen ›arm‹ und ›reich‹ überwunden werden kann (konnte).«
Nein, diese Sätze stammen nicht etwa von Karl Marx. Sie sind jüngeren Datums. Sie stehen auch nicht in einem der aktuellen Wahlprogramme für die im Februar nächsten Jahres antretenden Parteien, wenngleich sie – leider vor längerer Zeit schon – von einem Vertreter eben dieser Parteien geäußert wurden. Sie finden sich in einem Buch mit dem Titel »Wohlstand für alle«, das der Christdemokrat Ludwig Erhard im Jahr 1957 vorgelegt hat. Er begründete damit das Modell einer sozialen Marktwirtschaft, das dann unter seiner Regie bekanntlich eine echte Erfolgsgeschichte schrieb.
Tempi passati! Tatsächlich wirken seine Zeilen heute, nahezu 70 Jahre später, verstörend aktuell. Spätestens nach der »Wende«, als die Systemkonkurrenz »siegreich« entschieden schien, wurde das soziale Wohlstands-»Gedöns«, das die Überlegenheit des Westens dokumentieren sollte, kontinuierlich abgebaut – zunächst und am energischsten im Beitrittsgebiet. Eine immer »breiter« und ärmer werdende Unterschicht sieht sich nun wieder einer »dünnen«, immer reicher werdenden Oberschicht gegenüber. Und die Ludwig Ehrhard nachfolgenden Christdemokraten werden daran nicht nur nichts ändern, ihr der Oberschicht und der Finanzindustrie enorm zugeneigter Spitzenkandidat – BlackRock-Merz – wird die Kluft eher noch vergrößern – und die »Leistungsträger«, die Reichen also, zu Lasten der sozial Schwächeren auch noch »entlasten«. Es wäre allerdings nicht korrekt, hier mit dem Finger nur auf die CDU zu zeigen. Für die Kluft und ihre Dynamik sind die anderen »Parteien der Mitte«, namentlich die Sozialdemokraten und die Grünen (von der FDP wollen wir hier schweigen: Auf tote Hunde schießt man nicht), trotz aller Lippenbekenntnisse ebenso verantwortlich wie die Erben Ludwig Erhards.
Dass sich daran durch eine oder nach einer Wahl etwas ändert, hieße, auf ein Wunder zu hoffen. Das wäre wohl erst zu erwarten, wenn wir, möglichst viele von uns, der unsozialen Marktwirtschaft und ihren kriegslüsternen Einflüsterern eine stimmengewaltige Absage erteilen. Übrigens: Ein Kreuz bei der AfD wird dabei rein gar nicht helfen. In deren Agenda sind die »Armen« nichts als Stimmvieh, politisch völlig irrelevant.