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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Nato-Krieg gegen die Psyche

Der kriegs­tüch­ti­ge Mini­ster steht im Turm des Kampf­pan­zers. In vol­ler Gefechts­mon­tur weist er uns den Weg und das Ziel: nach vor­ne … Längst haben wir uns an die Fotos und Mel­dun­gen in den Medi­en gewöhnt: Kriegs­pro­pa­gan­da aus allen Roh­ren (um im Bild zu blei­ben). Im Visier: wir, das kriegs­ent­wöhn­te Volk.

Seit Jahr­hun­der­ten muss­te das gemei­ne Volk gelockt und bear­bei­tet wer­den, um zu mor­den und sich für die Macht­ge­lü­ste der Herr­schen­den frei­wil­lig abschlach­ten zu las­sen. Aber die PR-Metho­den muss­ten per­fek­tio­niert wer­den. Der frü­he­re Nato-Spre­cher Jamie Shea erzähl­te nach dem völ­ker­rechts­wid­ri­gen Nato-Über­fall auf Jugo­sla­wi­en (der in unse­ren Medi­en nicht so genannt wird) auf Ein­la­dung einer PR-Fir­ma, wie man einen Krieg ver­kauft: »Sel­ling a Con­flict – the Ulti­ma­te PR Chall­enge«. Natür­lich habe die Nato Völ­ker­recht und Sou­ve­rä­ni­tät ver­letzt – des­halb erfand man den »huma­ni­tä­ren Ein­satz«. Dem TV-Publi­kum müs­se man täg­lich Sei­fen­opern mit Haupt­dar­stel­lern und kla­rer Rol­len­ver­tei­lung bie­ten: »good guy« und »bad guy«. Und: »If you don’t have a sto­ry, make a story«.

Aller­dings wirkt die­se Pro­pa­gan­da über­holt im Ver­gleich zum »Cogni­ti­ve War­fa­re« (CW), den die Nato als »Game Chan­ger« ent­wickelt (vgl. »The 21st-Cen­tu­ry Game Chan­ger – Cogni­ti­ve War­fa­re«, The Three Swords 39/​2023). Mani­pu­la­ti­on gilt dabei als neue Waf­fen­gat­tung. Spä­te­stens seit dem »Krieg gegen den Ter­ror«, zu dem sich der Westen unter US-Füh­rung selbst ermäch­tigt hat, gewinnt die psy­cho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung mas­siv an Bedeu­tung. Denn ein Sieg auf dem Schlacht­feld wie im Irak oder in Liby­en garan­tiert kei­nen poli­ti­schen Erfolg. Auch der schmach­vol­le Rück­zug aus Afgha­ni­stan zeigt: Der Kampf um die Köp­fe und Her­zen der Men­schen ist kriegsentscheidend.

Beson­ders die Krie­ge gegen Russ­land und Chi­na müs­sen mit den Waf­fen der Pro­pa­gan­da aus­ge­foch­ten wer­den – gegen den Feind außen und innen. Die Nato erklärt den mensch­li­chen Geist zum Schlacht­feld. In zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen erläu­tert sie Nut­zen und Not­wen­dig­keit des Psy­cho-Krie­ges: CW ver­mag gan­ze Gesell­schaf­ten zu zer­stö­ren, indem »Zwei­fel an der Regie­rungs­füh­rung gesät, demo­kra­ti­sche Pro­zes­se unter­gra­ben, zivi­le Unru­hen aus­ge­löst oder sepa­ra­ti­sti­sche Bewe­gun­gen ange­stif­tet« wer­den (eige­ne Über­set­zung aus »Coun­tering cogni­ti­ve war­fa­re: awa­re­ness and resi­li­ence«. Nato Review 20 Mai 2021). Wer hier­bei an die Ukrai­ne 2014 oder Geor­gi­en heu­te denkt, dürf­te nicht ganz falsch lie­gen. Als Metho­de ver­wen­det CW etwa die Ver­brei­tung wider­sprüch­li­cher Nar­ra­ti­ve, die Pola­ri­sie­rung von Mei­nun­gen, Radi­ka­li­sie­rung von Grup­pen und ihre Anstif­tung zur Zer­stö­rung der Gesellschaft.

Digi­ta­le Medi­en bie­ten die Basis für umfas­sen­de Mani­pu­la­ti­on: Sie wis­sen, was wir mögen, und glau­ben, sie ver­fol­gen, wohin wir gehen und mit wem wir Zeit ver­brin­gen. Such- und E-Com­mer­ce-Platt­for­men nut­zen unse­re Track­ing-Daten, um unse­re Prä­fe­ren­zen, Wün­sche und Über­zeu­gun­gen aus­zu­for­schen und prak­tisch umzu­set­zen. Aber all die­se Metho­den kennt der Feind natür­lich auch. Des­halb muss die Nato »pro­ak­tiv« die Füh­rung auf dem Schlacht­feld des mensch­li­chen Gei­stes über­neh­men. Auf lan­ge Sicht wer­den die Nato-Staa­ten nur dann sie­gen, wenn sie die tota­le Kon­trol­le über die Psy­che der Men­schen, Zivi­li­sten wie Mili­tärs, und über Staa­ten erlan­gen. Dies erfor­dert einen Krieg gegen kri­ti­sche Gedan­ken und oppo­si­tio­nel­le Über­zeu­gun­gen. In den Men­schen muss die Reprä­sen­ta­ti­on der Wirk­lich­keit ver­än­dert wer­den: »It is the­r­e­fo­re a war against its ways of thin­king, its men­tal logics, its spon­ta­neous repre­sen­ta­ti­ons and its con­cep­tu­al pro­ce­s­ses. The goal is to alter the repre­sen­ta­ti­on of the world, but this has the con­se­quence of under­mi­ning the who­le-of-socie­ty in a very likely dura­ble way« (Cogni­ti­ve War­fa­re, a Batt­le for the Brain. Nato, Fran­cois du Clu­zel, ohne Datum).

»Cogni­ti­ve War­fa­re«: Der Begriff greift zu kurz. Der Krieg zielt nicht nur auf Gedan­ken, son­dern auch auf Gefüh­le und Befind­lich­keit und die Ori­en­tie­rung in der Welt. Tra­di­tio­nel­le Wer­te und Gewiss­hei­ten sol­len auf­ge­löst wer­den, eben­so das Erken­nen von Zusam­men­hän­gen. Dafür müs­sen die Sicher­heit und das Ein­ge­bet­tet­sein in die Rea­li­tät desta­bi­li­siert und zer­stört und durch eine neue, durch staat­li­che Pro­pa­gan­da geform­te (Schein-)Wirklichkeit ersetzt wer­den. Solch desta­bi­li­sier­ter Mensch in einer eben­sol­chen Gesell­schaft gilt nicht als krank, son­dern als erwünsch­tes End­pro­dukt. Für durch­grei­fen­den, dau­er­haf­ten »Erfolg« die­ses Krie­ges genügt es nicht, ein­zel­ne Kri­ti­ker ins Visier zu neh­men; die gan­ze Gesell­schaft muss von der all­um­fas­sen­den Neu­for­ma­tie­rung der Wirk­lich­keit durch­drun­gen sein. Desta­bi­li­sie­rung der Psy­che wie auch der Gesell­schaft garan­tiert die tota­le Kon­trol­le – mög­lichst unter­halb der Schwel­le der Wahr­neh­mung, um kei­nen Wider­stand auf­kom­men zu lassen.

Auf dem Hin­ter­grund die­ser Nato-Kon­zep­te ver­steht man, was »Zei­ten­wen­de« und Erzie­hung zu »Kriegs­tüch­tig­keit« auch bedeu­ten: nicht nur Auf­rü­stung und Mili­ta­ri­sie­rung, son­dern auch das, was frü­her Gehirn­wä­sche genannt wur­de. Kri­tik an Waf­fen­lie­fe­run­gen in die Ukrai­ne, For­de­run­gen nach Ver­hand­lun­gen wer­den zu Ver­rat, Hin­wei­se auf die Vor­ge­schich­te vom Ver­fas­sungs­schutz zur feind­li­chen Des­in­for­ma­ti­on gestem­pelt. Täg­lich sind wir mit poli­ti­schen Ereig­nis­sen kon­fron­tiert, die ver­wir­ren und eine Desta­bi­li­sie­rung bewir­ken. Wäh­rend etwa west­li­che Poli­ti­ker wie Micha­el Roth, SPD, in Geor­gi­en vor Demon­stran­ten het­ze­ri­sche Reden zur Ver­hin­de­rung eines Geset­zes gegen aus­län­di­sche Ein­fluss­nah­me hal­ten, prak­ti­zie­ren oder pla­nen die USA, die EU und Deutsch­land bereits ver­gleich­ba­re Geset­ze. Zum Welt­flücht­lings­tag rühmt die Poli­tik das Enga­ge­ment für Flücht­lin­ge als »geleb­te Mit­mensch­lich­keit«, wäh­rend gleich­zei­tig deren Abwehr radi­ka­li­siert und das Asyl­recht gecan­celt wird. Eine US-Histo­ri­ke­rin (Anne App­le­baum), die für einen mili­tä­ri­schen Sieg über Russ­land kämpft, bekommt den Frie­dens­preis des deut­schen Buch­han­dels, nach­dem sie zuvor schon mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis (!) geehrt wurde.

Die Dop­pel­mo­ral hat System – und macht kon­fus. Die Wahr­neh­mung der Wirk­lich­keit muss der Fake-Rea­li­ty wei­chen. Wäh­rend staat­li­che Reprä­sen­tan­ten das Grund­ge­setz fei­ern, wer­den Wis­sen­schaft­le­rIn­nen für Stel­lung­nah­men abge­straft, die nicht zur will­kür­lich defi­nier­ten Staats­rä­son pas­sen. Die Poli­tik lobt Groß­de­mon­stra­tio­nen gegen »Remi­gra­ti­on« – und ver­ab­schie­det gleich­zei­tig das »Rück­füh­rungs­be­schleu­ni­gungs­ge­setz«. Der Sieg über den Faschis­mus wird groß gefei­ert, ohne Russ­land auch nur zu erwäh­nen – die Erin­ne­rung wird aus­ge­löscht. Mil­li­ar­den­hil­fen für die Ukrai­ne ver­bin­det man mit Plä­nen zur Aus­beu­tung des Lan­des. Wäh­rend Kri­tik an der men­schen­ver­ach­ten­den Poli­tik Isra­els als anti­se­mi­tisch gebrand­markt, Unter­stüt­zung für Palä­sti­na mit Aus­wei­sung bedroht wird, unter­stützt der Staat aus »Staats­rä­son« die rechts­extre­me Regie­rung und deren Mas­sa­ker poli­tisch und mili­tä­risch. Die Bom­bar­die­rung von Flücht­lings­la­gern wird nicht auf­ge­klärt – wegen »Staats­wohl« und »Geheim­hal­tungs­in­ter­es­sen« der Bun­des­re­pu­blik. Eben­so die Ermor­dung von weit über hun­dert Jour­na­li­sten in Gaza.

Die Gren­ze zwi­schen Schein und Rea­li­tät ver­schwimmt, die ange­streb­te Umfor­mung der Reprä­sen­ta­ti­on der Wirk­lich­keit ist voll im Gan­ge. Der Krieg gegen fal­sche Gedan­ken und Gefüh­le gleicht der Monsan­to-Stra­te­gie: Jedes Unkraut mit Gift ver­nich­ten und das gesam­te Feld gen­tech­nisch ver­än­dern. Defi­ni­ti­on und Ahn­dung abwei­chen­der Mei­nun­gen und Äuße­run­gen über­nimmt der Ver­fas­sungs­schutz. Und schon steht ein Heer von Gehil­fen in Poli­tik, Wirt­schaft, Pres­se, Wis­sen­schaft, Stif­tun­gen und Think Tanks bereit, den Cogni­tiv Warefa­re mit Nar­ra­ti­ven zu füh­ren: Hilfs­or­ga­ne der Nato bei der Kon­truk­ti­on der Fake Rea­li­ty. Es bedarf kei­ner Ver­schwö­rung: Man weiß, was ver­langt ist und tut es für die vor­geb­li­che natio­na­le Sicher­heit, die nicht mit den Bedürf­nis­sen der Bevöl­ke­rung über­ein­stimmt. Es genügt voll­kom­men, die all­ge­mei­ne Rich­tung der Poli­tik pro­pa­gan­di­stisch zu ver­brei­ten: Feind­bild, Wirt­schafts­krieg, mora­li­sche Über­le­gen­heit der west­li­chen Wer­te – unter Aus­blen­dung von Kolo­nia­lis­mus, Krieg und Weltherrschaft.

Der Kapi­ta­lis­mus herrscht (fast) auf der gan­zen Welt: Ist sie dadurch bes­ser, sind die Men­schen glück­li­cher gewor­den? Mit­nich­ten. Aber die­ses System kann nicht fried­lich einen Inter­es­sen­aus­gleich suchen und Men­schen gleich­wer­tig behan­deln. Ein Krieg wird als unaus­weich­lich dar­ge­stellt, jeder Kri­ti­ker gilt als Dis­si­dent und muss als Feind behan­delt wer­den. Die west­li­che Poli­tik mit ihrer Ver­ses­sen­heit auf Hege­mo­nie droht, die Welt zu zer­stö­ren. Die Nato führt Krieg, auch gegen uns.